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Melisande nickte, ergriff die Zügel ihres Pferdes und machte sich bereit, Gavin zu Fuß zu folgen.

Aus der Ferne drang ein trauriges Jammern durch den Wind. Es war ein hoher, dunkler Ton, der für einen Moment unverändert blieb und dann die Tonleiter hinabfiel, bis er verstummte.

Das Haar im Nacken des Mädchens war plötzlich feucht, und ein kaltes Zittern durchlief seinen Körper. Es versteifte sich, genau wie das Pferd, das es am Zügel führte.

Gavin drehte sich nicht um. »Habt keine Angst«, sagte er leise. »Geht einfach weiter und bleibt dicht hinter mir.«

Ein Chor wie von Tierstimmen flog auf dem Wind herbei und jammerte eine misstönende Antwort. Sie schienen näher als die erste Stimme zu sein – oder lauter.

»Wölfe?«, flüsterte Melisande. Von ihrem Kindermädchen hatte sie düstere Geschichten über diese Tiere gehört, und sie hatte zugehört, wie sich die Dienerschaft mit gedämpften Stimmen über sie unterhalten hatte, obwohl Melisande da schon längst im Bett hätte sein sollen.

Sie hörte den Fürbitter vor ihr leise lachen.

»Es ist nichts so Dramatisches«, erwiderte er mit noch immer leiser Stimme, doch sie war nun stärker geworden. »Das sind Kojoten. Vielleicht auch wilde Hunde oder Halbblute.«

»Ist das nicht dasselbe?«

»Keineswegs. Ein einzelner Wolf belästigt nur selten einen Menschen, aber in Rudeln sind sie gefährlich, denn sie haben eine starke Rangordnung und einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Wenn man allein von Wölfen umringt wird, schwebt man in großer Gefahr. Kojoten sind zumeist Feiglinge; sie sind Aasfresser ohne Gruppenverhalten, und sie sind kleiner und schwächer als Wölfe und jagen höchstens Hasen und Maulwürfe oder fressen das, was andere Jäger übrig gelassen haben. Wenn Ihr einen Spazierstock habt – oder in Begleitung eines Erwachsenen seid, der einen hat, kann Euch nichts geschehen. Habt keine Angst, Herrin Melisande Navarne.« Der Fürbitter blieb vor einem schwarzen, tiefen Waldteich stehen, dessen Ränder von kleinen Wasserlilien gesäumt waren.

»Schnallt Eure Bettrolle ab, während ich Feuer mache«, befahl er, als die beiden Pferde vortraten, sich beugten und tranken. Melisande verspürte plötzlich ebenfalls Durst und wollte dem Beispiel der Tiere folgen. Sie tauchte die Hand in das Wasser, hob sie an die Lippen, doch Gavin schüttelte den Kopf. »Das würde ich Euch nicht raten, es sei denn, Ihr möchtet eine Hand voll Froschlaich oder, besser noch, Kaulquappen schlucken.« Er schnaubte erheitert, als das Mädchen angeekelt wegsprang, ausspuckte und sich die Hand abwischte.

»Warum heißt dieser Tümpel Elfenteich?«, fragte sie, während sie die dicke Matte auf dem moosigen Grund ausbreitete. Neugier hatte den Ekel abgelöst.

Der Fürbitter war gerade dabei, das Feuer aufzuschichten.

»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich glaube, so heißen alle kleinen, von einer Quelle gespeisten Teiche. Ich habe nie danach gefragt.«

Melisande setzte sich auf ihre ausgebreitete Bettrolle.

»Ihr wisst das nicht? Ihr seid der Fürbitter der Filiden, der oberste Naturpriester der ganzen Welt und Wächter aller heiligen Wälder, oder? Ich dachte, Ihr wisst alles über Elfen, Naturgeister und diese magischen Sachen. Wenn Ihr es wissen wolltet, wen würdet Ihr denn fragen?«

»Vingka«, sagte der Fürbitter zu dem kleinen Bündel aus Reisig und trockenem Gras. Das Holz entzündete sich, und Flammen leckten hoch. Gavin drehte sich zu dem Mädchen, dessen Augen weit aufgerissen waren, und betrachtete es nachdenklich. »Nun, das ist eine gute Frage«, gab er zu. »Ich weiß es wirklich nicht. Ich vermute, ich hätte Llauron fragen können, wenn ich daran gedacht hätte, aber leider war keine Zeit dazu. Ich habe nicht als sein Tanist gedient und hatte daher nicht viel Zeit, alles von ihm zu lernen, was man für das Amt des Fürbitters wissen muss.«

Melisande öffnete ihren Wasserschlauch. »Habt Ihr je Elfen bei einem Elfenteich gesehen?«, fragte sie, bevor sie trank.

Der Fürbitter schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht sicher, ob es sie noch gibt, auch wenn alte Cymrer, die ich sehr respektiere, mir berichtet haben, dass sie vor langer Zeit da waren, bevor die Magie in der Welt gestorben ist.«

Melisande nahm noch einen Schluck, trocknete sich die Lippen und verschloss den Schlauch wieder. »Ich würde nicht sagen, dass die Magie tot ist, wenn man bedenkt, dass Ihr und Rhapsody mit einem einzigen Wort Holz in Brand setzen könnt.«

Erneut schüttelte Gavin den Kopf. »Einige Leute mögen das Magie nennen, aber eigentlich ist es nur elementares Wissen – eine Kraft, die aus den Tagen der Weltenschöpfung übrig geblieben ist«, sagte er ernsthaft. »Magie war verwickelter. Sie war aus elementarer Überlieferung gebildet, aber sie benötigte eine gewisse Atmosphäre, in der sie überleben konnte. Als die Schwester des Großen Weißen Baumes, die uralte Eiche, die unter dem Namen Sagia bekannt war, zusammen mit der Insel Serendair zerstört wurde, aus der unser beider Vorfahren kamen, hat dies viel Magie aus der Welt genommen, Herrin Melisande von Navarne. Jetzt ist die Welt ein dunklerer Ort als damals, und sie wird immer noch dunkler.« Er betrachtete das Kind in den Flammenschatten. »Aber angesichts dessen, was Ihr in Eurem Leben schon durchgemacht habt, muss ich Euch das wohl nicht sagen.«

Melisande atmete tief ein, stieß die Luft langsam wieder aus und dachte nach. »Mein Vater hat das nicht geglaubt«, sagte sie schließlich. »Er glaubte an Elfen und Magie, an Ehre und Ritterlichkeit und daran, dass man sich an die Ideale der glorreicheren Zeiten halten soll, denn wenn man das tut, kehren sie eines Tages zurück. Ich glaube, das war der Grund dafür, warum er sich so sehr um sein cymrisches Museum gekümmert hat. Ich habe ihm dabei geholfen, die Statuen zu polieren und die Ausstellungsstücke abzustauben, und dabei hat er mir von der großen Zeit der Luminaria erzählt, des Zeitalters der Vernunft, als die Cymrer gewaltige Städte und Kathedralen errichteten und große Fortschritte in Wissenschaft, Musik und Literatur erzielten. Er war stets der Meinung, dass wir diese Zeiten zurückholen können, wenn wir die Erinnerung an sie aufrechterhalten.«

Gavin lehnte sich gegen einen Baum, während die Pferde von dem Teich zurückwichen.

»Euer Vater war ein großer Mann, Melisande von Navarne«, sagte er leise und ohne eine Spur von Sarkasmus. »Möge er hinter dem Schleier in Frieden ruhen.«

Ein weiterer Chor aus unheimlichem Geheul durchbrach die Stille, nun war er viel näher als vorhin.

Als der Fürbitter aufstand, rutschte Melisande vom Feuer weg und erhob sich mit einer raschen, geschmeidigen Bewegung.

»Steigt auf Euer Pferd«, sagte Gavin, ergriff die Zügel der Stute und hielt sie still. Melisande gehorchte, tastete nach dem Sattelknauf, und der Fürbitter schob sie rasch hoch. Dann gab er ihr seinen Stab. »Haltet ihn fest. Ihr werdet ihn nicht brauchen, aber Ihr werdet Euch besser mit ihm fühlen.«

Dann drehte er sich um und ging vom Feuer weg. Die Schatten schienen sich aufzutun und ihn zu verschlucken.

Melisande wartete auf ihrem Pferd und hielt den Stab nervös gepackt. Nun, dachte sie wehmütig, du wolltest doch Verantwortung übernehmen und Abenteuer erleben, du dumme Gans. Wie gefällt es dir? Sie schaute sich in dem Tal um, in dem Gavin das Lager aufgeschlagen hatte, und glaubte funkelnde Augen in der Dunkelheit hinter dem Rand des Feuerscheins zu sehen.

Ein weiteres Heulen brach plötzlich ab, und aus der Ferne hörte sie die gedämpften Laute knackender Zweige und ein Rascheln von Blättern, das nicht vom Wind herrührte. Der Mond brach durch die Wolken über dem Blätterdach und goss silbernes Licht über die Bäume. Sie erglänzten unheimlich, und ihre noch nackten Äste zuckten bedrohlich in der Düsternis.

Melisande unterdrückte ihren Drang, nach dem Fürbitter zu rufen, und wartete.

Der Wind wisperte durch das Tal, fuhr durch das Gras und die frisch aus der Knospe gekommenen Blätter; das Feuer zitterte und knisterte.