Der östlichste Teil der Stadt, der unter dem Namen Juwelenstraßen bekannt war, war der eleganteste; er hatte wunderschöne Wirtshäuser, teure Speiselokale und gut ausgestattete Läden, die mit allen möglich Waren aus der bekannten Welt sowie mit den Erzeugnissen der berühmtesten Weber und Goldschmiede Golgarns handelten, welche die außergewöhnlich weiche Wolle der heimischen Bergschafe und die Saphire, Rubine und Turmaline aus den Minen in den Bergen verarbeiteten.
Je weiter man von den Juwelenstraßen wegging, desto schlichter wurden die Angebote. Der Mittelpunkt der Stadt, der um ein riesiges Wohnheim mit dem Namen Seemannsrast herumgebaut war, war ein sauberes, freundliches Gebiet mit vielen Gaststätten und Läden für die Arbeiter und Arbeiterinnen der Stadt und für all jene, welche zur See fuhren und eine ruhige, friedliche Nacht verbringen wollten, bevor sie wieder ausliefen.
Weiter im Westen, bei den weniger besuchten Piers und den Fischerdörfern, waren die Läden und Bierhäuser heruntergekommener. Hier zogen die ärmeren Söhne Golgarns schon seit unvordenklichen Zeiten den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien aus dem Wasser. In diesen Stadtteilen war das Leben rauer, die Polizei weniger sichtbar, doch die Marinesoldaten und die bewaffnete Küstenwache waren niemals allzu weit entfernt. Der Handel übers Meer zog auch unangenehme Elemente an, und so hatte Golgarn eine der am besten ausgerüsteten Seestreitkräfte der bekannten Welt, nicht um einen Seekrieg zu führen oder mit ihren Armadas andere Hafenstädte zu bedrohen, sondern um Piraten und anderen Abschaum des Meeres fernzuhalten, der die Küstennationen als Beute ansah.
Als Dranth und Yabrith im verdämmernden Nachmittagslicht über die Kaianlagen gingen, suchten sie über ihren Köpfen nach dem Zeichen eines Schmieds. Bald wurde es deutlich, dass die Luft über den Fischräucherbuden eine andere Farbe hatte als über den Geschäften, die dauerhaftere Güter verkauften; also verließen sie die Straßen in unmittelbarer Hafennähe und begaben sich tiefer in den westlichen Distrikt hinein, wo schmale Gassen zwischen geschwärzten Steingebäuden verliefen, deren Läden und Treppen zum größten Teil zerfallen oder in der salzigen Luft verrottet waren.
Vor einem solchen Haus, dessen Ladenfront wie ein gähnendes Maul geöffnet war, befand sich ein Fass mit einem roten Metallreifen darum. Beißender schwarzer Rauch stieg aus dem breiten Kamin und quoll auch aus der Front des kleinen Hauses, wodurch die Öffnung zur Straße hin noch mehr wie ein dämonischer Mund aussah. Ein harsches, tiefes Rasseln drang aus dem Laden.
»Das ist die letzte Adresse«, flüsterte Yabrith.
Dranth schlenderte zur Tür, fächelte den Rauch beiseite und schaute hinein.
Ein schwerer Mann mit muskulösen Armen und einem vorstehenden Bauch schlug mit einem enormen Vorschlaghammer auf einen Amboss und brachte einen rot glühenden eisernen Reif in Form. Sein beinahe haarloser Kopf wurde von einem schneeweißen Kranz gekrönt, dem einzigen Teil von ihm, der zumindest annähernd hell war, so sehr war er mit Ruß bedeckt. Sein Gesicht glänzte rot in der Hitze des Schmelzfeuers, und er grunzte bei jedem Hammerschlag auf. Drei dürre Jungen wechselten sich an einem alten, zerknitterten Blasebalg ab.
Dranth unterdrückte sein Missfallen und trat durch den Rauch.
»Jan Burgett?«
Der Mann am Amboss schaute auf. Er schlug noch zweimal kurz auf den Reif ein und legte dann den Hammer neben den Amboss.
»Wer will das wissen?«
»Ich überbringe dir Grüße von meiner Kusine in den Bergen«, antwortete Dranth. Das war eine Parole, die nur jene kannten, die mit den dunkelsten Geheimnissen der Gilde vertraut waren.
Der schwere Mann atmete tief ein und dämpfte das Feuer. Er drehte sich um und brüllte über seine Schulter: »Taffi! Komm her und kümmere dich um den Amboss. Ihr Lehrlinge, macht weiter mit dem Blasebalg.«
Ein dicker, schwarzhaariger Mann mit wieselartigem Gesicht tauchte aus dem hinteren Bereich des Raumes auf. Der schwere Mann nahm seine Lederschürze ab und warf sie ihm zu, dann wischte er sich die Hände an der Hose ab und kam herüber zu Dranth und Yabrith.
»Hat deine Kusine auch einen Namen?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Dranth. »Sie heißt Esten.«
»Hmmm«, meinte der Mann. »Dann glaube ich, dass ich Jan Bürgert bin. Was wollt ihr Herren von mir?«
»Ich will dir ein Geschäft vorschlagen«, sagte Dranth.
Der Mann grinste breit. »Hat dein Pferd ein Hufeisen verloren?«
»Ja«, sagte Dranth mit beißender Schärfe. »Genau das.«
Der breite Mann kicherte, nickte Taffi zu und bedeutete den beiden Männern, ihm zu folgen.
Er führte sie schweigend aus der von Rauch erfüllten Schmiede und durch die schmale Gasse zurück zum Kai. Dranth und Yabrith waren solches Schweigen gewöhnt.
Sie folgten ihm an baufälligen Hütten und Rasthäusern vorbei, an Tavernen und Herbergen, bis sie schließlich zum Wasser kamen. Der Mann, der sich Jan Burgett nannte, pfiff fröhlich, während sie sich dem Kai näherten, und ging geradewegs auf ein langes Dock am westlichen Ende der Stadt zu, das bereits mitten im Fischerdorf lag.
Die Nacht brach herein, und niemand schenkte ihnen Aufmerksamkeit. Dutzende Fischer kamen, entluden ihren zweiten Fang des Tages, leerten die Ausbeute ihrer Muschelfallen und Hummertöpfe in Wagen und Pferdekarren, die entlang des Kais standen, und begossen die Schalentiere mit Meerwasser. Was um sie herum vor sich ging, beachteten sie nicht. Die Unruhe dieser abendlichen Tätigkeiten war so ansteckend, dass niemand bemerkte, wie die drei Männer vorübergingen.
Dranth und Yabrith wechselten einen raschen Blick, als der Schmied auf die lange Pier stieg und auf deren Ende zuging. Keiner von beiden war je auf dem Wasser gewesen, keiner hatte je zuvor das Meer gesehen, doch Dranth hatte Eis in den Adern, und Yabrith hatte so viel Angst vor Dranth, dass er ihm nichts verweigern konnte. Nach ganz kurzem Zögern betraten beide behutsam die schwankende Pier und folgten dem schweren Mann bis ans Ende.
Während sie dahingingen, beobachteten sie beunruhigt, wie der Mann sich umdrehte und über das Wasser schritt – so schien es jedenfalls. Doch als sie das Ende der Pier erreicht hatten, sahen sie, dass er in einem kleinen Boot stand und soeben ein zusammengerolltes Seil von den rauen Planken warf, die als Sitze dienten. Der Mann schaute zu ihnen hoch und grinste.
»Kommt an Bord, meine Herren«, sagte er.
»Wohin fahren wir?«, wollte Dranth wissen, dessen dunkle Augen nervös Pier und Wasser absuchten.
Der Schmied zuckte die Schultern. »Ich dachte, ihr wollt Jan Burgett sehen«, meinte er fröhlich. »Mein Fehler – ich wünsche euch noch einen schönen Tag.«
Dranth stieß laut die Luft aus und sah in Richtung des offenen Meeres. In der Ferne erkannte er einige Boote mittlerer Größe, die zwar weit draußen, aber noch innerhalb des Hafengeländes vor Anker lagen. Er musste zugeben, dass ein solcher Ort ein ausgezeichneter Schlupfwinkel für ein Unternehmen wie den Spinnenhaufen darstellte. Es war ein bewegliches Versteck, das an allen Seiten von Wasser umgeben war, und es bestand kaum die Gefahr, dass man belauscht wurde.
Die beiden Wüstenbewohner rissen sich zusammen und stiegen in das Ruderboot. Yabrith stolperte und fiel auf die Knie, als das Boot unter ihm schaukelte, was den Schmied sehr erheiterte. Er bot Dranth seine Hand an, doch der Gildenprinz schüttelte den Kopf und kletterte vorsichtig hinunter. Dabei verursachte er nur ein sehr geringes Schwanken. Er setzte sich auf die glitschige Planke, schluckte seinen Ekel herunter und versuchte sich nicht von dem Geruch überwältigen zu lassen.