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Fergus hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass die Stimmungen des Seneschalls wie der Wind waren: unvorhersehbar und oftmals heftig. Er hatte Gefühlsstürme ausgelöst, die stundenlang angehalten hatten und wie das Rasen eines Hurrikans gewesen waren. Doch wenn man aufmerksam hinschaute, konnte man bisweilen auch Anzeichen für ein Abflauen erkennen.

Er glaubte, nun ein solches Anzeichen zu sehen, das von Enttäuschung und Erschöpfung hervorgerufen wurde.

»Euer Ehren?«

Zuerst sagte der Seneschall nichts, doch schließlich neigte er den Kopf.

»Hmmm?«

Fergus schluckte und wagte es. »Seid Ihr bereit, an Bord zu gehen, Herr?«

Der Seneschall saß still da, bis die Sonne hoch über den bedrohlichen Klippen stand und die Gischt an ihrem Fuß mit glitzerndem Licht überschüttete. Dann nickte er, wobei er den Kopf so schräg hielt, als habe er sich das Genick gebrochen.

Er stand aufrecht, als das Beiboot an Bord geholt wurde, und kletterte heraus, sobald es sich an Deck befand. Er taumelte auf die Tür zum Laderaum zu, während die Mannschaft sich so weit von ihm entfernt wie möglich hielt.

Er kroch über die Leiter und in den schwarzen Bauch des Schiffes, und seine Brust hob und senkte sich schwer vor Verzweiflung.

Am Fuß der Leiter tastete er in der Dunkelheit herum und schlingerte mühsam, bis er endlich zu dem grünen Teich gelangte.

»Faron?«, flüsterte er. Tränen lagen in seiner Stimme.

Der rauchige Wasserspiegel brach beinahe sofort auf, als das verzerrte Kind hervorkam. Der Schmerz in der Stimme seines Vaters zauberte einen Blick der Besorgnis in seine umwölkten Augen.

Der Seneschall kniete sich auf die nassen Planken und beugte sich über den Rand des Teiches. Er schlang die Arme um den missgestalteten Körper des knochenlosen Kindes, legte den Kopf dagegen und schluchzte in tiefen, qualvollen Zuckungen.

»Tot, Faron. Sie ist tot«, jammerte er und schüttete seinen Kummer vor dem einzigen Geschöpf auf der ganzen Welt aus, dem er vertrauen konnte. »Sie hat sich von der Klippe gestürzt; das war ihr lieber, als mit mir zu kommen.« Er heulte los und war nicht mehr zu verstehen. Immer wieder murmelte er unsinnige Worte.

Faron riss vor Panik die verstopften Augen auf, dann fasste er sich wieder. Er legte seinem Vater eine verkrüppelte Hand auf den Kopf, und die verzerrten Finger mit den überlangen Nägeln liebkosten sanft das Haar des Seneschalls. Das Geschöpf gab keinen Laut von sich, sondern hörte nur dem Zornesausbruch zu, der sogar den Dunst über dem grünen Teich zum Wirbeln brachte. Schließlich kam die Kreatur auf einen Gedanken. Ohne seine Tröstungen einzustellen, griff es unter den Wasserspiegel, tastete kurz umher und holte eine dunkelgrüne Schuppe und die Haarlocke heraus, die der Seneschall ihm vor langer Zeit für seine Wahrsagungen gegeben hatte.

Unablässig streichelte Faron seinem Vater über den Kopf. Das Heulen des Seneschalls war inzwischen zu einem ruhigen Schluckauf übergegangen, während sein Sohn mit der Schale und der Haarlocke durch die blass-grünen Strömungen fuhr und sie schließlich hochhielt, um auf die eingeritzte Rune zu starren.

Die umwölkten Augen blinzelten.

Dann quiekte die Kreatur und klopfte ihrem Vater mit den arthritischen Gelenken auf die Schulter. Michael schaute niedergedrückt auf.

»Was, Faron? Was ist los?«

Der seltsame, verschlossene Mund des Geschöpfes wurde von einer scheußlichen Anspannung der Muskeln und des Hautgewebes um die Lippen verzerrt, und die schlaffe Gesichtshaut zuckte erregt. Es hielt die Schuppe hoch.

»Was ist los?«, fragte der Seneschall erneut. Allmählich begriff er, was Faron ihm sagen wollte. Er ließ den Kopf seines Vaters lange genug los, um die brüchige Haarlocke aus dem Wasser zu fischen. Faron drehte sie zwischen den gekrümmten Fingern und hielt sie über die dunkelgrüne Schuppe, dann schüttelte er verzückt den Kopf.

Der Seneschall nahm Farons Gesicht sanft zwischen die Hände.

»Schaust du durch die Todesschuppe?«

Faron nickte.

»Und du siehst sie nicht?«

Das Geschöpf nickte erneut. Erheiterung lag auf seinem missgestalteten Gesicht. Der Seneschall sah Faron eindringlich an. »Willst du damit sagen, dass ... sie ... noch lebt?«

Faron wand sich vor Glück und nickte heftig.

»Bist du sicher, Faron?«

Faron nickte wieder.

»Wo ist sie?«

Das Mutantenkind schüttelte den Kopf.

Die Augen des Seneschalls standen in Feuer, doch es gelang ihm, die Stimme ruhig zu halten, denn er wollte Faron nicht erschrecken. Er küsste ihn auf den Kopf zwischen Falten loser Haut und Büscheln weißen Haares.

»Kannst du weiter für mich hellsehen, Faron? Versuche einen Hinweis zu finden, sieh dich in jeder Richtung um.«

Das Geschöpf nickte und glitt wieder unter die Oberfläche des glimmernden Wassers. Der Seneschall sprang gestärkt auf die Beine und lief durch den pechschwarzen Laderaum.

Halt. Nicht noch einmal.

Die Stimme des Dämons, der während Michaels Elend respektvoll geschwiegen hatte, klang harsch.

Du hast nachgesehen, sagte er; schwarzes Feuer knisterte in seiner Stimme. Du hast überall gesucht, deine Männer haben den Strand in der Dunkelheit und bei Licht durchgekämmt. Da war nichts.

»Sie lebt«, gab der Seneschall zurück und ging auf die Treppe zu. »Wir müssen umkehren.«

Genug von dieser Narretei. Wir kehren umund zwar nach Argaut.

Michael kicherte, als er über die Leiter an Deck kletterte.

»Wie bitte? Und auf all die hübschen Brände verzichten?«

Brände?

»Ja«, sagte der Seneschall warmherzig, als er die Tür zur Oberwelt öffnete. »Jetzt werden sie erst richtig beginnen.«

35

Navarne

Am Morgen des Tages, an dem Ashe nach Haguefort zurückgekehrt war, trieb der Rauch aus den Feuern an der Westküste erstmals über Navarne hinweg. Er hing dünn im Sommerhimmel, färbte ihn von einem klaren Blau zu dunstigem Grau und erfüllte den Wind mit dem widerlichen Geruch von Bäumen, die noch lebten, aber bald brennen würden.

Der Geruch, der schon während des ganzen Tages Gerald Owens Nase verbrannte, reizte auch seine Augen. Er blinzelte in die graue Luft und sah die Reiter die Straße entlanggaloppieren. Sie trieben ihre Pferde zu heftig an, und ihre Rufe hatten ihr Kommen schon angekündigt, als sie noch eine halbe Meile entfernt gewesen waren.

Ashe hatte nach dem Erhalt der schlimmen Nachricht vier Tage nicht geschlafen. Dass er überhaupt noch aufrecht auf einem Pferd sitzen konnte, erschien Owen wie ein Wunder. Der Herr der Cymrer hatte zweifellos an jeder Station entlang der Postroute gehalten und die Pferde gewechselt, und zweifellos spürte er den Ritt in den Beinen und dem Hinterteil, doch er hatte sicherlich nicht darauf geachtet und das Pferd noch die letzte halbe Meile gnadenlos angetrieben.