Faedryth beäugte den Archonten. »Schickt Euren Diener weg«, sagte er ruhig.
Achmed schaute nicht einmal auf, sondern gab Trug mit dem Kopf das Zeichen, zu gehorchen. Trug hüstelte höflich und verließ den Raum, wobei er sehr erleichtert aussah.
»In Ordnung, was also wollt Ihr?«, fragte der Bolg-König erneut. »Oder braucht Ihr zuerst ein heißes Bad und ein paar Kekse?«
Faedryth blähte die Nüstern und runzelte erneut die Stirn.
»Eure Anmaßung ist genau der Grund dafür, dass ich hier bin«, sagte er. »Noch einmal, Ihr geht mit Kräften um, die Ihr nicht versteht, doch das hält Euch nicht auf, ja es veranlasst Euch nicht einmal dazu, Eure Pläne zu überdenken. Ich muss allerdings sagen, dass mich das nicht überrascht, jedenfalls nicht in Eurem Fall.« Er drehte sich um und sah Rhapsody an. »In Anbetracht Eurer Ausbildung und Berufung, Herrin, muss ich jedoch gestehen, dass ich entsetzt bin, Euch an einem so gefährlichen und unratsamen Vorhaben beteiligt zu sehen.«
Achmed rollte die Augen. »Nicht das schon wieder«, sagte er. »Habe ich nicht Euren Botschafter vor ein paar Monaten hinausgeworfen, als er mir genau diese Forderung von Euch überbrachte? Ich glaube, ich war in meiner Antwort ziemlich eindeutig. Ich habe ihm befohlen, sie Euch in deutlichen Worten zu überbringen, und wenn ich mich recht erinnere, war sie ziemlich klar ausgedrückt. Dennoch seid Ihr nun hier, in meinem Land und ohne meine Einladung. Geht, Faedryth. Ich finde Eure Sorge bestenfalls unaufrichtig und schlimmstenfalls scheinheilig, wenn man bedenkt, dass Ihr denselben Apparat gebaut habt, den ich Eurer Meinung nach nicht zusammensetzen darf.«
»Ihr seid ein überheblicher Pferdearsch«, gab Faedryth wütend zurück. »Ja, ich habe das ursprüngliche Gerät gebaut, von dem Ihr sprecht. Es wurde von einem Mann entworfen, der mehr Genie in seinen abgeschnittenen Zehennägeln hatte, als Ihr in Eurem ganzen Königreich finden könnt, selbst wenn die cymrische Herrscherin gerade hier ist. Dennoch war es eine unkluge Sache. Ihr begreift nicht die Risiken, die Ihr eingeht. Wenn nur Euer verdammtes Königreich auf dem Spiel stünde, könntet Ihr es meinetwegen in die Luft blasen, zusammen mit Eurer ganzen elenden Bevölkerung. Aber leider kann Eure Dummheit und Unvernunft den Untergang für uns alle bedeuten – für uns alle! Und ich habe nicht vor, das mit anzusehen.«
»Er lebe hoch!«, erwiderte der Bolg-König. »Im Gegenteil zu dem, was Ihr glaubt, Faedryth, habe ich ebenfalls nicht vor, das mit anzusehen.«
»Es ist genau dieser Glaube, zu wissen, was Ihr tut, der Euch so gefährlich macht, Achmed«, sagte Faedryth. »Das überrascht mich eigentlich nicht.« Er wandte sich an Rhapsody. »Und was Euch angeht, Herrin, so bin ich enttäuscht, feststellen zu müssen, dass Ihr an dieser Sache beteiligt seid. Ich hatte geglaubt, Ihr wüsstet es besser.«
»Ich bin hier, um diesem Projekt mein Wissen zur Verfügung zu stellen, und hoffe, damit seinen Erfolg zu garantieren«, meinte Rhapsody. »Und, ehrlich gesagt, Euer Majestät, fühle ich mich von Euren Vermutungen über den Bolg-König und mich beleidigt. Wir mögen zwar alle grob zueinander sein, aber wir sind immer noch Verbündete.«
Faedryth seufzte und sah plötzlich älter aus, als er in Wirklichkeit war.
»Bitte denkt noch einmal darüber nach«, sagte er mit sanfterer Stimme. »Ihr wisst nicht, welches Risiko Ihr eingeht.«
Endlich schaute Achmed auf. Er warf den Federkiel, mit dem er Bemerkungen neben Rhapsodys Zeichnungen geschrieben hatte, auf den Tisch und ging hinüber zu dem viel kleineren Mann. Er schaute hinunter auf das breite Gesicht des Nain-Königs, betrachtete es für einen Augenblick und senkte dann den Schleier, der seine Nase und seinen Mund vor den stechenden Schwingungen der Welt abschirmte.
»Hör mir zu«, sagte er abfällig. »Du wüsstest nicht einmal, dass ich den Lichtfänger erneuere, wenn du nicht selbst einen hättest, mit dem du unser Land ausspionierst. Ich weiß zwei Dinge viel besser als du, Faedryth. Erstens ist mir im Gegensatz zu dir klar, wie diese Magie funktioniert, oder wenigstens hat Rhapsody eine Ahnung davon. Mir ist bewusst, dass das Gerät, welches du besitzt, das Schlafende Kind, das in der Erde liegt, aufzuwecken droht.« Er lächelte schwach, als er den Ausdruck der Überraschung auf dem Gesicht des Nain-Königs sah. »Ja, Majestät, im Gegensatz zu dem, was du glaubst, gibt es andere auf dieser Welt, die die Überlieferungen genauso gut wie du kennen, wenn nicht gar besser. Wenn ich nicht die Notwendigkeit verspüren würde, die Macht dieses Apparates zu meiner Verfügung zu haben, damit ich etwas ansonsten Unumkehrbares verhindern kann, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, damit meine Zeit zu verschwenden. Schließlich gibt es noch viele unschuldige Menschendörfer zu überfallen und so viele fette, entzückende Kinder zu fressen.
Zweitens habe ich tatsächlich das gesehen, was du zu wecken befürchtest, Faedryth – mit meinen eigenen Augen habe ich es gesehen. Und wenn du glaubst, dass dein kümmerlicher Umgang mit Mächten, die du nicht verstehst, gerechtfertigt ist, dann erlaube mir, dich zu korrigieren. Die Nain wären die ersten, die verschlungen werden, falls das Schlafende Kind erwachen sollte: Es wird aus den Tiefen der Erde unter den Bergen aufsteigen, der Hitze des Feuerflusses folgen und dabei zuerst jedermann in deinem Königreich verschlucken, bevor es den Rest der Welt verzehrt. Du kannst mir vertrauen, wenn ich sage, dass ich in dieser Angelegenheit nicht auf deine Weisheit, sondern auf meine eigene höre. Und nun verschwinde aus meinen Bergen und geh zurück in deine eigenen. Wir brauchen deinen Rat hier nicht.«
Der Nain-König starrte ihn mit unverhülltem Erstaunen an, das einen Augenblick später zu schwarzer Wut zerschmolz. Er ging hinüber zu Rhapsody und drückte ihr den samtenen Sack in die Hände.
»Ich muss sagen, Herrin, dass die abscheuliche Grobheit Eures Freundes mich nicht im Geringsten schockiert, wohl aber bin ich entsetzt über Euch. Wenn irgendjemand die Gefahren kennt, die sich beim Spiel mit dem uranfänglichen Wissen ergeben, dann doch wohl eine lirinische Benennerin.«
»Noch einmaclass="underline" Niemand spielt hier mit etwas, Euer Majestät«, sagte Rhapsody. »Ich entschuldige mich für Achmeds Unhöflichkeit. Aber angesichts dessen, was sich gerade ereignet, gibt es keine Grenzen der gewöhnlichen Diskretion mehr. Wir brauchen jedes Mittel, das uns zur Verfügung steht, um die Berge und jene zu schützen, die in ihnen leben, sowie auch alle anderen Mitglieder des Bündnisses. Sorbold giert nach Krieg, und die heilige Stadt Sepulvarta scheint bereits in seinen Klauen zu sein. Ich hoffe, Ihr werdet uns beistehen, wenn die Zeit gekommen ist und Ihr gebraucht werdet.«
»Ich vermute, heute habt Ihr mich zum letzten Mal gesehen, Herrin«, sagte der Nain-König verbittert. »Wir haben uns wegen der Selbstsucht und Dummheit eines männlichen und eines weiblichen Herrschers, die an diesem Ort hier regiert haben, schon einmal in unser Land zurückgezogen. Ich hatte gehofft, dass eine solche Situation nie wieder eintreten würde, doch leider scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Möget Ihr durch Euren Versuch, die Vernichtung abzuwenden, nicht dieselbe herbeiführen.«
Er drehte sich auf dem Absatz um, schritt aus dem Thronsaal und schlug die große Tür hinter sich zu.
Der Lärm hallte durch den Raum und löste den Staub von den Säulen, welche die Decke trugen.
»Was ist in dem Sack?«, fragte Grunthor, nachdem es wieder still geworden war.
Rhapsody löste den Riemen und öffnete den Sack. Darin befand sich ein kleines Kästchen aus purem Gold. Sie hob den Deckel und stellte fest, dass es mit schwarzem Elfenbein ausgekleidet war, einer toten Gesteinsformation, die angeblich allen Methoden des Hellsehens widerstand.
Darin lag ein einzelnes Stück aus brüchigem, hauchdünnem und durchscheinendem Material. Sanft nahm sie es in die Hand und fühlte sich plötzlich, als wäre die Welt um sie herum an ihr Ende gekommen.