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»Wie ich sehe, hast du diese guten Ratgeber in meiner Abwesenheit viel zu lange und bis in die Nacht hinein beansprucht«, sagte Rhapsody zu ihrem Gemahl, während sie behutsam einen halb aufgegessenen Putenschenkel zur Seite schob, der auf einem Tablett inmitten zerknüllter Pergamente und leerer Freundschaftsbecher auf dem Tisch vor ihr lag. Dann betrachtete sie den Unrat, der in Haufen auf dem Rest des Tisches und an etlichen anderen Stellen der Bibliothek lag. Ashe rollte mit den Augen und seufzte theatralisch. »Die Revision der orlandischen Zollgebührenstruktur«, sagte er mit gespielter Verzweiflung.

»Aha. Nun, das erklärt alles.« Sie wandte sich an den jungen Gwydion Navarne, der zu ihrer Linken saß. »Wo wart ihr in euren Beratungen, als ich euch unterbrochen habe, Gwydion?«

»Wir waren an einem toten Punkt bei der Frage angekommen, ob Nahrungsmittel vom Zoll ausgenommen sind, wie es die Provinz Yarim beantragt hat, weil während der letzten zwei Wachstumsperioden dort Dürre geherrscht hat«, sagte der junge Mann.

»In der Tat«, stimmte Ashe ihm zu. »Canderre, Avonderre und Bethania sind gegen einen Verzicht auf solche Zölle, während Bethe Corbair ihm zustimmt.«

»Bethe Corbair hat eine gemeinsame Grenze mit Yarim und infolgedessen nicht die Transportkosten, die Avonderre hat«, wandte Martin Ivenstrand ein, dessen Küstenprovinz am weitesten von Yarim entfernt lag.

»Ich erinnere mich nicht, dass Yarim bereit gewesen wäre, in der Vergangenheit die Zölle auf Opale und Salz herabzusetzen, als Beschränkungen im Seehandel unsere Staatseinkünfte bedrohten«, sagte der alte Cedric Canderre, der Herzog jener Provinz, die seinen Namen trug und bekannt für die Herstellung von Luxusgütern, feinen Weinen und Delikatessen war. »Ich begreife nicht, warum diese Dürre etwas anderes sein soll als die Hindernisse, denen Canderre und die anderen Provinzen von Roland gegenüberstanden.«

»Weil diese Dürre meine Provinz zum Armenhaus macht, du Narr«, brummte Ihrman Karsrick, der Herzog von Yarim. »Diese so genannten Hindernisse haben euren fetten Staatsschätzen nicht einmal eine Kerbe zugefügt, und das wisst ihr. Yarim hingegen sieht sich einem Massenweisen Hungertod gegenüber.«

Rhapsody lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah Tristan Steward an. »Und wie ist Bethanias Position, Tristan?«

»Wir haben gewiss Verständnis für Yarims Notlage«, sagte der Prinz sanft. »Daher sind wir mehr als geneigt, ihnen großzügige Zahlungsfristen hinsichtlich der Zölle einzuräumen.«

Belustigung flackerte in Rhapsodys grünen Augen auf, doch ihr Gesicht und ihre Stimme blieben teilnahmslos. »Wie freundlich von Euch.«

Tristan Stewards milder Blick verhärtete sich ein wenig. »Mehr als das, Rhapsody. Bethania ist es zu verdanken, dass dieser Punkt überhaupt innerhalb des cymrischen Bündnisses zur Sprache gebracht wurde«, sagte er. Eine gewisse Heftigkeit stahl sich in seine ansonsten warme Stimme. »Bisher hatte jede Provinz Rolands das Recht, ihre eigenen Zölle festzusetzen, wie es ihr geraten erschien, ohne Einmischung einer, äh, höheren Autorität.« Sein Blick begegnete dem von Ashe. »Auf dem Konzil, das Euch zum Herrn und zur Herrin der Cymrer bestimmte, wurde uns versichert, die Souveränität unserer Gebiete werde innerhalb des Bündnisses respektiert.«

»Ja, diese Versicherung wurde ausgesprochen, und daran hat sich nichts geändert«, sagte Rhapsody rasch und bemerkte den düster werdenden Gesichtsausdruck ihres Gemahls. Sie wandte sich wieder an den jungen Mann, der bald seinen Platz an diesem Tisch als Herzog von Navarne einnehmen würde.

»Was ist deine Meinung dazu, Gwydion?«

Gwydion Navarne rutschte auf seinem Stuhl hin und her und lehnte sich dann vor.

»Es ist wichtig, die örtlichen Zollrechte anzuerkennen, doch ich glaube, es gibt manchmal noch wichtigere Dinge«, sagte er schlicht. Seine junge Stimme klang heiser. »Nahrungsmittelknappheit ist eines davon. Warum sollten diejenigen von uns, die mit fruchtbarerem Land und reichlich Nahrungsgütern gesegnet sind, übermäßig vom Leid einer orlandischen Schwesterprovinz profitieren, anstatt ihr in Zeiten der Not beizustehen?«

Der Herr der Cymrer lächelte schwach. »Dein Vater hätte dieselbe Lösung angeboten«, sagte er zu Gwydion Navarne, während er noch immer dem Blick Tristan Stewards standhielt. »Du bist ein genauso mitleidsvoller Mann wie er.«

»Nun, es tut mir Leid, wenn ich mich an einer heiklen Stelle der Beratung einmische, doch vielleicht kann ich eine andere Lösung für das Zolldilemma anbieten«, sagte Rhapsody und drückte Ashes Hand.

»Teilt es uns bitte unter allen Umständen mit, Herrin«, bat Quentin Baldasarre, der Herzog von Bethe Corbair.

»Yarim braucht Wasser.« Rhapsody legte die Hände zusammen.

Die Ratgeber sahen einander verständnislos an, warfen dann Blicke über den Tisch und räusperten sich. Ihrman Karsrick runzelte die Stirn; er vermochte seine Verärgerung kaum zurückzuhalten.

»Hat Eure Hoheit eine Möglichkeit gefunden, die Wolken um Regen anzuflehen, wo Ihr doch eine Himmelssängerin seid? Oder macht Ihr Euch nur auf meine Kosten lustig, indem Ihr das Offensichtliche in Worte fasst?«

»Ich würde mich niemals in einer so wichtigen Angelegenheit über Euch lustig machen, das wäre grausam«, sagte Rhapsody rasch und hielt Ashe zurück, der hatte aufstehen wollen. »Doch Yarim hat in seiner Mitte eine große Wasserquelle, von der Ihr augenblicklich keinen Gebrauch macht, die Euch aber sicherlich vor einigen Auswirkungen der Dürre schützen würde.«

Karsricks Gesichtsausdruck wechselte von Verärgerung zu Verwirrung. »Eure Hoheit weiß, dass der Erim Rus ausgetrocknet ist, und als er im Frühling noch floss, war er mit Blutfieber vergiftet.«

»Das weiß ich.«

»Wisst Ihr auch, dass die Shanouin-Quellengräber immer seltener Oberflächenadern mit Wasser finden?«

»Ja«, sagte Rhapsody erneut. »Ich meinte die Entudenin.«

Schweigen legte sich über die dunkle Bibliothek. Das Lampenlicht wurde schwächer, als die Ölvorräte allmählich schwanden. Das Feuer im Kamin jedoch brannte stetig und heftig und warf Licht und Schatten auf die Gesichter der verblüfften Ratgeber.

Die Entudenin war vor langer Zeit ein Geysir gewesen, ein Wunder aus leuchtendem Wasser, das aus einem vielfarbigen Obelisken aus mineralischen Ablagerungen herausquoll und aus dem roten Lehm Yarims in Zyklen herausschoss, die ungefähr mit den Mondphasen übereinstimmten. Zwanzig Tage lang begoss sie die trockene Erde mit süßem Wasser, unter dem die Gegend wie eine Blume in der Wüste aufblühte. Damals hatte die Entudenin die Provinz mit flüssigem Leben beschenkt und es ermöglicht, dass die Hauptstadt Yarim Paar gebaut wurde, ein Juwel in der Ödnis am nördlichen Vorgebirge der Zahnfelsen. Außerdem hatte sie die Minenlager und Gehöfte weiter draußen gespeist. Doch vor langer Zeit war sie plötzlich versiegt. Eines Tages war die wunderbare Lebensarterie ohne Grund und Vorwarnung zu einer vertrockneten Hülle geworden, die kein Wasser mehr von sich gab. Jahrhunderte waren seitdem vergangen; der Obelisk verwitterte in der Hitze und war zu einer einfarbigen Felsformation zusammengesunken, welche die vielen Passanten auf dem Platz von Yarim Paar nicht einmal mehr wahrnahmen.

»Die Entudenin ist schon seit Jahrhunderten tot«, sagte Ihrman Karsrick so freundlich wie möglich.

»Vielleicht. Vielleicht schläft sie auch nur.« Rhapsody lehnte sich vor. Die Feuerschatten glitzerten in ihren Augen, die vor Anteilnahme leuchteten.

»Kennt Eure Hoheit ein Lied, mit dem man die Entudenin aus ihrem dreihundertjährigen Schlaf aufwecken kann?« Karsrick kämpfte wacker darum, nicht die Geduld zu verlieren.