»Bitte erspar dir weitere Beschreibungen«, warf Rhapsody ein. »Ich glaube, wir haben verstanden.«
Der Dhrakier lächelte kalt und sprach wieder zu Achmed. »Das hier ist der einzige Ort auf der ganzen Welt, an dem diese Spezies von Bienen lebt. Sie wurden aus der alten Welt hergebracht, von einem Ort, den es nicht mehr gibt, und während der Jahrhunderte sind sie gewachsen und einzigartig geworden. Wenn jemand in diese Gewölbe hinabsteigen sollte, mit einem Flammenwerfer vielleicht, könnte er alle Bienen dieser Art auf einen Schlag vom Antlitz der Erde tilgen.« Seine Stimme wurde noch tonloser und leiser. »Genauso verhält es sich mit einem anderen Gewölbe.«
»Du sprichst in Rätseln«, sagte Achmed düster. »Vielleicht habe ich vergessen zu erwähnen, dass ich Rätsel hasse. Was willst du?«
Der Dhrakier schenkte ihm einen stechenden Blick. »Ich bin gekommen, um dich zur Jagd zu führen, an der du schon seit langem hättest teilnehmen sollen. Du wirst gebraucht, Ysk. Die Zeit wird knapp.«
Ein sarkastisches Lächeln kroch über das Gesicht des Bolg-Königs. »Und wieder redest du mich mit dem Namen an, der mir verliehen wurde, als man vor mir ausspuckte, und der so schmählich und abstoßend ist, wie ein Name nur sein kann. Warum sollte ich dir helfen? Ich habe meine eigene Verantwortung und muss meine eigenen Lasten tragen. Ein ganzes Königreich erfordert meine Aufmerksamkeit.«
»Ja«, sagte der Mann mit dem kantigen Kiefer. »Du bist der Mörderkönig, wie ich gehört habe. Ich habe dich mit dem einzigen Namen gerufen, den ich für dich hatte, auch wenn du ihn schon vor langer Zeit abgestreift hast, weil derjenige, den du danach erhalten hast – der Bruder –, es dir erlaubte, im Wind nicht mehr aufspürbar zu sein.«
»Das war der Sinn, der dahinter steckte.«
»Mein ganzes Leben lang habe ich nach dir gesucht«, sagte der Dhrakier. »Ich kannte dich schon, bevor du geboren wurdest; so ist es bei allen Brüdern.« Seine Stimme wurde sanfter, als ob der Wind den Sand in ihr fortgetrieben hätte. »Die Zherenditck, die an der Jagd teilnehmen und die Oberwelt auf der Suche nach den F’dor durchstreifen, haben ein gemeinsames Band, das Raum und Zeit übersteigt. Sie sind eines Geistes, und so wissen alle, was einem von ihnen zustößt. Aber du bist kein Zherenditck, du bist ein Dhisrik, einer der Ungezählten, ein Dhrakier, der keine Blutsbande zur Kolonie hat und daher außerhalb des gemeinsamen Geistes steht. Du begreifst das Band zwischen uns nicht, was sehr seltsam für jemanden ist, der in Bruder für alle, doch keinem gleich umbenannt wurde. Du hast Blutsverwandte, Ysk – oder wie immer du jetzt genannt werden willst –, Blutsbrüder, die seit deiner Geburt den Wind nach dir durchstöbern. Deine Mutter war eine von uns, eine der Gefangenen. Wir haben deine Empfängnis beobachtet, sie erfahren, sie genauso durchlitten wie deine Mutter, wenn auch nicht in derselben Stärke.
Wir suchten umsonst all die Jahre und auf der ganzen weiten Welt. Du warst unauffindbar. Dann, als einer der anderen Dhisrik, Halphasion, uns die Nachricht schickte, du seiest bei ihm aufgenommen, umbenannt, ausgebildet und deiner dhrakischen Abstammung und des damit eingehergehenden Blutpaktes bewusst gemacht worden, warteten wir darauf, dass du zu uns kommst und an der Uranfänglichen Jagd teilnimmst. Aber du hast dich trotz des tiefen Rufs in deinem Blut nicht dazu gezwungen gefühlt, obwohl du ihn gehört und seine Macht bei deiner Umbenennung eingesetzt haben magst. Stattdessen hast du einer leichteren Stimme gelauscht, einem Ruf aus der oberen Welt, der dich zu den Belangen der irdischen Menschen hingezogen hat – zu Macht, Bequemlichkeit, Freundschaft, Sicherheit. Wer weiß, welche Freuden und Verbindlichkeiten dich von dem fortgelockt haben, was uranfänglich in dir ist, und dir erlaubt haben, das Unleugbare zu leugnen. Es ekelt mich an, daran zu denken, dass so etwas bei einem von uns möglich ist. Ich habe dir die Atemluft genommen, weil ich sehen wollte, ob auch die letzte Obszönität möglich ist – ob einer der Brüder zum Gastkörper für einen F’dor geworden ist. Ich freue mich, dass dem nicht so ist und kein verdorbener Geist versucht hat, mich anzubetteln oder zu beschwatzen oder in einen anderen Körper zu schlüpfen, als du dem Tode nahe warst. Aber ich muss gestehen, dass es mich nicht überrascht hätte, wenn dies geschehen wäre, da du das Unleugbare geleugnet und dem, was in deinen Adern kreist, keine Beachtung geschenkt hast. Vielleicht haben dich die Firbolg richtig benannt. Es liegt etwas Scheußliches in einem Bruder, der die Nadeln in seinen Adern spürt, das Brennen auf der Haut und das Rasen des Blutes kennt, das unsere Bürde ist, und der trotzdem nicht an der Jagd teilnimmt.
So bin ich hergekommen, um dies herauszufinden, Mörderkönig: ob du mehr König oder mehr Mörder bist.«
Achmeds Gesicht war eine Maske der Gelassenheit, doch seine verschiedenfarbigen Augen leuchteten mit einer Intensität, die Rhapsody Angst machte.
Seine Antwort ging in einem plötzlichen Schrei aus dem Nebelmantel in ihren Armen unter. Der Laut durchdrang den Lärm der Bienen, übertönte das Plätschern des Rinnsals und hallte in den Ruinen des Bades wider.
Alle drei Männer fuhren zusammen. Rhapsody riss vor Entsetzen die Augen auf. Sie schaukelte das Bündel, griff zwischen die Falten des Mantels und versuchte, das Kind zu beruhigen, doch das Schreien wurde nur noch heftiger und ging in ein hohes Kreischen über, das lauter denn je zuvor war.
»Meridion, Meridion, psst, nein, nein«, flüsterte sie und unternahm den nutzlosen Versuch, ihrem Kind die Brust zu geben. »Gute Götter, bitte nicht, du weckst die Drachin auf.« Aber das Kind kreischte weiter; sein klagendes Geschrei brach sich an den Wänden der Höhle und legte sich über das tiefe Summen.
Denn im Gegensatz zu seiner Mutter wusste das Kind bereits, dass die Drachin erwacht war.
33
Die Drachin hatte bereits das Bewusstsein wiedererlangt, bevor sie ihren Namen hörte.
In ihrem leichten Schlaf waren die Träume, in denen sie anfangs geschwelgt hatte, immer trostloser geworden. Obwohl es Augenblicke des Feierns und Beifalls in ihrem Leben gegeben hatte, waren es doch nur wenige und weit auseinander liegende gewesen, wenn man sie mit den Jahrhunderten des Misstrauens, der Täuschung, Ablehnung, Intrigen, Kriege, Morde und Schändungen verglich, die schließlich zu weiteren Jahrhunderten der Verbannung, des Exils und der Einsamkeit geführt hatten. Bald waren die glücklichen Erinnerungen aufgebraucht und so oft wiederholt, dass sie keinen Trost mehr zu spenden vermochten.
Sie zuckte im Schlaf und kämpfte darum, die unangenehmen Gedanken im Zaum zu halten, doch allmählich versammelten sie sich vor den Toren ihres Geistes wie Rebellenhorden, die auf Eroberung aus waren.
Der Honig und das Wachs, die sie in dem Glauben verschlungen hatte, es handele sich dabei um heilenden Sonnenschein, klumpten in ihrem Magen, überzogen ihre Kehle und würgten sie. Die Bienen, die sie angegriffen hatten, hatten ihrer festen Haut nur geringen Schaden zugefügt; sie verspürte dort keine Schmerzen, aber die Stiche, die in ihre Augen gedrungen waren, hatten diese anschwellen lassen und verursachten in ihr aufs Neue brennende Wut.
Als daher der Name ausgesprochen wurde, wenn auch weit entfernt in einer anderen Kammer des Bades, drang er ihr sofort ans Ohr und klang wie eine Zimbel in ihrem Hirn.
Rhapsody, tritt zur Seite und geh aus dem Kanal heraus.
Die wunden Augen der Bestie öffneten sich weit in der Dunkelheit des zerstörten Bades und warfen ein unheimliches blaues Licht in die Finsternis.
Rhapsody.
Zuerst war das Erwachen ein Kampf. Ihr Geist, in dem der Name der verhassten Frau summte, fing Feuer und brummte vor heftiger Energie, doch der Körper, der von innen durch die Scherben zerrissen worden war, die noch in ihm stecken, reagierte nur langsam; er brauchte weiterhin Ruhe und Heilung. Die Drachin nahm all ihre Willenskraft zusammen und erhielt allmählich die Gewalt über ihre Glieder zurück. Sie streckte die Beine und Unterarme, dann die Klauen, bis sich ihre Muskeln im süßen Schmerz kontrollierter Bewegungen anspannten.