»Ja«, sagte Barney ernst, »aber Ihr stammt auch von Gwylliam ab, dem er nie vergeben wird.«
»Vielleicht wird er es für Rhapsody tun?«, beharrte Ashe. Verzweiflung kroch in seine Stimme. »Sie ist ihm in der alten Welt einmal begegnet – sie suchte nach mir.«
Barney schüttelte den Kopf. »Wenn MacQuieth irgendetwas unternimmt, dann wegen Michael«, sagte er. »Er braucht keinen anderen Grund. Das ist eine Verbindung, die viel älter und stärker als der Umstand ist, dass Ihr von ihm abstammt.
Aber ich kann nicht für ihn sprechen. Wirte können niemals Versprechen für alte Helden abgeben. Das ist kein guter Stil.«
Achmed und Ashe sahen sich an und kicherten.
»Vielen Dank, Barney. Wir werden sein Geheimnis bewahren«, versprach Ashe.
»Wo ist er?«, fragte Achmed.
Der alte cymrische Wirt stand auf und stellte seinen Stuhl unter den Tisch.
»Kommt mit, ich werde ihn Euch zeigen.«
In der Kühle des Abends taumelten die Glaswerker, die von zwölf Tagen ununterbrochener Arbeit und jeweils fünfstündigem, schichtweisem Schlaf völlig erschöpft waren, hinaus in die frischere Luft der Korridore, die zu den Bergpässen führten. Sie waren fertig – mit Ausnahme einer riesigen Scheibe. Die Frau, die bei den Glasarbeitern als Theophila bekannt war, stand am oberen Ende des Geländes und beaufsichtigte das Versiegeln der Glaskuppel. Nach zwei oder drei kleinen Änderungen war sie immer noch nicht zufrieden und kletterte schließlich selbst auf die Kuppel. Sie hing über dem großen Loch und verlötete die Bleistreben zwischen der grünen und der gelben Abteilung. Viele der Bolg-Steinmetzen, die an der Errichtung der Stützen und den Glaseinfassungen mitgearbeitet hatten, standen schweigend und etwas hilflos an der Seite und beobachteten die Frau, die an einer Sicherung hing. Die dünne Luft auf dem Berggipfel machte ihr das Atmen schwer. Die Bolg fragten sich, ob sie wegen des Luftmangels ohnmächtig oder einen Todessturz in die Tiefe vollführen oder gar mit ihrer Arbeit fertig werden würde.
Als sie schließlich zufrieden war, gab sie dem allgegenwärtigen, unterwürfig in ihrer Nähe kauernden Shaene ein Zeichen.
»In Ordnung, Shaene, zieht mich hoch.«
Die Bolg-Steinmetzen ergriffen das Seil, das über drei Rollen lief, hoben sie von der Glaskuppel fort und setzten sie auf dem Felsen ab. Sie machte sich von dem Seil los, zog die schweren Ziegenlederhandschuhe aus und warf sie auf den Boden. Dann ging sie ein Stück den Bergpass hinunter zum Kessel und blieb wieder stehen.
»Legt das Schutzdach darüber«, rief sie über die Schulter.
Eine große, runde Holzkuppel wurde in Position gebracht und sanft über das neu eingefügte Glas gelegt. Zufrieden drehte sich die Frau um und ging weiter.
»Ihr seid eine tapfere Frau, Theophila«, schmeichelte Shaene und versuchte, die Lunge mit der dünnen Bergluft zu füllen und gleichzeitig mit Theophila Schritt zu halten. »Wir sollten jetzt nach drinnen gehen, damit Ihr Euch ausruhen könnt.«
Die Frau blickte ihn verächtlich an. »Ausruhen? Ich muss eine letzte Scheibe brennen, Shaene, und die Farbformel stimmt noch immer nicht. Ich habe alles versucht, was ich kenne – verschiedene Arten von Asche, Umrühren mit Eisenstäben, um das Purpur zu tönen, es länger zu backen, aber vergebens. Vielleicht muss ich dich oder Sandy nach Yarim schicken, damit ihr mir ein paar andere Erze holt, mit denen ich experimentieren kann.«
Shaene stieß ein plötzliches, bellendes Gelächter aus.
»Dann solltet Ihr besser mich schicken, Theophila. Sandy wird nicht nach Yarim gehen wollen, aber Ihr solltet es ihm trotzdem befehlen. Es wird ein großer Spaß sein, ihn dabei zu beobachten.«
Die Frau zeigte kein besonderes Interesse daran, von dem canderianischen Handwerker in ein Gespräch verwickelt zu werden. »Sandy wird dorthin gehen, wohin ich ihn schicke.«
»Ja, Herrin«, sagte Shaene hastig. »Aber er wird bleich werden, wenn Ihr ihm sagt, dass er gehen muss. Das würde ich gern sehen, wenn ich darf«, fügte er lahm hinzu.
Die Frau blieb stehen und schaute ihn zum ersten Mal an. »Warum sollte er bleich werden?«
Shaene beugte sich verschwörerisch vor. »Er ist vor ein paar Jahren von dort gekommen«, teilte er wichtigtuerisch mit. »Er hat große Angst vor dem, was er dort zurückgelassen hat.«
»Und was war das?« Plötzlich wurde ihr Ton warm, süß und klebrig wie Malz.
Shaene blickte in ihre unendlich tiefen Augen und bemerkte, wie sich ihre Mundwinkel zu einem zarten Lächeln hoben. Er blinzelte rasch und versuchte seine aufkeimenden Gefühle zu unterdrücken.
Sie ist so wunderschön, dachte er, so schön und allein. Wenn es bei ihr schon so lange ist wie bei mir...
»Eine Hexe«, sagte er. Seine Stimme war plötzlich rau und heiser. »Eine scheußliche Frau, so sagt er wenigstens. Die Meisterin einer alten Gilde. Das verkörperte Böse, behauptet er. Aber was kann man von einem so jungen Kerl erwarten? Er kennt doch die Welt noch nicht.« Er zwang sich zu einem Lachen und versuchte heiter zu klingen. »Oh, wie böse die Frauen sein können!«
Die Frau runzelte die Stirn und zog die Brauen drohend zusammen.
»Sandy?«, fragte sie. Es klang, als redete sie mit sich selbst.
»Ach, sein Name lautet eigentlich Omet«, meinte Shaene und wischte sich den Schweiß der Aufregung mit einem fleckigen Taschentuch von der Stirn. »Ich nenne ihn Sandy wegen der Wüste, aus der er stammt.«
»Yarim ist nicht sandig«, sagte die Frau geistesabwesend, als führe ihr Mund noch ein Gespräch weiter, das ihr Geist schon lange abgeschlossen hatte. »Es besteht aus Lehm. Aus rotem Lehm.«
Shaene zuckte die Schultern und gab den Wachen ein Zeichen, als sie sich dem Kessel näherten.
»Es ist halt nur ein Spitzname«, sagte er. »Finde ich Euch bei den Brennöfen oder im Arbeitszimmer auf dem Turm?«
Die Frau wandte sich ihm zu und lächelte breit, dann ging sie in schmerzhaft langsamen Schritten auf ihn zu.
»Weder noch«, flötete sie. »Du hast viel zu hart gearbeitet, Shaene. Ich will dich nicht überfordern.«
Sie kicherte und schenkte ihm einen bedeutungsschweren Blick. »Wenigstens nicht auf diese Weise.«
»Öh, hmmpf«, murmelte Shaene linkisch. »Was ... was soll ich dann für Euch tun?«
»Warte in deinem Quartier auf mich. Ich muss ein wenig aufräumen und leiste dir dann beim Abendessen Gesellschaft.«
Shaene nickte benommen, während die Panjeri-Frau ihm zublinzelte. Dann drehte sie sich um und ging in den Tunnel hinein, der zum Machtzentrum der Bolg führte.
Etwas passte nicht zusammen.
Aber Shaene war schon zu weit jenseits allen klaren Denkens, um den Misston herauszufinden.
46
Der alte Barney führte Ashe und Achmed durch die Hintertür des Federhuts. Sobald sie nach draußen traten, blies der frische Seewind den Rauch des Hickoryholzes fort, der sich ihnen um den Kopf gelegt hatte. Die Meeresbrise war ebenfalls rauchgeschwängert, doch sie klarte allmählich auf. Barney deutete auf die Überreste eines Stalls. Nur die eisernen Pfosten standen noch; alles andere hatte das Feuer verzehrt.
»Ich werde Euch vier Pferde verschaffen, drei zum Reiten und ein Packpferd«, sagte er, ohne langsamer zu werden. »Sie werden hier sein, sobald Ihr abreisebereit seid. Falls Ihr nur drei braucht, könnt Ihr selbst entscheiden, welches Tier Ihr zurücklassen wollt.«
»Vielen Dank«, sagte Ashe. Achmed nickte.
Im Hafen wimmelte es vor Passanten, Arbeitern, die den Schutt wegräumten, Waisenkindern, die um Almosen bettelten, und Fischern, die den Fang des Tages hereinbrachten und Netze einholten, die schon voller gewesen waren.
Je näher sie dem Wasser kamen, desto steifer wurde der Wind. In den Böen war es manchmal schwierig, aufrecht zu stehen. Nach einer besonders heftigen Böe drehte sich Barney zu ihnen um. Als er sah, wie ihnen Haare und Schleier gegen das Gesicht geweht wurden, lachte er laut auf.