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»Gerald! Gerald Owen! Komm sofort her und befreie mich von diesem Ungeheuer!«

Das Kammermädchen starrte ihn noch einen Moment lang verblüfft an, vergrub dann das Gesicht in den Händen und rannte laut heulend aus dem Zimmer.

Als sie fort war, schien etwas in der Luft um Ashe herum zu zerspringen. Der cymrische Herrscher wusste nicht, ob es ein Zauber war, eine Falle wie ein unsichtbares Spinnennetz, das von bösen Mächten gewoben worden war, um ihn seiner geistigen Gesundheit zu berauben.

Oder es war das Zerspringen gerade dieser geistigen Gesundheit.

Ashe spürte jeden klappernden Schritt, als Portia die Treppe hinunterlief; und die Nerven seiner Haut nahmen das Schlagen jeder Tür auf ihrem Weg nach draußen wahr. Er war seltsam dankbar dafür, dass ihr Jammer so schnell vergangen zu sein schien. Ihre Ruhe war fast sofort zurückgekehrt, denn ihr Herz schlug wieder in normalem Rhythmus, ihr Atem ging langsamer, und besonnen packte sie rasch ihre Sachen und schoss dann durch die Hintertür in die Nacht hinaus, ohne darauf zu warten, dass ihr der Kammerherr den Weg nach draußen zeigte. Er schloss die Augen und hoffte, dass dieselbe Ruhe nun auch wieder zu ihm zurückkehren würde. Er beobachtete Portias Fortgang, bis er ihre Gegenwart auf seinen Ländereien nicht mehr spürte und nicht länger den Duft von Vanille und süßer Seife, von Holzrauch und Wiesenblumen in den oberen Bereichen seiner Nebenhöhlen roch. Er bemerkte nicht, wie stark seine Hände zitterten oder wie schnell sein Herz schlug. Als der Kammerherr in einem ruhigeren Augenblick zu ihm kam, bereute Ashe bereits seinen Wutanfall und wurde von Reue sowie dem Verlangen gequält, seine Tat wieder gutzumachen.

Er erkannte, dass er beinahe einen Fehler begangen hätte, der ihn mehr als die ganze Welt gekostet hätte.

Portia rannte hinaus in die Nacht. Zwar klopfte ihr Herz wild, doch sie besaß die Ruhe von jemandem, der schon viele solcher Vertreibungen überlebt hatte.

Sie wanderte unter dem Mond die kalten Pfade des Waldes entlang, bis sie zu einem schattigen Tal kam, in dem die knospenden Blätter in all dem geisterhaften Leuchten um sie herum schwarze, spitzenartige Schatten auf den Boden warfen.

Sie bebte unter der Kälte; ihr Körper war nie gut gepolstert gewesen, und die Kühle der Nachtluft sank in ihre Haut ein und ließ sie erzittern.

Er wird mir nachlaufen, dachte sie. Er bereut schon, was er getan hat, und wenn die Gewissensbisse ihn überwältigen, wird er in die Nacht hinauslaufen und mich suchen.

Und wird mich wieder in sein Haus bringen.

Heute Nacht wird es endlich vollzogen werden, dachte sie freudig und rieb sich frierend die Arme. Heute Nacht wird er mich in seine Arme nehmen und zu seinem Bett tragen. Ich werde ihn ganz besitzen. Ich werde ihn bis auf die höchsten Klippen der Lust reiten, und während er sich in mich bohrt, werde ich mich in seine Seele bohren. Ich bin vielleicht nicht in der Lage, den Schatten seiner Frau zu vertreiben, aber sie wird mich in ihm finden, wenn sie zurückkehrt.

Und dann wird alles beginnen.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis ihn Gewissensbisse beschlichen und sich in ihm festsetzten.

Ashe stand vom Tisch auf und ging wieder zum Sprachrohr.

»Komm, Owen«, rief er seinen Kammerherrn. »Ich bin ein Esel gewesen. Ich wollte sie nicht allein und ohne Schutz in die Nacht hinausschicken. Sattle mein Pferd. Wir müssen sie finden und herbringen. Und dann soll Tristan dafür sorgen, dass er sie mitnimmt, wenn er morgen nach Bethania zurückkehrt.«

42

Die Hallen von Canrif Ylorc

Wie Ashe vorhergesagt hatte, kehrten die Albträume tatsächlich zurück.

Während der Reise hatte Rhapsody sie kaum wahrgenommen. Zu vieles hatte sie beschäftigt, während sie, Achmed und Grunthor in großer Eile nach Westen und in die Wüste hinausgeritten waren. Als sie mit ihrem Kind im Schlepptau die schützenden Arme ihres Mannes verlassen hatte, war die Angst vor den Augen, die über und unter der Erde nach ihrem Kind suchten, für sie albtraumhaft genug gewesen. Schlechte Träume hatte sie in dieser Zeit kaum bemerkt; die Wirklichkeit war noch schlimmer gewesen.

Als sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, hatten Rhapsody und Meridion an Grunthors massiger Brust geschlafen, genau wie damals, als sie entlang der Wurzel durch den Bauch der Erde gereist waren. In jener Zeit waren die schlechten Träume besonders lebhaft gewesen, doch wenn auch Grunthor nicht in der Lage gewesen war, sie wie Ashe oder Elynsynos völlig zu verscheuchen, so hatte er doch wenigstens eine breite, raue Oberfläche abgegeben, auf der sie erstaunlich warm und bequem hatte schlafen können. Auch war er recht gut darin gewesen, sie von ihren Träumen abzulenken und während des Grauens der Nacht mit ihr zu reden, wenn er der Meinung gewesen war, dass er sie wecken musste. Dieses Geschick hatte er auch heute noch nicht verloren, und besonders hatte er es genossen, das winzige Kind zu wiegen und sich mit ihm einzurollen.

Doch nun war das Kind fort, und sie waren zurück in Ylorc bei den Firbolg, die sie misstrauisch wie jemanden beäugten, der weggegangen war und sie allein zurückgelassen hatte, oder wie eine Königshure oder einfach nur wie ein leckeres Essen.

Rhapsody war wieder allein.

Sie regte sich zwischen den Leinenlaken, die das große Bett in ihrer stillen Kammer in den inneren Hallen Canrifs bedeckten. Es hatte ihr nie besonders gefallen, in den kalten Bergen zu sein, und in der Zeit, die sie damals im Bolgland verbracht hatte, war sie meistens in Elysian gewesen, in dem kleinen Haus, das einst Gwylliam für Anwyn erbaut hatte, als sie noch ineinander verliebt gewesen waren oder dies zumindest vorgegeben hatten.

Rhapsody rollte sich im Schlaf auf die andere Seite und seufzte stoßweise. Sie vermisste das kleine Haus auf der Insel mitten im unterirdischen See. Es war ein Ort verborgener Magie, an dem sie sich zum ersten Mal sicher gefühlt hatte, seit sie in die neue Welt gekommen war. Dort hatten sie und Ashe sich ineinander verliebt, oder zumindest hatten sie sich zum ersten Mal ihre Gefühle füreinander eingestanden. Sie hatten einen kurzen, aber wundervollen Frühling dort verbracht, die purpurfarbenen kristallinen Höhlen erforscht, und sie waren im dunklen Wasser geschwommen, unter dessen Oberfläche fadenartige Steinformationen und Unterwasserstalagmiten traumhafte Kathedralen aus gedämpften Farben gebildet hatten. In das Firmament der Höhle waren sorgfältig Dutzende Löcher gebohrt, durch welche die Strahlen des Sonnenlichts hindurchfielen und das Anlegen von Gärten möglich machten. Rhapsody hatte viele glückliche Stunden damit verbracht, sich um die jungen Bäume zu kümmern, Blumen und Kräuter zu pflanzen und ihre Kindheit erneut zu durchleben, die sie in einer einfacheren Zeit auf einem Gehöft inmitten der Weiten Marschen von Serendair verbracht hatte.

Nun, da sie wieder einmal allein und verängstigt in der Dunkelheit von Ylorc steckte, war sie wehrlos gegen die Dämonen der Nacht, die in ihrem Kopf hausten. So lange sie sich erinnern konnte, war sie hellsichtig gewesen und hatte die Zukunft und manchmal auch die Vergangenheit in ihren Träumen gesehen, und deshalb betäubte sie sich nicht oder nahm Kräuter, die ihren Schlaf so tief gemacht hätten, dass ihr Verstand nicht verarbeiten konnte, was sie im Traum sah, denn sie wollte nichts Wichtiges verpassen und unbedingt wissen, ob diejenigen, die sie liebte, in Sicherheit waren.

Also gab sie sich den Träumen hin – den schrecklichen Anblicken brennender Schiffe in einem Hafen, der in Flammen stand; den Bildern von entsetzten Einwohnern, die vor Soldaten davonliefen, welche vom Pferd aus mit Schwertern angriffen; den großen geflügelten Umrissen, die durch den Nachthimmel schossen und feurigen Tod auf die Riedgrasdächer der Häuser unter ihnen regnen ließen.

Doch hauptsächlich träumte sie von Ashe.

Die meisten dieser Träume waren erschreckend, es sei denn, sie setzte ihre Fähigkeiten als Sängerin ein und griff durch die Wellen der Zeit mit der Musik nach ihm, die sie studiert hatte. Nacht für Nacht sah sie ihn in ihrem Schlaf, frierend und wandernd, manchmal in den Wellen des Meeres treibend, verloren ohne die Familie, die so wichtig für ihn war und die der Drache in ihm als sein Eigentum ansah. Selbst Hunderte von Meilen entfernt spürte sie die Entwicklung im Geist ihres Gemahls, als der Drache in seiner Seele an die Oberfläche stieg, während der gebrochene Mensch in die Schatten zurückwich.