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Endlich erschien der Fürbitter am Rande des Tales. Wie immer verursachte er keinen Laut auf seinem Weg, doch seine Miene war grimmig und sein Körper angespannter als vorhin.

»Was ist los?«, fragte Melisande. Ihre Stimme war kaum mehr als ein ersticktes Flüstern. »Wohin sind die Kojoten verschwunden?«

Der Fürbitter betrat wieder den Kreis des Feuerscheins.

»Ich habe sie vertrieben«, sagte er. »Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir aufbrechen sollten.«

»Warum? Wenn sie weg sind, können wir doch bis zum Morgen warten, oder?«

Gavin seufzte. »Das zweite Heulen, das Ihr gehört habt, kam von einer anderen Meute, die die erste vor unserer Gegenwart gewarnt hat«, sagte er ernst. »Das erste Heulen war ein Ruf, zur Nahrung zu kommen. Sie haben sich an etwas die Bäuche vollgeschlagen, das wie der Leichnam einer Frau aussieht; es ist schwer zu sagen. Sie ist unkenntlich.«

In Melisandes Ohren rauschte es plötzlich.

»Ihr habt doch gesagt, dass Kojoten Menschen normalerweise nichts tun, besonders nicht Erwachsenen.«

»Das tun sie auch nicht«, sagte der Fürbitter. »Ich glaube nicht, dass sie die Frau getötet haben. Seltsam – nicht einmal die Waldläufer, die den heiligen Gwynwald südlich von hier durchstreifen, würden dieses Land betreten. Ich frage mich, was die Frau hier gemacht hat, denn dieser Ort ist heilig seit Anbeginn der Zeit.«

»O nein«, flüsterte Melisande. »O nein.« Der Fürbitter senkte den Blick und sah sie an. »Ich … ich habe etwas vergessen, das ich Euch von Rhapsody sagen sollte.«

»Und worum handelt es sich?«

Melisande kämpfte gegen die Tränen. »Ich sollte Euch sagen, dass die Waldläufer die Wälder nach einer vermissten Firbolg-Hebamme namens Krinsel absuchen sollen, und falls sie auf sie treffen, soll sie mit Respekt behandelt und sicher zu einer Karawane nach Ylorc gebracht werden. Aber ich … ich habe das in all der Aufregung vergessen.« Sie zitterte so heftig, dass Gavin rasch die Arme ausstreckte und sie von ihrem Pferd hob, das inzwischen ungeduldig an Ort und Stelle tänzelte.

»Ist schon in Ordnung«, sagte er besänftigend, oder zumindest sollte es der Versuch einer Besänftigung sein. »Jetzt habt Ihr es mir gesagt. Wir werden auf dem Weg zum Drachennest nach ihr Ausschau halten.«

»Aber was ist, wenn diejenigen Waldläufer, die als Erste aufgebrochen sind, ihr begegnet sind und sie umgebracht haben, weil sie nicht wussten, dass sie ihr nichts antun sollten?«, beharrte Melisande.

»Waldläufer sind dazu ausgebildet, Wanderer zu begleiten und zu beschützen und nicht, sie umzubringen, es sei denn, sie werden bedroht«, erklärte der Fürbitter. »Wenn sie auf eine Bolg-Frau gestoßen wären, die sich in den Wäldern verirrt hat, dann hätten sie mir darüber Bericht erstattet und sie zurück in den Kreis gebracht. Auf keinen Fall hätten sie einen Leichnam für die Aasfresser zurückgelassen; das widerspricht jeder filidischen Gewohnheit. Sie wäre verbrannt worden. Ich weiß nicht, was dieser Frau zugestoßen ist, falls es sich bei ihr tatsächlich um Eure vermisste Bolg-Hebamme handelt, aber ich weiß, dass ihr Schicksal kein anderes gewesen wäre, wenn Ihr früher von ihr berichtet hättet. Sucht nicht nach Gründen, um Euch Sorgen zu machen, Herrin Melisande von Navarne. Ihr werdet noch mehr als genug davon bekommen, wenn wir uns der Drachenhöhle nähern. Kommt jetzt. Da vorn ist ein Dickicht, in dem wir die Nacht in Sicherheit und annähernder Ruhe, wenn auch nicht in Frieden verbringen können.«

Das Mädchen nickte und erlaubte dem Waldläufer, es von dem Elfenteich wegzuführen, dessen dunkles Wasser die dahineilenden Wolken vor dem schimmernden Mond widerspiegelten.

44

Hinter den Mauern der Hohen Warte, Nördliches Navarne in der Nähe der Provinz Bethania

Als Rath das Tal erreichte, brannte seine Kehle unter dem beißenden Geschmack ätzenden Blutes.

Vorsichtig glitt er durch die Schatten und folgte dem Summen in seiner Kehle und seinen Nebenhöhlen sowie dem Gefühl, als würden Nadeln durch seine Adern treiben. Rath bezwang seinen angeborenen Hass, unter dem er die Zähne zusammenbiss und sein Herz wie wild raste, und konzentrierte sich stattdessen auf das dämonische Flüstern des Namens, das im Wind knapp außerhalb seiner Sichtweite schwebte. Jeder Schritt, bei dem sein Herz zehn Schläge tat, brachte ihn seinem Ziel näher. Rath bemühte sich, ruhig zu bleiben. Nach einer so langen Reise und so vielen Jahrhunderten der Verfolgung wäre es eine Katastrophe, die Bestie in diesem Moment zu verlieren, wenn sie sich schon fast in seiner Reichweite befand.

Seine nachtsichtigen Augen erkannten etwas am Rande seines Blickfeldes. Etwas hing am Ende des dünnen Klangfadens, das böse im Mondlicht glitzerte und zwischen den Zweigen wie ein Spinnengewebe hing, flüchtig und tödlich. Selbst die Gefahr, zu der dieser Faden führte, hielt Rath nicht davon ab, einen Atemzug lang seine wunderbare Schönheit zu betrachten. Es war der sichtbar gewordene Kirai, die unzerreißbare Verbindung zwischen seinem ererbten Windwissen und dem schwarzen Feuer des F’dor.

Nur noch wenige Schritte, dachte er. Langsam.

Tausendjährige Erfahrung hatte ihn gelehrt, niemals den Wirt des Dämons, den er suchte, vorauszuahnen. Er hatte F’dor aufgespürt, die sich an ganz unterschiedliche Männer, Frauen und Kinder geklammert hatten. Rath hatte keine Angst vor der Gestalt, die das Ungeheuer angenommen hatte. Er hatte unbeteiligt zugesehen, wie die Köpfe der Kleinkinder, in denen sich die Bestien versteckt hatten, am Ende des Rituals explodierten, denn Rath ließ sich nicht beeinflussen. Doch er war neugierig. Er schloss die Augen und schmeckte den Wind auf seiner Zunge.

Hrarfa.

Der Name erklang klar wie eine Glocke in seinen Nebenhöhlen. Sein Herz und das des Dämonenwirtes schlugen in vollkommenem Gleichklang.

Rath war sich sicher, dass er seine Beute gefunden hatte. Er schlug die Augen wieder auf und näherte sich still dem kleinen Tal.

Im Mondlicht stand eine Frau mit dem Rücken zu ihm; ihr langes Haar glänzte in Wellen aus dunklem Silber. Sie reckte sich lässig im Mondschein, fuhr sich mit den Händen über die Schultern und durch die Haare. Es war ein langsamer, sinnlicher Tanz, als wolle sie das himmlische Licht in sich aufnehmen. Rath sog die Luft ein. Den wenigen Geschichten zufolge, die über die Wirte dieses Dämons bekannt waren, ließ sich Hrarfa selten in weiblicher Gestalt blicken, die eigentlich dem Wesen des körperlosen Dämons am nächsten kam.

Er sah es als glückliches Zeichen an, dass das Wesen angemessen sterben wollte.

Portia lächelte. Im bleichen Licht des zunehmenden Mondes hatte sie nichts gehört und nichts gesehen. Nichts als Schatten bewegten sich in dem dunklen Tal; dennoch spürte sie eine Gegenwart. Der Wind hatte aufgefrischt und umschmeichelte ihre menschliche Gestalt wie ein Geliebter, wisperte mit flüchtigen Küssen über ihre Haut und spielte in ihren Haaren.

Das frei werdende Feuer in ihrem giftigen Geist knisterte vor Freude sowohl über das erotische Gefühl, das der Wind auf ihrer Haut verursachte, als auch darüber, dass sie ihre Falle erfolgreich aufgestellt hatte. Im Gegensatz zu vielen ihrer Brüder, welche die menschliche Gestalt als eine widerliche Notwendigkeit für das Überleben in der Oberwelt ansahen, hatte sie die Gelüste, die ihre fleischliche Hülle ihr verschafften, als ein Wunder kennen gelernt, das sie sowohl genoss als auch begehrte. In der Beherrschung eines Wirtes, in der Verfolgung und Ergreifung eines neuen Körpers lag eine große Lust, und es war ein wunderbares Vergnügen, den ursprünglichen Eigentümer besonders schmerzhaft zu verschlingen, was sie wie nichts sonst erregte und ihr das Gefühl gab, lebendig zu sein. Außerdem verschafften ihr die Wirtskörper die beruhigende Empfindung, fest und wirklich zu sein, was der natürlichen Unsicherheit des Seins, die der Fluch eines jeden F’dor war, so sehr widersprach.