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»An der Küste«, stammelte er und packte den Tisch noch fester. »Nördlich von Port Fallon.«

Ashe und Achmed drehten sich gleichzeitig um und eilten auf die Tür zu, doch die raue Stimme des Patriarchen hielt sie auf.

»Wartet.« Er stützte sich auf den Tisch und atmete flach. »Verlasst diesen Ort nicht, ohne mich anzuhören und mir eine Frage zu beantworten. Das schuldet Ihr mir.«

Die beiden Herrscher warteten gemeinsam mit dem Sergeant-Major schweigend darauf, dass sich der Patriarch erholte. Es dauerte nur einen kurzen Moment. Nach einigen tiefen Atemzügen kehrte die Farbe in Constantins Gesicht zurück. Er hat zweifellos während all der Jahre in der Arena mehr als genug Blut eingeatmet oder geschluckt, dachte Achmed und beobachtete, wie der alte Mann die breiten Schultern straffte, dann zu der Klingel ging und an der Kordel zog.

Einen Augenblick später kehrten die beiden Diener zurück.

»Verbrennt den Leichnam auf rituelle Weise«, befahl ihnen der Patriarch. »Legt die Asche in die Urne und reinigt den Tisch mit heiligem Wasser.« Er wandte sich wieder an Ashe und die Bolg. »Kommt mit mir zur Basilika. Ich will nicht vor diesem Mann reden, falls noch ein Funken Leben in ihm ist, denn er konnte selbst im Tod hören, was sein Bruder hörte, und es könnte auch in die andere Richtung funktionieren.«

37

Die große Basilika von Sepulvarta war der Mittelpunkt der Stadt. Sie hatte hohe Mauern aus poliertem Marmor und eine gewaltige Kuppel, die größer als alle anderen Kuppeln in der bekannten Welt war. Die unzähligen Farben und Muster der Mosaike, die den Boden und das Gewölbe bedeckten, trugen wie die ausgezeichneten Vergoldungen auf den mit Fresken geschmückten Wänden und die farbig verglasten Fenster zu dem großartigen Gesamteindruck bei, doch es war die schiere Höhe und Breite, die dieses Gebäude zum Meisterwerk aller Elementartempel machte, die große architektonische Wunder aus der cymrischen Ära waren und noch standen, während das Reich bereits zerfallen und zu Staub geworden war.

Der Patriarch führte die drei Männer auf eine zylindrische Erhebung in der Mitte des Heiligtums zu einem einfachen, in Platin eingefassten Steintisch, der den Altar der Basilika bildete. Auf diesem Altar war sein Vorgänger inmitten von Blumen und Federn rituell verbrannt worden, wie es die Begräbnistradition der Geistlichen des Glaubens von Sepulvarta vorsah.

Als der Patriarch im Mittelpunkt des Heiligtums unmittelbar unter der Öffnung stand, durch die man den Turm sehen konnte, redete er endlich. Seine Worte hallten nicht durch den gewaltigen Innenraum der Kathedrale, sondern blieben nahe bei den Ohren derjenigen, die sie hören sollten.

»Erzählt mir von diesem Mann, diesem Wind des Todes«, sagte er. Seine Stimme war tief, aber sie trug nicht weit. »Was bedeutet er für Euch, und wieso kennt Ihr ihn?«

Die drei Männer sahen sich an. Ashe sprach als Erster.

»Er ist niemand«, sagte er. Seine Augen waren vor Sorgen und Schlafmangel gerötet. »Ich weiß wenig über ihn; Rhapsody erwähnt ihn nicht oft. Er hat sie in der alten Welt gefoltert. Ich weiß das, weil sie nachts manchmal Albträume von ihm hat. Es war schrecklich, diese Träume beobachten zu müssen. Ich bin mir sicher, dass sie die schlimmste Zeit in ihrem Leben widergespiegelt haben. Aber ich kenne ihn nicht persönlich.«

Der Patriarch nahm die Worte des cymrischen Herrschers in sich auf und wandte sich dann an die Bolg.

»Aber Ihr habt ihn gekannt oder wenigstens von ihm gehört«, sagte er und beobachtete sie mit denselben Raubvogelaugen, die ihm in der Arena so gute Dienste geleistet hatten. Achmed seufzte. »Er und ich haben demselben Herrn gedient«, sagte er; er wog seine Worte sorgfältig ab. »Seine Dienste waren freiwillig, meine nicht.«

»Also wart Ihr Verbündete?«

»Niemals«, spuckte Achmed aus. »Weder Verbündete noch Feinde. Er war Abschaum, von Natur aus chaotisch, launenhaft und grausam. Ich kenne seine Taten, aber ich hatte nicht die Möglichkeit, sie zu verhindern. Auch wenn es mir möglich gewesen wäre, hätte ich es nicht getan, denn damals habe ich mich nur um die Wiedererlangung meines Namens gekümmert, der meinem Herrn gehörte, und damit war er auch der Herr über meine Freiheit. Es stimmt aber, dass Rhapsody auf der Flucht vor ihm war, als sie uns über den Weg lief. Als wir sie mit uns nahmen und das alte Land verließen, dachten wir, wir hätten sie vor ihm gerettet. Da er das Meer nicht mit einer der Flotten überquert hatte, hatten wir allen Grund zu der Annahme, er sei tot – bis dieser Leichnam vor wenigen Augenblicken seinen Namen ausgesprochen hat.«

»War es bei dir genauso?«, fragte der Patriarch Grunthor.

»Jawoll. Hab ihn nur seinem Ruf nach gekannt. War rastlos und sehr begabt, was Zerstörungen angeht. Hat ihn natürlich bei den Bolg und den Berngards, meinem Volk, zu so was wie ’nem Helden gemacht.«

»Ich hatte andere Gründe, ihn tot zu glauben«, sagte Achmed und starrte auf die ferne Decke über ihm.

»Im alten Land gab es einen echten Helden, einen halb-lirinischen und halb-menschlichen Soldaten namens MacQuieth, der schon lange tot ist.«

»Ich habe seinen Namen gesehen«, sagte der Patriarch. »Er steht auf einem Altar in der Wasser-Basilika von Abbat Mythlinis in Avonderre, an der Küste, wo die erste cymrische Flotte landete. Ich habe dort an einem Gottesdienst zu meinen Ehren im Rahmen meiner Einsetzung teilgenommen.«

»Meine Mutter stammte aus seiner Linie«, sagte Ashe leise.

»Die Geschichte besagt, dass es MacQuieth war, der Tsoltan tötete, den F’dor, der der Meister des Atemverschwenders und auch der meine war«, fuhr Achmed fort. Es war seiner Stimme anzuhören, wie sehr er sich bemühte, seinen Zorn im Zaum zu halten. »Ich hatte angenommen, dass MacQuieth zuerst Michael töten musste, um an Tsoltan heranzukommen. Es war bekannt, dass sie erbitterte Feinde waren.«

»Wenn er so ungefestigt und feige war, wie du gesagt hast, ist er vielleicht desertiert«, sagte Ashe angespannt. »Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass ein Mann, der aus schierem Vergnügen Frauen quält und Kinder tötet, seinen Posten aufgibt, sobald sich das Kriegsglück wendet.«

Achmed machte eine ungeduldige Handbewegung. »Vielleicht. Aber es ist unwichtig, wie er überlebt hat. Wichtig ist, dass ein weiterer F’dor unterwegs ist und einen Wirt gefunden hat, der eine Vorliebe für Chaos, Vergewaltigung und Mord hat, dafür aber keine so große Weitsicht wie der letzte, mit dem wir es zu tun hatten. Wenn er wirklich Tysterisk hat, ist die Lage noch schlechter, denn das verschafft ihm Macht sowohl über den Wind als auch über das Feuer. Was vorher nur die Sorge um Rhapsody war, ist nun zum Überlebenskampf für den ganzen Kontinent geworden. Ich kann nicht einmal mit Worten ausdrücken, wie schlimm das ist.«

Die Augen des Patriarchen blickten ihn fest und ruhig an. »Es stimmt nicht, wenn Ihr sagt, dass es gleichgültig ist, wie er überleben konnte. Es könnte aus verschiedenen Gründen sehr wichtig sein. Falls er der Wirt eines Dämons ist, hat er sich bestimmt schon vor langer Zeit dessen Willen unterworfen. So ist es bei den F’dor üblich. Jeder von ihnen ist ein einzelnes Wesen, ein Individuum in einem unheiligen Pantheon, das am Beginn der Zeit erschaffen wurde. Daher sind sie zahlenmäßig begrenzt, es sei denn, sie finden einen anderen Weg, sich fortzupflanzen.«

Der heilige Mann schwieg eine Weile. Die anderen schauten unbeholfen beiseite, denn sie wussten, dass er selbst das Ergebnis eines solchen Fortpflanzungsversuches war. Rasch fuhr er fort. »Wenn ein Dämon ihn übernommen hat, sollte seine Persönlichkeit inzwischen völlig untergegangen sein. Da er aber hinter Rhapsody her ist, scheint das hier nicht der Fall zu sein. Das ist ein Grund zur Besorgnis. Diese Beziehung ist ungewöhnlich, anders als die anderen und eigenartig. Das macht mir Angst. Außerdem frage ich mich, welche Bindungen er an dieses Land hat. Eure Bande zu ihm sind eindeutig nur Schussfäden, kein Kettfaden.«