Der Ozean rauschte ihr seine Zustimmung ins Ohr; alles andere schwieg.
43
Von der südlichen Spitze der Bucht, wo die Wasser-Basilika stand, breitete sich das Feuer nach Norden aus. Es verzehrte Dörfer und kleine Städte, offenes Ackerland und Wälder und hinterließ nur rauchende Verwüstung und den beißenden Gestank der Unterwelt.
Die Filiden von Gwynwald schickten ihre Waldhüter die ganze Küste entlang. Dabei halfen ihnen die Männer und Frauen, die gewöhnlich durch die Wälder reisten und als Führer für die Pilger dienten, die den Weg der Cymrer abgingen – jenen historischen Pfad zu den Orten, wo sich die Flüchtlinge aus der Ersten Flotte niedergelassen hatten, als sie in dieses neue Land gekommen waren. Diese Pflichten und zahllose andere Arbeiten im Wald wurden vernachlässigt in den Bemühungen, die Brände zu verhindern, doch die Brandleger waren nicht zu fassen. Manchmal sah man einen oder zwei Männer, manchmal sogar bis zu vier, die auf den gewundenen oder kaum benutzten Pfaden in Richtung Meer unterwegs waren. Wenn man sie anhielt, sagten sie, sie seien auf der Suche nach einer gelbhaarigen Frau. Nicht lange danach brachen regelmäßig in der Nähe schwarze, zischende Flammen aus, die mit den üblichen Mitteln nicht zu löschen waren.
Die Dorfbewohner bewaffneten sich, stellten Wachen auf und versuchten sich auf diese Weise vor den Bringern des dunklen Feuers zu schützen. Oft sah man Schmiede mit dem Hammer in der Hand, wie sie vor den Dörfern lauerten oder Tag und Nacht am Rande der Siedlungen patrouillierten.
Der Dämon, der sich an den Seneschall geklammert hatte, frohlockte zunächst in der großen Hitze und dem schweren Rauch, doch als die Tage vergingen und die Frau nicht gefunden wurde, bot die Asche nicht mehr so viel Freude.
Wir müssen ins Landesinnere ziehen, beharrte die unablässige Stimme und nagte am Fundament von Michaels Verstand. Oder südwärts nach Port Fallon, wo es mehr Holz gibt, mehr Schiffe, mehr Gebäude, mehr Leute. Hier an dieser öden Küste finden wir doch bloß ein paar riedgedeckte Katen und hier und da einen winzigen Ort. Hier ist nicht genug Tod. Was ist schon Feuer ohne Tod, ohne Mord?
Der Seneschall packte sich verzweifelt an den Kopf.
»Ist dir entgangen, wie wenige wir sind?«, fragte er den Dämon wütend und spürte, wie er unter der Beleidigung hochfuhr. »Ich habe nur eine Hand voll Männer. Die Küste ist hunderte Meilen lang; das ist der einzige Grund, warum wir sie noch nicht gefangen haben. Das hier ist nicht Argaut; wir haben hier keine Macht.«
Trotzdem.
Michael schaute sich um und suchte nach Anzeichen für die Beiboote. In der Ferne sah er auf den Wellen schwache Lichter im Halbdunkel tanzen.
Er holte tief Luft und berauschte sich am Geruch des Feuers, das die Hafenanlagen hier in Traeg verzehrt hatte, dem kleinen, Windgepeitschten Fischerdorf, dem nördlichsten der gesamten Küste.
»Ich gehe zurück zum Schiff«, bemerkte er und sah sich um, weil er sichergehen wollte, dass keiner der Männer hörte, wie er mit sich selbst redete. »Ich muss noch einmal Faron befragen. Vielleicht haben die Schuppen in meiner Abwesenheit eine neue Weissagung gemacht.«
Der Dämon schrie vor Wut auf.
Du abscheulicher, verfluchter Narr! Genug dieser idiotischen Suche! Die Frau ist fort, du kannst sie nicht finden. Es ist Zeit, den nächsten Schritt zu machen, nämlich entweder zurück nach Argaut zu segeln oder ins Landesinnere zu gehen. Aber wir werden nicht länger sinnlos die Küste entlangwandern!
»Wie immer ist es nicht deine Entscheidung«, erwiderte der Seneschall mit eiskalter Stimme. »Du kannst mit mir kommen oder jetzt aus mir ausfahren, aber du kannst mich nicht lenken. Wenn es einen Schmied oder eine Dorfhure gibt, in die du einfahren willst, dann geh. Aber wenn du weiterhin einen mächtigeren Wirt als all die menschlichen Ratten haben willst, die dir bisher zur Verfügung standen, solltest du mit deinem Geschwätz aufhören und schlafen gehen, während wir zum Schiff zurückrudern.«
Faron fuhr zusammen, als er hörte, wie die Tür zum Laderaum geöffnet wurde. Eine sich nähernde Laterne stach ihm mit unwillkommenem Licht in die Augen.
Aus der Dunkelheit trat der Seneschall. Er trug einen Leinensack über der Schulter, in dem es zuckte und zerrte.
»Heute ist dein Glückstag, Faron«, sagte er und verbarg kaum die Härte in seiner Stimme, die seit dem Streitgespräch mit dem Dämon darin lag. »Die Matrosen haben ein paar hübsche Aale gefangen, und zwar vor der Sorte, die du so gern magst – ganz große, und die Köpfe sind noch dran.«
Die milchigen Augen des hermaphroditischen Geschöpfs leuchteten vor Erregung. Der Seneschall warf Faron den Sack zu. Er verfehlte den Teich knapp und fiel nur mit einem Zipfel in das glühende grüne Wasser.
Faron schaute zuerst den Sack und dann seine verkrüppelten und weichknochigen Hände angeekelt an. Er hob den Blick zu dem Seneschall und jammerte traurig.
Michael starrte Faron kalt an.
»Schaffst du es nicht allein? Brauchst du meine Hilfe?« Faron nickte leicht. Sein Blick wandelte sich von Verwirrung zu schleichender Besorgnis.
Ohne ein weiteres Wort hob der Seneschall den Sack vom Boden auf und riss die Verschlusskordel auf. Dann holte er die zuckenden Fische heraus, riss ihnen die Köpfe ab, schnitt das Fleisch in dünne Scheiben und verfütterte sie an sein Kind mit dem Messer.
Als es satt war und keine Aale mehr da waren, streichelte der Seneschall Faron über den Kopf und vergrub die Finger tief in dem weichen Gewebe.
»Wo ist sie?«, kreischte er. Er drückte die Finger bis zu den Knöcheln hinein und schmierte sie mit dem Blut, das aus den Löchern drang.
Faron keuchte auf und schrie vor Schmerz. Michael packte noch fester zu.
»Sag es mir, Faron, oder ich reiße dir den Kopf von den Schultern und esse deine Augen, so wahr mir die Götter helfen.«
Die Kreatur brach zusammen; sie jammerte und zuckte verzweifelt.
Der Seneschall löste seine metaphysischen Bande und erlaubte seinem innersten Selbst durch die Löcher zu fließen, in denen seine Finger noch immer steckten.
»Zeig es mir, Faron, sieh in die Schuppe und zeig mir, wo sie ist!«
Farons Körper wurde steif und schwoll dann unter dem einströmenden Leben an. Michaels Körper schrumpfte zur Mumie zusammen; die knochigen Finger waren noch immer hartnäckig in Farons Schädel verkrallt.
Der Seneschall starrte hinunter auf die blaue Schuppe, in der sich die Wolken vor seinen Augen auflösten.
Zuerst sah er in dem grünen Wasser nur die Meereswellen, die gegen eine felsige Küste ohne jeden Sandstrand brandeten. Einen Augenblick später erkannte er den dreieckigen Schatten, der auf die See fiel.
Es war derselbe Vorsprung, von dem Rhapsody gesprungen war.
Mit einem rohen Zucken machte sich der Seneschall los und ließ Faron blutend und jammernd zurück. Sobald sein Körper wieder angeschwollen war, starrte er ohne das Mitleid in den Augen, das er früher einmal gezeigt hatte, auf das Kind herunter.
»Du solltest diesmal besser Recht behalten, Faron«, sagte er verächtlich. »Wenn du mich wieder umsonst losschickst, werde ich dich ins Meer werfen. Anstatt dich von Aalen zu nähren, wirst du sie dann mit deinem eigenen Fleisch füttern. Mir ist gleich, ob du mein Kind bist oder nicht; ich habe keine Verwendung mehr für dich, wenn du nicht wenigstens die Schuppen lesen kannst.«
Er wischte sich die blutigen Hände an der Hose ab und kletterte die Leiter hinauf zum Deck. Rhapsody lauschte dem Meer, das ihr gerade die Geschichte von zwei Liebenden erzählte, die durch Möwen und Flaschenpost miteinander in Verbindung standen, als ein zerschmetterter Körper mit der Flut in die Höhle gespült wurde.
Verängstigt floh sie auf den Sims und versuchte sich von dem aufgedunsenen Leichnam fern zu halten. Die Augen fehlten, und das Gesicht war vom dauernden Aufprall gegen die Felsen zerfetzt. Der Körper war fast ganz nackt; er trug nur ein Hemd, das so aussah, als gehöre es einem Soldaten aus Michaels Regiment.