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Rhapsody und Achmed tauschten einen raschen Blick aus. Das Erdenwissen, das Grunthor in sich aufgenommen hatte, als er durch das Feuer im Erdkern gegangen war, trog niemals. Rhapsody schaukelte das Kind, bis es wieder sanft eingeschlafen war, während Achmed den Horizont absuchte. Der Wind frischte auf; Rhapsody zog sich die Kapuze des Nebelmantels tiefer ins Gesicht, und Achmed senkte den Schleier gegen das Stechen des Sandes bis über die Augen.

»Selbst unsere Patrouillen am nördlichsten Rand unserer Grenze sind weiter als einen Tagesritt von hier entfernt«, sagte er schließlich. »Ich habe keine Ahnung, was hier los ist oder war, doch es scheint sich ein weiterer Sandsturm zusammenzubrauen. Entweder wir reiten sofort los und versuchen, dort drüben in den Bergen Unterschlupf zu finden, oder wir stellen uns ihm hier entgegen. Ich weiß aber nicht, ob ich an diesem Ort von einer Windhose überrascht werden will.«

Grunthor zuckte die Achseln. »Ist doch egal«, sagte er und betrachtete die hoch aufragenden Mauerstücke, die vor ihnen aus dem Sand ragten. »Sieht ziemlich solide aus. Die Trümmer werden standhalten. Geben bestimmt einen guten Schutz ab, falls ein Sandsturm kommt. Vor Einbruch der Nacht können wir sowieso nichts anderes mehr erreichen.« Er schaute hinüber zu der Stelle, wo Rhapsody stand, klopfte Achmed auf die Schulter und zeigte dorthin. Der Bolg-König drehte sich um.

Die cymrische Herrscherin war ein wenig nach Süden gegangen, als ob sie einem Ruf folgte, den nur sie hören konnte. Während die beiden ihr zusahen, hockte sie sich hin und lauschte immer noch. Sie sahen, wie Rhapsody die Hand zwischen den aufgebauschten Falten des Nebelmantels hindurchstreckte und mit ihr über den Boden fuhr. Dann zog sie den Arm wieder in den Mantel zurück. Sie schaute hinunter auf das Kind und dann zu den beiden Männern.

»Wie geht es deinem Nacken, Grunthor?«, fragte sie.

Der Riese zuckte noch einmal die Achseln, griff sich dann an den Hals und betastete ihn. Ein Ausdruck des Erstaunens glitt über seine groben Gesichtszüge.

»So gut wie neu«, murmelte er.

Rhapsody stand auf und ging zu ihnen hinüber. Sie blieb vor Achmed stehen, schob die Falten des Mantels auseinander und zeigte ihm das Bein ihres Kindes.

Der Striemen war verschwunden, als wäre er nie dagewesen.

Sie drehte sich wieder um und betrachtete die weite Wüste und die fernen Berge hinter ihnen und lauschte angestrengt.

»Was ist los?«, fragte Achmed.

»Fühlst du es nicht?«, fragte sie. »Hier gibt es eine sehr tiefe Schwingung, ein vibrierendes Lied, aber ich habe es vorhin wegen des Summens all der Bienen und des Heulens des Windes nicht gehört. Es ist ein uralter Ton; es handelt sich um die Note Lisele-ut, die zur Farbe Rot gehört.«

»Blutbewahrer«, sagte Achmed. »Es heilt?«

»Ja. Aber ich kann nicht ermessen, wie stark es ist. Es ist so tief, dass man es nicht hören kann; ich kann es nur fühlen. Du auch, Grunthor?«

Der Sergeant-Major nickte zustimmend. »Wir sollten heute Nacht hier bleiben«, sagte er laut und sah Rhapsody zu, wie sie mit geschlossenen Augen weiter nach Norden ging und dem Ton folgte. Dann beugte er sich zu Achmed herüber und sagte leise zu ihm:

»Sieh sie an, sieh dir ihr Gesicht an.«

Die beiden Bolg starrten Rhapsody an, wie sie es vor langer Zeit im Licht des Lagerfeuers getan hatten, als sie gerade von ihrer langen Reise durch den Bauch der Erde wieder an die Oberfläche gekommen waren. Damals hatten sie die Auswirkungen des elementaren Feuers erkannt, das sie im Erdkern in sich aufgenommen hatte. Es war eine Reinigung von allen körperlichen Makeln gewesen, ein Erhellen von Augen und Haar, bis diese dieselbe Wärme wie das Element ausgestrahlt hatten. Ihr Anblick war hypnotisierend gewesen; es war so, als starre man in flackerndes Kaminfeuer.

Was sie nun sahen, war zwar anders, aber doch gleichermaßen unwiderstehlich. Die Frau, die mit ihnen von Haguefort losgeritten war, war fahl und blass, dünn und matt von der schwierigen Niederkunft mit dem Drachenkind gewesen. Obwohl sie ihre Schönheit behalten hatte, war sie doch ein Schatten ihrer selbst gewesen – matt, kränkelnd und ohne die Lebenskraft, die früher so sehr ein Teil ihrer selbst gewesen war. Sie schien beinahe vertrocknet und blutleer, als ob die Geburt ihr jede gesunde Farbe geraubt hätte.

Als sie nun aber nordwärts ging, geleitet vom Lied der Erde, das sie an diesem Ort des endlosen Lehms und der gnadenlosen kalten Sonne sang, schien Rhapsody sich zu erholen, als sauge sie alle Farbe aus der Welt um sich herum auf. Das flachsfarbene Haar, das unter der Kapuze des Nebelmantels hervorlugte, wurde heller und wieder zum Gold früherer Tage, ihre bleiche Haut wurde rosiger und ihr Fleisch immer fester, je länger sie ging. Sogar in ihren Schritten lag nun eine größere Kraft und in ihren Bewegungen mehr Energie.

Während sie sich dem Riss in der Erde näherte, kehrte der Sergeant zu den Pferden zurück.

»Was immer das hier für ein Ort ist, er scheint die Herrin zu heilen. Ich glaub, wir sollten hier lagern, bis es ihr was besser geht. Sie wäre ja vorhin beinahe ohnmächtig geworden.«

Achmed sah zu, wie sie sich vor die Spalte kniete, und nickte. »In Ordnung«, rief er Grunthor zu. »Wir sollten uns eine geschützte Stelle innerhalb der Ruinen suchen, wo wir nicht begraben werden, wenn noch ein Sandsturm hier durchfegt.« Dann ging er hinüber zu der Stelle, an der Rhapsody kniete, und stand still da, während sie der Musik lauschte, die nur sie allein hören konnte.

Schließlich schaute sie auf. Ihr Gesicht leuchtete hell im Licht der untergehenden Sonne.

»Ich glaube, ich weiß, was das für ein Ort war«, sagte sie aufgeregt. Ihre Augen leuchteten so grün wie die Blätterbaldachine in Tyrian. »Erinnerst du dich daran, dass wir die Legende einer untergegangenen Stadt namens Kurimah Milani gehört haben, als wir in Yarim Paar waren und unter der Entudenin gebohrt haben, um der Provinz ihr Wasser wiederzugeben?«

Achmed lächelte gequält. »Nein. Als die Handwerker der Bolg in Yarim Paar waren, sind wir nicht gerade mit ausgesuchter Höflichkeit empfangen worden, und man hat uns auch keine Legenden mitgeteilt. Wir haben Tag und Nacht gebohrt, dabei Blut geschwitzt und das feindselige Starren sowie die Späße der Idioten ertragen, die wir einfach in der Hitze am Durst hätten sterben lassen sollen. Du hingegen warst Gast dieses verrückten Herzogs Ihrman Karsrick, wenn ich mich recht erinnere. Ich nehme daher an, dass du Zeit hattest, Legenden und Sagen zu sammeln.« Er hielt inne, als er sah, wie sich ihre Miene verdüsterte, und erinnerte sich daran, dass nicht er, sondern sie es damals gewesen war, die sich für die bessere Unterbringung und Behandlung der Bolg-Arbeiter eingesetzt hatte. »Erzähl mir die Geschichte.«

Rhapsody stand auf und hielt das Kind eng an sich gedrückt.

»Ich kenne nicht die ganze Geschichte; ich habe nur Bruchstücke gehört. In der ältesten Zeit, lange bevor die Cymrer zu diesem Kontinent kamen, gab es angeblich eine sagenumwobene Stadt namens Kurimah Milani irgendwo hier in der Gegend, im Windschatten der nördlichen Berge. Ich bin mir über den Ursprung des Namens nicht im Klaren, aber die Klänge, aus denen er zusammengesetzt ist, enthalten alle Töne, die zur Heilung beitragen, so wie das rote Spektrum deines Lichtfängers. Ich habe Teile der Geschichte von den Shanouin-Priesterinnen gehört, dem Stamm der Brunnengräber, die allein in der Lage sind, im Wüstenklima von Yarim Wasser aufzuspüren. Die Shanouin stammen angeblich von den Einwohnern Kurimah Milanis ab, aber die Stadt ist schon vor so langer Zeit untergegangen, dass selbst die Shanouin nicht mehr wissen, ob das die Wahrheit oder nur eine Legende ist.

Ansonsten weiß ich nicht viel darüber, außer dass es ein Ort mit heißen, stark mineralhaltigen Quellen gewesen sein soll, die angeblich aus den Manganbergen gespeist wurden. Die Legenden besagen, dass diese heißen Quellen Heilkräfte und andere magische Fähigkeiten für jene bereithielten, die das Glück hatten, darin baden oder davon trinken zu können. Das ist alles; diese Überlieferungen sind so alt, dass niemand, der jetzt noch lebt, sich deutlicher an sie erinnern kann. Vielleicht war das alles nichts als ein Trugbild im Wind, eine Erfindung, die sich die Wüstenbewohner in der heißen Jahreszeit erzählt haben, wenn das Wasser knapp war und der Durst sie ein wenig wirr im Kopf gemacht hatte.