Daher reisten sie in einem Schweigen, das ihnen beiden gefiel.
Sie ritten durch das Grenzland zwischen Roland und Tyrian und hielten sich von der Straße und ihrem Verkehr fern, damit niemand sie bemerkte. Am ersten lirinischen Außenposten hielten sie nur lange genug an, um Rial in Tomingorllo, dem auf dem Berg gelegenen Palast in der bewaldeten Hauptstadt, eine verschlüsselte Botschaft zu schicken.
In den langen Tagen und Nächten des Schweigens schien sich zwischen ihnen eine weitere Gemeinsamkeit zu entwickeln. Achmeds Blutzorn, die Neigung zum Hass auf die F’dor, die im gesamten dhrakischen Volk vorhanden war, brodelte unter der Oberfläche seiner Selbstbeherrschung. Es war eine schwer fassbare Wut, die ihn zur Jagd antrieb und alles andere ausblendete. Keine Ablenkung, kein Schlaf, kein Hunger, nicht einmal das Verlangen, eine geschätzte Freundin zu retten, nämlich die Frau, die die andere Seite seines Selbst war, konnte den Drang durchbrechen, den F’dor aufzuspüren und zu vernichten.
Auch Ashe war in einen Zustand verfallen, den er kaum mehr beherrschen konnte. Der Drache in seinem Blut, der durch die Hilfe des Herrn und der Herrin Rowan erweckt worden war, damit sein Leben gerettet werden konnte, lauerte am Rand seines Verstandes und flüsterte ihm andauernd etwas zu, doch er war nicht so sehr auf ein einziges Ziel festgelegt wie Achmeds Blutzorn. Dieser Drache wurde leicht von anderen Dingen abgelenkt, die er begehrte; er war schwierig zu zügeln und versuchte andauernd, Ashe von seinem Ziel abzubringen.
So führten beide Männer innere Kämpfe aus, um sich für den äußeren zu rüsten. Achmed versuchte sich davor zu bewahren, in den bodenlosen Abgrund zu stürzen, den die ausschließliche Konzentration auf den Blutzorn in ihm aufgetan hatte, denn sein ganzes inneres Selbst war nur noch auf seine Beute ausgerichtet. Ashe hingegen wehrte sich gegen den Wahnsinn, der ihm wegen der stetigen Wankelmütigkeit des Drachen drohte.
Beide Männer verbannten die Jagd nach der cymrischen Herrin in die hintersten Winkel ihres Verstandes. Während sie Rhapsody zweifellos als das wichtigste Objekt ihrer Suche ansahen, trat doch die Rettung eines einzelnen Menschen angesichts der Bedrohung des ganzen Kontinents durch einen F’dor, die irgendwo im Drachenland lauerte, in den Hintergrund, selbst wenn es sich bei diesem Menschen um Rhapsody handelte.
Ohne darüber zu sprechen, wussten beide, dass Rhapsody derselben Meinung sein würde. Sie ritten nach Nordwesten, der untergehenden Sonne entgegen, verließen das offene Land der Stützpunkte, Bauerndörfer und kleinen Städte entlang der Straße und eilten auf die Klippen zu, die einen Ritt von etwa zwei Wochen entfernt lagen. Ashe und Achmed hofften jedoch, sie schon in zehn Tagen zu erreichen. Sie wussten nicht, wo sie suchen sollten, und wollten daher an der Küste nördlich von Port Fallon anfangen und den Strand durchkämmen, bis sie Rhapsody oder Michael gefunden hatten. Beide Ziele würden nicht weit voneinander entfernt sein.
Falls Rhapsody noch lebte, falls sie nicht über das Meer weggebracht worden war. Es war dieser unausgesprochene Gedanke, der den beiden große Angst einjagte. Das Meer war genau wie der Wind ein Schleier für alle Arten von Schwingungen. Falls Michael sie an Bord eines Schiffes geführt hatte und mit ihr fortgesegelt war, würde Rhapsodys Herzschlag in den schäumenden Wellen untergehen.
»Wie sinnlos, solche Gaben wie wir zu haben, wenn man sie nicht dazu einsetzen kann, Rhapsodys Leben und den Kontinent vor der Geißel eines weiteren Dämons zu retten«, murmelte Achmed in einem seltenen Anflug von Gesprächigkeit beim Lagerfeuer am Rande der Nacht.
Ashe saß lange schweigend da und beobachtete die zuckenden Flammenmuster.
»Wir müssen nur die Gaben eines gewöhnlichen Menschen einsetzen, nämlich Verstand, Ausdauer und Glück. Vielleicht fällt uns ja etwas in den Schoß«, sagte er mit einer Stimme, die vor Erschöpfung dumpf klang. »Denn trotz unserer Titel, Macht und Ländereien sind wir nichts anderes als gewöhnliche Männer.«
»Du vielleicht«, gab Achmed zurück, leerte seinen zerbeulten Becher und legte sich hin. Der Schlaf war nicht sehr erholsam.
Am achten Tag seit ihrer Abreise von Sepulvarta kamen die gewöhnlichen und außergewöhnlichen Gaben der beiden Männer zum Einsatz. Achmeds Hautgewebe fing eine Veränderung der Schwingungen in der Luft auf. Es war eine Art staubiger Schwere im dichten Sommerwind, und Ashes Drachensinne spürten von neuem etwas Ätzendes in der Welt um ihn herum.
Und ihre Nasen sogen den Geruch von beißendem Feuer ein, das nach der Unterwelt stank.
Gerald Owen stürmte durch die Tür der Großen Halle und schreckte den Marschall von seinen Akten hoch. Gwydion und Melisande folgten dicht hinter ihm.
»Anborn! Rauch hängt in der Luft über Tref-y-Gwartheg! Aus dem nördlichen Avonderre kommt die Nachricht, dass zwei Fischerdörfer in Flammen stehen und sich das Feuer in unsere Richtung ausbreitet. Auch sind bewaffnete Männer überall an der Küste gesehen worden, bevor die Brände ausbrachen. Sie legen mutwillig Feuer; sie beginnen am Strand und bewegen sich landeinwärts auf den Wald zu.«
Der General drehte den Oberkörper in Richtung der großen Fenster hinter dem Stuhl. In der Ferne sah er es auch: den grauen Dunst, der am Horizont über den Bäumen hing, ein Vorzeichen des näher kommenden Feuers. So etwas hatte er schon einmal gesehen. Aber nicht diese dunkle Tönung des Himmels.
Da war etwas Schrecklicheres im Gang als die offensichtlichen Buschfeuer, die sich rasch in Richtung des Waldes ausdehnten. Mit diesem Feuer stimmte etwas nicht.
Er drehte sich so rasch wie möglich wieder um.
»Owen, evakuiere die Festung«, sagte er und streckte den starken Arm Melisande entgegen. Das zitternde Mädchen rannte auf ihn zu und vergrub das Gesicht in seiner Schulter. »Ich werde die Streitkräfte losschicken, damit sie dem Fürbitter helfen, das Feuer zu löschen, und jeden zur Strecke bringen, der für die Flammen verantwortlich ist. Schick Gavin eine Brieftaube.«
Der alte Kammerherr nickte, drehte sich um und wollte gehen.
»Warte«, befahl Anborn. »Ruf mir den Hauptmann der Wache. Er soll die Nachricht absenden. Nimm Gwydion und Melisande mit und brich sofort mit den Bürgern nach Bethania auf. Ich werde einen Teil der Streitkräfte in die Dörfer schicken, damit auch sie geräumt werden. Aber bring die Kinder unverzüglich fort von hier.«
»Ich bin kein Kind, und ich gehe nirgendwohin«, erklärte Gwydion Navarne. »Ich bin der Herzog dieser Provinz und werde zusammen mit Euch hier bleiben, um sie zu verteidigen.«
Anborns Gesicht war eine seltsame Mischung aus Wut über den Widerstand und liebender Bewunderung.
»Du bist noch kein Herzog, mein Junge«, sagte er ernst, obwohl seine tief in den Höhlen sitzenden Augen funkelten. »Dein Vormund, mein Neffe, ist der Regent deines Landes und unser beider Herrscher. Er war es, der mir den Auftrag gegeben hat, in seiner Abwesenheit das Bündnis zu verteidigen, also hast du keine Befehlsgewalt. Du bist für deine Schwester verantwortlich. Es ist deine Pflicht, für sie zu sorgen. Nimm sie also an deine Seite und geh fort.«
»Aber...«
»Versuch nicht, mit mir zu streiten, Halunke!«, brauste der General auf. »Nimm deine Schwester und geh mit Owen nach Bethania, oder ich werde dich eigenhändig in Brand stecken!«
Schweres Schweigen legte sich über die Große Halle. Nachdem der junge zukünftige Herzog sein Entsetzen abgeschüttelt hatte, nickte er schwach und streckte die Hand nach seiner Schwester aus.
»Komm, Melly«, sagte er.
Anborn löste das weinende Mädchen sanft von seiner Schulter und streichelte ihr ermutigend über den Rücken. Gwydion Navarne machte einen Schritt nach vorn und legte den Arm um sie. Er führte sie aus der Festung ihres verstorbenen Vaters und schaute dabei nicht ein einziges Mal zurück.
Der Seneschall stand im Schatten des großen, vom Meereswind umtosten Steingebäudes an der Küste und schaute zu, wie die Dunkelheit vom Horizont hereinbrach. Er spürte die Wärme der Laternen, die im Rektorat und den anderen Gebäuden hinter ihnen entzündet worden waren. Die Leute im Innern wollten sicherlich die stürmische Dunkelheit vertreiben, die grau am Rande des Meeres unter den niedrig hängenden, regenschweren Wolken lauerte.