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Ashe dachte kurz nach und drehte sich dann wieder zu Anborn um.

»Einer von uns muss sich um Rhapsodys Rückkehr kümmern, während der andere in Haguefort bleibt und ein wachsames Auge auf das Bündnis richtet, für Ordnung sorgt und die ganze Sache geheim hält. Können wir darin übereinkommen, dass ich gehe und du hier bleibst?«

Anborn schaute ihn böse an. Die Drachenhaften Pupillen in Ashes Augen dehnten sich ganz leicht, doch ansonsten zeigte er keine Regung. Schließlich nickte der General und schaute auf den Boden. Plötzlich wirkte sein Gesicht viel älter.

Ashe wandte sich an Grunthor. »Willst du mich nach Sepulvarta begleiten, Sergeant?«

»Jawoll«, sagte Grunthor. »Und Seine Majestät wird uns hier treffen, hab ihm das in der Botschaft gesagt, die ich ihm mit ’nem Vogel geschickt hab.«

Ashe seufzte auf. »Gut«, sagte er erleichtert. »Achmed kann ihren Herzschlag aufspüren. Auch wenn ich es nicht gern sage, ist er doch unsere größte Hoffnung, sie jetzt noch zu finden.« Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Anborn. »Grunthor, willst du uns bitte entschuldigen? Owen, bitte lass ein weiteres Pferd ausrüsten; es soll in zehn Minuten fertig sein. Und kümmere dich bitte um Proviant für Sergeant-Major Grunthor.«

»Ja, Herr.« Der Kammerherr wartete respektvoll darauf, dass Grunthor die Halle verließ, und folgte ihm, wobei er die schwere Tür hinter sich schloss.

Ashe ging langsam hinüber zum Stuhl seines Onkels, der aus dem Fenster schaute. Schweigend stand er dort eine Weile und betrachtete das Gesicht des alten Cymrers und die Schatten, die darüberhuschten.

»Ich weiß, welches Opfer du bringst, indem du auf meine Bitte hin hier bleibst«, sagte er schließlich.

»Ich weiß aber auch, dass Roland und der Rest des Bündnisses in deinen Händen sicher sind.«

Anborn erwiderte nichts darauf und starrte weiterhin aus dem hohen Fenster.

»Ich weiß ferner, dass sie auf der ganzen Welt keinen besseren Freund als dich hat, Onkel«, fügte Ashe ruhig hinzu. »Wenn sie zu retten gewesen wäre, hättest du es getan.«

»Geh hinaus«, sagte Anborn nur.

Ashe wartete noch einen Moment, dann drehte er sich um und verließ die Große Halle. Als er an der großen Treppe in der Eingangshalle vorbeikam, sah er, dass Gwydion Navarne auf den Stufen wartete. Seine Schultern waren breit, doch das Gesicht leichenblass. Ashe bedeutete dem Jungen, ihm zu folgen.

Als sie die Festungstore erreicht hatten, schlenderte Ashe an den Wachen vorbei und blieb auf dem obersten Absatz der Treppe stehen, welche zu der Straße hinunterführte, auf der sich Rhapsody erst vor wenigen Wochen zunächst geweigert hatte, den Wagen zu betreten, den er für ihre Reise nach Yarim bereitgestellt hatte. Er schloss die Augen und erinnerte sich an den Ausdruck gespielten Entsetzens auf ihrem Gesicht. Er versuchte, dieses Bild für immer in sein Gedächtnis zu brennen.

»Ich werde sie zurückbringen, Gwydion.«

Der Junge seufzte, sagte aber nichts.

Ashe drehte sich um und sah ihn nachdenklich an.

»Du hast diese Worte schon einmal gehört, nicht wahr?«

Gwydion nickte. »Mein Vater hat sie gesagt, als er zu der Stelle geritten ist, wo der Wagen meiner Mutter...«

»Ich weiß.«

»Wirklich?«, fragte der Junge sarkastisch. Seine Stimme wurde vor kaum verhüllter Hysterie schrill.

»Weißt du es, Ashe? Weißt du, dass sie von den Lirin angegriffen wurde? Von unseren Freunden, unseren Nachbarn, einem Volk, das mein Vater geliebt und dem er vertraut hat? Das er als seine Freunde angesehen hat ... Weißt du, dass sie ihr den Kopf abgeschnitten haben? Dass sie noch immer an ihrem Hals sägten, selbst als die Soldaten meines Vaters sie nacheinander erschossen haben? Dass sie noch immer Mellys Kinderschuhe in der Hand hielt, selbst als ...«

Er verstummte und brach zusammen. Ashe fing ihn auf und nahm ihn in den Arm.

»Niemand hat absichtlich gelogen.« Gwydion Navarne keuchte und vergrub das Gesicht an der Schulter seines Beschützers. »Meine Mutter wusste nicht, dass sie nie wieder nach Hause kommen würde, als sie mir sagte, wir würden uns bald wiedersehen. Mein Vater wusste nicht, dass er sie nicht zurückbringen konnte – außer in Stücken. Rhapsody wusste nicht, dass sie nicht zurückkehren würde, um mir zuzusehen, wie ich auf einem Turnier mit den Albatrospfeilen schieße, die sie mir aus Yarim mitgebracht hat. Und auch du kannst mir keine Versprechungen machen. Alle gehen. Und niemand kommt je zurück. Sag mir also nicht, dass du es weißt. Du weißt nichts.«

Ashe drückte seine Schultern, machte sich dann von ihm frei und schaute hinunter auf das tränennasse Gesicht des Jungen.

»Ich kenne deine Großmutter«, sagte er und lächelte leicht. »Ich weiß, dass sie mit allem kämpfen wird, was sie hat, um zu uns zurückzukommen. Ich weiß, dass sie nun sogar einen noch besseren Grund hat, nämlich das Kind, das sie zu beschützen und für das sie zu leben hat. Anstatt dir ein Versprechen zu geben, das du mir nicht abnimmst, möchte ich dich bitten, mir eines zu geben.«

Gwydion Navarne nickte schwach.

»Stehe Anborn bei«, sagte Ashe und bemerkte gleichzeitig, dass der Quartiermeister mit der Ausrüstung der Pferde beinahe fertig war. »Bleibe bei ihm und halte ihn bei Laune. Hilf ihm bei allem, was nötig ist, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, solange ich weg bin. Er hat eine schwierige Aufgabe vor sich. Hilf ihm dabei.«

»Das werde ich.«

Zum ersten Mal seit seiner Heimkehr gelang Ashe ein melancholisches Lächeln.

»Er mag dich sehr, Gwydion, und ich weiß, dass du ihn auch gern hast.«

»Ja«, sagte der Junge. »Das stimmt.«

»Pflege diese Verbindung zwischen euch beiden«, sagte der Herr der Cymrer. »Sie ist etwas Wertvolles, das ich mir immer von Herzen gewünscht habe, das aber nie eingetreten ist. Ich bin froh, dass er wenigstens in der Lage ist, diese Gefühle mit dir zu teilen. Er ist ein großer Mann.« Er senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Eine gewaltige Nervensäge, aber ein großer Mann.«

Gwydion Navarne gab sein Lächeln nicht zurück.

»Was ich von dir erbitte, ist Männersache«, sagte Ashe und bedeutete Grunthor, der reisefertig neben dem Quartiermeister stand, dass auch er zum Aufbruch bereit war. »Aber dem bist du gewachsen. Du bist schon seit langer Zeit ein Mann, auch wenn du das noch nicht mit einem Bart beweisen kannst.« Er strich über Gwydions Arm, drehte sich um und lief die Treppe hinunter.

Gwydion sah den beiden Männern nach, bis sie im Osten unter der aufgehenden Sonne außer Sichtweite geritten waren. Dann brach er in bittere Tränen aus, die wie Säure brannten.

36

Sepulvarta

Die Reise nach Sepulvarta dauerte von Haguefort aus unter normalen Umständen zu Pferde etwa sechs Tage, wenn man die Rastzeiten gering hielt. Ashe und Grunthor war das zu lang. Sie verzichteten auf jegliche Truppenbegleitung und verließen sich auf ihre angeborene oder erworbene Fähigkeit, lange ohne Schlaf auszukommen, sowie auf die gut ausgebaute Poststraße, an der man alle achtzig Meilen frische Pferde haben konnte.

Grunthor hatte sich nur sehr ungern von Felssturz getrennt. Der andauernde Pferdewechsel bedeutete, dass man keine eigenen Tiere reiten konnte. Also hatte er sich für das schwerste Kriegspferd in Hagueforts Stallungen entschieden, eine Mähre mit Lastpferdblut, und sich bei ihr bereits vorab entschuldigt, während der Quartiermeister sie bepackte.

»Armes altes Mädchen«, sagte er und betrachtete die schweren Fesselgelenke und starken Flanken.

»Ich werde dich und all die anderen Pferde ganz schön quälen. Wirst froh sein, wenn ich am Abend von dir runtersteige.« Er streichelte Schulter und Hals des Tieres. »Hmm. Hab dasselbe zu der alten Brenda im Vergnügungspalast gesagt.«

Die heilige Stadt, manchmal auch Zitadelle des Sterns genannt, lag im Südosten. Sie war ein winziger, vom Land umschlossener unabhängiger Stadtstaat, der an Roland, Sorbold und Tyrian grenzte. Die Religion des Patriarchen, die allgemein als patriarchalischer Glaube von Sepulvarta bekannt war, hatte Anhänger in allen drei Nachbarstaaten, doch während in Roland die Patriarchalier überwogen und auch Sorbold zu den Gläubigen gezählt werden konnte, war die große Mehrheit der lirinischen Einwohner Tyrians Anhänger des Fürbitters und der Filiden, der Naturpriester des Gwynwaldes.