Euer Kind wird mit der Macht aller Elemente gesegnet und geschlagen sein, Rhapsody. Ihr seid durch das Feuer im Herzen der Erde geschritten. Habt keine Angst. Natürlich weiß ich das, denn Ihr habt es in Euch aufgenommen, was deutlich zu spüren ist. Was der Rest der Welt irrtümlicherweise für reine Schönheit hält, kann jemand wie ich, der die uranfänglichen Elemente in ihrer Rohform gesehen hat, als das erkennen, was es ist. Ihr und Euer Kind wurdet während Eurer kürzlich erfolgten Entführung in den Armen des Meeres gewiegt. Auch dies weiß ich – nicht weil ich es beobachtet hätte, sondern weil es mir die Wellen während meiner Reise von Gaematria nach hier erzählt haben. Euer Gemahl ist der Kirsdarken-va’ar, der Meister des Elements, also haben beide Eltern eine Verbindung zum Wasser. Auch die Erde ist in euch beiden – in Euch, weil Ihr durch ihr Herz gereist seid, und in Eurem Gemahl, weil er von der Drachin Elynsynos abstammt und auf diese Weise mit der Erde verbunden ist, so wie Ihr mit dem Stern Seren verbunden seid. Und schließlich seid Ihr als lirinische Königin ein Kind des Himmels, eine Tochter der Luft. Daher wird Euer Kind all diese Elemente in seinem Blut haben. Wisst Ihr, was die Summe dieser Elemente ist?
Sagt es mir, hatte sie geflüstert.
Zeit. Er wird die Macht der Zeit haben. Ich hoffe, Ihr werdet mir die Ehre erweisen, Eurem Kind beizubringen, wie es diese Macht einsetzen kann, wenn es alt genug ist und sich die Gelegenheit ergibt.
»Dann, als er geboren wurde«, fuhr sie fort, »benötigte er wie alle Drachen einen Namen, damit er Gestalt annehmen konnte, also habe ich ihm einen gegeben, der zurück bis zu Merithyn und seinem eigenen Vater reicht, aber schließlich habe ich die Bezeichnung Kind der Zeit ebenfalls in seine Benennung eingewoben.«
Ashe nickte, als er sich daran erinnerte. Er hatte nur wenig Zeit mit seinem neugeborenen Sohn verbringen können, aber wenigstens war das Schicksal so freundlich gewesen, ihm die Anwesenheit bei der Geburt in der Höhle des Untergegangenen Sees zu erlauben, dem Nest seiner Urgroßmutter Elynsynos, wo Rhapsody Unterschlupf gefunden hatte.
Elynsynos, die schon lange ihren irdischen Drachenkörper gegen eine Gestalt aus Äther eingetauscht hatte, hatte damals das Aussehen einer Frau angenommen, in dem sie sich auch Merithyn, seinem serenischen Urgroßvater, gezeigt hatte, damit sie der Bolg-Hebamme Krinsel bei der Geburt helfen konnte.
Als Ashe dem Wunder zugesehen hatte, war sein Blick vom Gesicht seiner Frau zu dem seiner Urgroßmutter geschweift, die trotz aller Anmut ihrer königlichen Schönheit den aufgeregten, kindlichen Ausdruck gezeigt hatte, den er oft an ihr bemerkt hatte, als sie noch in Drachengestalt bei ihnen gewesen war. In einer Mischung aus Angst und Ehrfurcht hatte er zugesehen, bis Rhapsodys Hand die seine gepackt hatte. Nun schloss er die Augen und genoss die Erinnerung wie einen Schatz.
Sam?
Ja, Arial. Das Wort bedeutete auf Lirinisch mein Leitstern, und es passte vollkommen zu der Rolle, die sie in seinem Leben spielte.
Sie hatte ihre kleine, zitternde Hand auf seinen Brustkorb gelegt.
Ich brauche das Licht des Sterns in dir. Unser Kind kommt.
Er hatte sich tiefer zu ihr herabgebeugt und seine Hand auf die ihre gelegt.
Was immer du brauchst. Wie kann ich es dir geben?
Öffne dein Herz. Heiße dein Kind willkommen.
Alles, was Ashe hatte tun können, war ihr zuzunicken, als Rhapsody langsam und leise mit der Elegie auf den verlorenen Stern Seren begonnen hatte, die sie von dem serenischen Meeresmagier gelernt hatte. Während des Singens hatte sie geweint und nur der Musik gelauscht, die von dem Stück desselben Sterns abstrahlte, welches ihm im Reich der Rowans in die Brust eingepflanzt worden war. Es war der reine, elementare Gesang des verlorenen Sterns gewesen, zusammen mit der Musik von Wind und Feuer, die als Geheimnis in ihr wohnten, und von Erde und Wasser, die von Ashes Blut gekommen waren.
Komm herbei, mein Kind. Komm in die Welt und lebe.
Ashe fühlte, wie sich ihm die Kehle zusammenschnürte, als er daran dachte, wie nahe sie bei der Geburt seines Sohnes dem Tode gewesen war.
Elynsynos hatte sich ein letztes Mal mit Krinsel beredet, die Achmed auf Rhapsodys Bitten hin aus Ylorc mitgebracht hatte; dann hatte die Drachin in serenischer Gestalt die Hände in einer Geste der Demut gehoben und von oben in Rhapsodys Bauch gegriffen, wobei ihre Hände durch das Fleisch geglitten waren wie durch Nebel und Sternenstaub.
Das war der magischste Augenblick gewesen, dem er je beigewohnt hatte.
Nun hatte Elynsynos die Hände weggenommen und ein winziges, gleißendes Licht in die Höhe gehalten, das sie sanft aus dem verdämmernden Körper seiner Gemahlin gezogen hatte. Dann hatte sie es ihr auf die Brust und zwischen die Hände gelegt.
Benenne es, meine Schöne, damit es Gestalt annehmen kann.
Ashe hatte über dem donnernden Schlag seines dreikammerigen Herzens ihre Worte kaum gehört.
Rhapsody hatte ihre Hand nach ihm ausgestreckt. Als sich ihre Finger miteinander verwoben hatten, hatte sie die Benennung angestimmt.
Willkommen, Meridion, Kind der Zeit.
Einen Augenblick lang hatte nichts in ihrer anderen Hand gelegen als das gleißende Licht. Dann hatte sich allmählich eine Gestalt gebildet, ein winziges Haupt, kleine Hände, die nach oben ausgestreckt wurden und winkten. Ein leises Gurren war bald darauf zu einem lauten Jammern geworden, und plötzlich war die Höhle mit der gewöhnlichen Musik eines schreienden Kindes erfüllt gewesen.
Das war der wunderbarste Laut gewesen, den er je gehört hatte.
»Ich glaube immer noch, dass sich diese Prophezeiung möglicherweise nicht auf unser Kind bezieht«, sagte er zu den Versammelten. »Zu vieles passt nicht zusammen. Offenbar – und glücklicherweise – ist Rhapsody nicht gestorben, so wie es der Mutter in der Prophezeiung vorhergesagt wird. Überdies ist Meridion zwar einzigartig und ungewöhnlich wegen seiner Abstammung und seiner Gaben, aber er ist kein widernatürliches Kind.« Einen Moment lang gewann sein Gesicht wieder an Farbe. »Und er ist keinesfalls aus einem widernatürlichen Akt hervorgegangen. Er kam wie jedes andere Kind auf die Welt.«
»Ich bin mir nicht so sicher, ob das stimmt«, sagte Achmed. »Geschlechtsverkehr mit einem Drachen könnte von vielen vernünftigen Leuten als widernatürlicher Akt angesehen werden. Es ist zumindest nichts, worüber ich mit vollem Magen nachdenken möchte.«
Eine Hitzewelle durchschoss Ashe, und hässliche Worte ergossen sich von seinen Lippen, bevor er sie zurückhalten konnte.
»Und wie würdest du deine eigene Empfängnis beschreiben, Achmed? Ich erschauere bei dem Gedanken daran, welche Paarung ein Wesen hervorbringen kann, das halb Dhrakier, eine der ältesten Rassen der Welt, und halb Firbolg ist, eines der schlimmsten Bastardgeschlechter von halbmenschlichen Ungeheuern, die je das Antlitz der Erde beschmutzt haben. Es steht dir kaum zu, über widernatürliche Geburten zu reden.«
Rhapsody betrachtete ihn tadelnd, während der Rest des Konzils ihn stumm anstarrte. Der Bolg-König sagte nichts, aber der Sergeant-Major warf ihm einen düsteren Blick zu, unter dem die Luft in dem winzigen Geheimzimmer knisterte.
»Vielleicht ist es nicht Meridions Empfängnis, sondern seine Geburt, die die Prophezeiung mit den Worten hervorgebracht im Blut aus Feuer meint«, sagte Rhapsody. »Nicht einmal du, Sam, kannst die ungewöhnlichen Umstände seiner Geburt verleugnen. Sie hat fast das gesamte Blut in meinem Körper verbraucht, weswegen ich noch immer sehr schwach bin. In Anbetracht der Tatsache, was mit mir in der letzten Zeit geschehen ist, könnte man annehmen, dass ich das Feuer bin, aus dem er hervorgegangen ist, und du bist als Drache die Erde, die ihn gezeugt hat. Aber mir scheint, dass all das unwichtig ist. Falls es wirklich so sein sollte, dass Meridion das Kind der Zeit ist, nach dem Talquist sucht – oder falls Talquist dieser Meinung sein sollte –, dann müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um ihn zu beschützen, ob er nun das Kind aus der Prophezeiung ist oder nicht.«