Der Schmied nahm am anderen Ende des kleinen Bootes Platz, steckte die Ruder in die Riemendollen und ruderte auf die anderen Boote zu.
Während der ganzen Fahrt versuchten Dranth und Yabrith, den Inhalt ihrer Mägen bei sich zu behalten. Wasser war ein wertvolles und seltenes Gut in Yarim; daher waren der Anblick des endlosen Meeres und der dazu gehörige Geruch sowie die Bewegungen überwältigend. Als das kleine Boot die anderen erreicht hatte, waren beide Männer zur offensichtlichen Freude des Schmieds grün im Gesicht. Der Mann ruderte weiter, bis sie den Rand der Ansammlung von Schiffen erreicht hatten, wo Kabinenkutter und muschelverkrustete Schleppnetzfischer anmutig auf den Wellen schaukelten.
Als sie näher kamen, pfiff der Schmied eine fröhliche Melodie, die durch das Geräusch der plätschernden Wellen drang, welche gegen die Bootsrümpfe schlugen. Allmählich sank die Sonne hinter den Rand der Welt und tauchte das Meer in ein rotes Licht, das nun einem gekräuselten Teich aus Blut ähnelte.
Kurz darauf erschien ein kleiner runder Mann mit einer dunkelblauen Kappe und Jacke an Deck des nächstgelegenen Schiffes. Mit den Händen in den Hosentaschen stand er da und beobachtete das herannahende Ruderboot.
Als es schließlich längsseits gekommen war, sicherte der Schmied die Ruder und stand auf. Er ergriff das Seil und warf es dem runden Mann zu, der es mit einer so raschen Bewegung auffing, dass Dranth nicht einmal gesehen hatte, wie er die Hände aus den Hosentaschen genommen hatte. Die beiden Männer aus Golgarn vertäuten das Boot an den Halterungen des anderen Schiffes; dann stieg der Schmied mit leichten Bewegungen aus und kam an Deck. Er drehte sich um und bedeutete Dranth und Yabrith, ihm zu folgen.
Die beiden yarimesischen Mörder schauten einander an.
»Kommt ihr?«, fragte der Schmied geduldig.
Dranth erhob sich langsam und trat vorsichtig über das Dollbord, wobei er versuchte, nicht hinunter auf das grüne Meer zu schauen, das zwischen den beiden Booten lauerte. Er trat an Deck und glitt auf der salzigen Gischt aus, doch es gelang ihm, das Gleichgewicht wieder zu finden. Rasch drehte er sich um und zog Yabrith hinüber, dann deutete er ungeduldig auf den Schmied, der kichernd hinter dem Bug des Schiffes verschwand.
Die beiden Männer aus Yarim folgten ihm rasch. Als sie ebenfalls den Bug umrundet hatten, stellten sie fest, dass sie auf einen ganzen Korridor aus Booten starrten, die Nase an Nase lagen und sanft auf den Wellen schaukelten. Während einige dieser Boote offene Skiffe waren, handelte es sich bei den meisten um Schleppnetzfischer und Hausboote mit dunklen Kajüten, in denen Lichter unheilverkündend flackerten.
Der Schmied erschien wieder, sechs Boote entfernt.
»Kommt ihr Herren zurecht?«, fragte er fürsorglich. »Oder habt ihr vor, zurückzuschwimmen?« Er lachte laut auf und verschwand in der Schwärze des Hausbootes.
Dranth und Yabrith holten gleichzeitig tief Luft und bahnten sich langsam und vorsichtig einen Weg zwischen den Vertäuungen entlang, während das rote Licht auf dem Meer allmählich zum Grau der herannahenden Nacht verblasste.
36
In der dunklen Kajüte vor ihnen brannte eine Kerze.
Dranth spähte in das Innere.
»Kommt doch bitte herein. Es ist unhöflich, in der Tür stehen zu bleiben.«
Die Stimme war volltönend und tief, aber sie hatte etwas Messerscharfes an sich. Körperlos drang sie aus der Schwärze der Kajüte. Dranth suchte nach ihrem Ursprung, doch die Schatten waren zu dicht und bewegten sich andauernd unter dem Schaukeln des Bootes. Er riss sich zusammen und trat durch die Öffnung.
In dem kleinen, offenen Raum flammten weitere Kerzen auf. Dranth, dem solche Versammlungstaktiken nicht fremd waren, blieb ruhig und wartete darauf, dass die Beleuchtung die Schatten vertrieb. Er sah Schemen in den Ecken; sie waren so weit von den Kerzen entfernt, dass er sie nicht genau erkennen konnte, doch sie waren nahe genug, um ihre Anzahl deutlich werden zu lassen. Den Umrissen zufolge war einer von ihnen der Schmied. Dranth schätzte, dass sich zusätzlich zu ihm und Yabrith, der noch in der Tür stand, acht Personen im Raum befanden. Er schnippte mit den Fingern, und sein Handlanger trat ein.
Die flackernde Kerze, die schon die ganze Zeit über gebrannt hatte, erglühte heller, als weitere Dochte an ihr entzündet wurden. Dranth sah, dass ein schmaler Mann mit roten Haaren und dünnen, scharfen Gesichtszügen dies erledigte. Seine Augen waren riesig und eulenhaft, sie glommen wie Leuchtfeuer in der Finsternis. Als sich das Licht im Raum ausbreitete, erkannte er, dass der Mann drahtig und nicht sonderlich groß war. Seine blasse Haut war von der Sonne gegerbt und faltig vor Alter und vielleicht auch vor übermäßig genossenem Alkohol.
»Und wer besucht uns an diesem schönen Abend?«, fragte der rothaarige Mann.
»Dranth von der Rabengilde«, antwortete der Kronprinz. »Ich komme unter der Schutzherrschaft des Goldenen Maßes.«
Einige der dunklen Gestalten im Raum tauschten Blicke aus, doch der Rothaarige nickte bloß. Diese Parole war nur den Gildenhierarchen bekannt, seien es Kaufleute, Handwerker oder Diebe. Dranth hatte sie benutzt, um bestätigt zu bekommen, was er bereits vermutet hatte. Der Mann am Tisch war der Anführer des Spinnenhaufens.
»Ist das so, Dranth von der Rabengilde?«, fragte der Rothaarige beiläufig. »Und was willst du?«
»Ich suche Jan Burgett.«
»Du hast ihn gefunden«, meinte der Mann. »Und welchem Umstand verdanke ich das Vergnügen deines Besuchs? Das ist das erste Mal, dass einer aus deiner Gilde persönlich herkommt. Für gewöhnlich haben wir uns mit eurer Herrin durch Brieftauben unterhalten.«
Dranths dunkle Augen nahmen in dem Zwielicht einen Ausdruck der Ungeduld an.
»Ich muss dir einen Vorschlag machen, der zu wichtig ist, um ihn einem Boten anzuvertrauen.«
»Ach, wirklich?«, meinte der Mann, der sich Jan Bürgert nannte, belustigt. »Wir fühlen uns natürlich geehrt. Was ist das denn für ein bedeutsamer Vorschlag? Und warum ist eure Herrin nicht persönlich hergekommen, wenn er so wichtig ist?« Er deutete auf zwei Stühle vor dem Tisch. »Bitte setzt euch. Ihr seht etwas grün im Gesicht aus.«
Dranth wusste nicht, ob der Gildenmeister ihn auf die Probe stellen wollte oder ob die Nachricht die fernen Ufer Golgarns noch nicht erreicht hatte, doch er entschied, dass angesichts der Entfernung kaum ein Risiko bestand, wenn er die Wahrheit sagte. Und angesichts der Flaschen mit Gift, die er an seinem Körper versteckt hatte und gegen das er und Yabrith immun waren, das aber bei einem Angriff auf ihn sofort zum Einsatz kommen würde.
Er setzte sich und bedeutete Yabrith durch ein Nicken, dasselbe zu tun.
»Esten ist tot. Sie wurde ermordet«, sagte er nur. Die Worte waren hart für ihn. Beim Gedanken an das, was geschehen war, fraß immer noch der Schmerz in seinen Eingeweiden. »Ich spreche jetzt für die Gilde.«
Die Schatten im Raum tauschten erneut Blicke aus. Aus einer Ecke drang sogar ein Laut des Erstaunens, wie Dranth mit Befriedigung feststellte. Der Ruf seiner Herrin war allgemein bekannt.
Und das zu Recht.
Nur der Rothaarige schien unbeeindruckt zu sein.
»Es tut mir leid, das zu hören«, sagte Burgett. »Wie lautet dein Vorschlag?«
Dranth verschränkte die Hände auf dem Tisch vor sich. »Ich brauche deine Hilfe dabei, einige Informationen zu säen, die für einen Freund von mir wichtig sind«, sagte er geradeheraus. »Es ist eine einfache Aufgabe, und sie ist leicht zu erledigen, besonders wenn man die Neigung des Spinnenhaufens in Betracht zieht, andauernd sein Hauptquartier zu verlagern.«
Bürgert grinste breit und enthüllte dabei bemerkenswert weiße Zähne.
»Ja, so sind wir wirklich«, sagte er. »Wie unsere Namensvettern. Ich vermute, du hast schon einmal Dockspinnen oder vielleicht ihre in der Wüste wohnenden Vettern gesehen, die mit einzigartiger Kunstfertigkeit ihre Netze in Traufen oder zwischen Zaunpfählen oder um Pylone spinnen. Dann kommt jemand mit einem Besen oder einem Stück Stoff und zerstört diese wundervolle Schöpfung mit einem einzigen Wisch, aber am nächsten Morgen ist das Netz wieder da, entweder an derselben Stelle oder an einer anderen, aber genauso großartig.«