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Plötzlich verstummte er, als ihm ein Gedanke kam. Sein Gesichtsausdruck wurde ernst, und die Furcht verschwand aus seinen Augen.

»Vielleicht weiß ich es doch«, sagte er leise.

»Sag es uns«, befahl Achmed.

»Bitte, Gevatter«, fügte Ashe hinzu und versuchte den Drachen, der sich ungeduldig in seinem Blut erhob, zu besänftigen.

»Ihr sagtet, es ist Michael, der Wind des Todes, der sie nun verfolgt?«

»Ja.«

Der alte Barney nickte.

»Ich kenne ein Geheimnis, das ich bisher mit niemandem geteilt habe, nicht in diesem Leben und nicht im Nachleben«, sagte er leise. »Ich habe es all die Jahre hindurch bewahrt. Aber wenn ich es Euch nun verrate, kann ich vielleicht meine Schuld bei Rhapsody begleichen und ihr so helfen, wie sie mir damals geholfen hat. In diesen Zeiten mag es ein sehr mächtiges Geheimnis sein.«

»Was ist es?«, fragte Achmed und packte den Rand des Tisches. Er hatte sein Bier nicht angerührt und seine ganze Aufmerksamkeit auf den Mann gerichtet, als wolle er die Antwort nicht nur hören, sondern auch fühlen.

Der alte Mann beugte sich weiter vor, als der Lärm hinten in der Taverne lauter wurde. Er redete so leise, dass die beiden Herrscher sich anstrengen mussten, ihn zu verstehen.

»MacQuieth lebt«, sagte er.

45

Schweigen herrschte für einen Augenblick am hintersten Tisch der Taverne.

Als Ashe und Achmed die Sprache wieder fanden, redeten sie gleichzeitig, und ihre Worte purzelten durcheinander.

»Wo? Woher weißt du das? MacQuieth Monodiere Nagall? Unmöglich ... er ist schon seit vierzehn Jahrhunderten tot. Was ...«

»Psst!«, zischte der alte Barney. Seine Blicke huschten verstohlen in der Taverne umher. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sie nicht belauscht worden waren, wandte er sich wieder an die beiden Herrscher.

»Achmed, Gwylliam, Ihr müsst mir zuhören, ohne mit mir zu rechten, denn ich sage die Wahrheit«, meinte er mit fester Stimme. »Zwar berichtet die Geschichte von seinem Tod, aber auch die Geschichte irrt manchmal.«

»Er war ein Cymrer und ein Blutsverwandter«, sagte Ashe leise und wählte seine Worte mit Bedacht.

»Falls er noch lebt, hätte er den Ruf des Konzilhorns verspürt, und wenn nicht den des letzten Konzils, dann die der vorangegangenen. Jeder Cymrer hat diese Verpflichtung gespürt, wo auch immer er sich befand. Sie wird immer drängender, je mehr man sich gegen sie verschließt, und führt zum Tod, wenn man ihr lange genug widersteht. Er ist nie gekommen. Also kann er nicht mehr leben, Barney.«

Der alte Wirt seufzte gereizt.

»Ich kann Euch sagen, warum das nicht stimmt, mein Herr«, sagte er ruhig. »Der Grund für Eure Fehleinschätzung liegt in der Tatsache, dass Ihr nicht versteht, warum das Hörn auf diese Weise wirkt. Ich war da und habe es mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört.« Sein Gesicht nahm denselben abwesenden Ausdruck an wie zuvor, als er von der alten Welt gesprochen hatte.

»Als alle Männer, Frauen und Kinder Serendairs an Bord der Schiffe gegangen waren, die zu diesem neuen Land segelten, gab man ihnen zwei Dinge: einen Schöpflöffel mit Wasser aus der Quelle der Vor-Zeit und das silberne Hörn des Königs. Gwylliam hatte verfügt, dass jeder Flüchtling aus der Quelle trinken sollte, denn er glaubte, das würde ihr Leben und ihre Gesundheit während der Überfahrt schützen, und grundsätzlich hatte er Recht. Es ist noch immer nicht ganz klar, was den Cymrern ihre Alterslosigkeit und die Fähigkeit verlieh, der Zeit ein Schnippchen zu schlagen, obwohl es viele Theorien darüber gibt. Ich persönlich glaube, dass dafür das lebende Wasser aus der alten Quelle verantwortlich ist, wenn auch vielleicht nicht ausschließlich.

Und was das Hörn angeht«, fuhr der alte Mann fort, »so hatte Gwylliam, Euer Großvater, verfügt, dass jeder Einwohner von Serendair, der zu dem neuen Kontinent segeln wollte, diesem Hörn Treue schwören und versprechen musste, in Zeiten der Not oder bei Einberufung eines Konzils dem Ruf des Horns Folge zu leisten. Aufgrund der Bedeutung des Augenblicks und in Gegenwart einer solch uranfänglichen Kraft war dies ein Versprechen, das man nicht brechen konnte.«

»Ja«, stimmte Ashe ihm zu. »Und wir wissen, dass Mac-Quieth mit der Zweiten Flotte gesegelt ist...«

Die Stimme des alten Mannes knisterte vor unterdrücktem Ärger. »Herr, wenn Ihr zuhören würdet, würdet Ihr nicht mehr so sehr wie Euer Großvater klingen. Wenn Ihr MacQuieths Hilfe in Anspruch nehmen wollt, müsst Ihr Euch so weit wie möglich von diesem Erbe befreien.« Ashe verstummte.

»MacQuieth schwor Gwylliam keine Treue auf das Hörn. Der Grund dafür ist eine lange Geschichte, für die wir jetzt keine Zeit haben. Es muss genügen, dass MacQuieth seinen König – Euren Großvater – hasste. Als die Insel in Gefahr geriet, war er schon alt und meldete sich freiwillig, zurückzubleiben und über die letzten Stunden Serendairs zu wachen, doch der König wollte die Zweite Flotte beruhigen und befahl, dass er sie anführte. MacQuieth machte Euren Großvater für den Tod seines Sohnes Hector verantwortlich, der an seiner statt beim Ablegen der Flotte zurückblieb, um die Insel in ihren letzten Tagen zu schützen. Als das Schlafende Kind erwachte und die Insel verloren war, ging Hector mit ihr unter.

Und alle, die mit dieser Sache zu tun hatten, wussten, dass es so enden würde: Hector, MacQuieth und Gwylliam. MacQuieth fügte sich in das Unvermeidliche, aber sein Hass auf Gwylliam schwand nie. Als ihm das Hörn dargereicht wurde, auf das er seine Hand legen und Eurem Großvater die Treue schwören sollte, spuckte MacQuieth stattdessen ins Meer. ›Ich schwöre nicht‹, sagte er zu den Soldaten, die entlang der Laufplanke standen. ›Ich habe alles gegeben, was ich zu geben hatte. Wenn ihr noch mehr von mir verlangt, werde ich zusammen mit meinem Sohn hier bleiben.‹ Angesichts dieser Möglichkeit schauten sich die Soldaten an, und da sie wussten, dass MacQuieth der Oberbefehlshaber der gesamten Zweiten Flotte und Kapitän des Schiffes war, auf dem sie sich befanden, ließen sie ihn durch. Also hat er im Gegensatz zu uns anderen keine Treue geschworen. Und als das Konzilhorn ertönte und wir alle den Drang verspürten, uns zu versammeln, fühlte er diesen Zwang nicht. Er blieb versteckt, verborgen vor dem Antlitz der Zeit.«

»Er ging ins Meer«, murmelte Ashe und dachte an die unzähligen Geschichtsstunden, die ihm sein Vater gegeben hatte. »Er stand am Strand von Manosse, wo die Zweite Flotte schließlich landete. Er stand knietief in der Brandung und hielt Wacht für die Insel. Die einzige Person, deren Gegenwart er ertrug, war seine Schwiegertochter Talthea, die Bevorzugte. Ich erinnere mich daran, sie sterben gesehen zu haben, als ich klein war. Als er den Tod der Insel in den Wellen spürte, ging er hinaus ins Meer und verschwand. Man nahm an, er sei ertrunken, denn niemand sah ihn je wieder.« Der alte Barney lächelte. »Ach ja, niemand. Er ist sicherlich der Weiseste aller Männer, denn er weiß immer so viel. Als Wirt habe ich mir ein Jahrtausend lang seine falschen Annahmen und Halbwahrheiten angehört. Wieso ist allein Gaematria, die Insel der See-Weisen, in all den Jahrhunderten inmitten des großen Zentralmeeres unbelästigt geblieben? MacQuieth beschützt sie aus der Tiefe. Es liegt eine ganze Welt unter den Wellen des Meeres, Euer Majestät, eine Welt hoher Berge und tiefer Schluchten, unvorstellbarer Wunder und Wesen, die man selten, wenn je, auf dem trockenen Land sieht. Nehmt nicht an, dass etwas tot ist, wenn es sich nicht im Bereich Eurer Sinne befindet. Es gibt viele Orte auf dieser Welt, an denen man sich verstecken kann, wenn man nicht gefunden werden will.«

»Wird er uns bei unserer Suche nach Michael helfen?«, fragte Ashe, der plötzlich wieder lebendiger geworden war. »Meine Mutter stammte von Talthea ab. Ich bin mit ihm verwandt und trage Kirsdarke, das Schwert, das früher in seiner Obhut stand.«