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Der Herr der Cymrer fiel in dankbares Schweigen und dachte nach.

»Vielen Dank«, sagte er schließlich.

»Wir sollten uns überlegen, wie wir mit Michael verfahren, falls MacQuieth ihn für uns aufspürt«, sagte Achmed leise. »In der alten Welt haben die Dhrakier die F’dor für gewöhnlich allein gejagt, doch derjenige, den wir vor einigen Jahren getötet haben, war stärker und irgendwie wilder. Ich weiß nicht, ob ich bloß nicht so mächtig bei dem Ritual bin wie ein reinblütiger Dhrakier oder ob die Überquerung der Zeitlinie etwas damit zu tun hat, aber ich weiß, dass ich verloren gewesen wäre, wenn Grunthor und Rhapsody mir nicht beigestanden hätten.«

»Was schlägst du vor?«

»Sobald wir in seine Reichweite kommen, singe ich das Bannritual«, sagte Achmed. »Es wirft ein Netz aus Kraft über den Dämon und hält ihn davon ab, den Wirtskörper zu verlassen, sodass beide zusammen sterben. Wenn ich es auswerfe, wirst du es daran erkennen, dass ich die Hand hebe, als würde ich Garn spinnen. Sobald der Strick sein Ziel in der Seele des Dämons gefunden hat, wird der Wirtskörper zusammenzucken, als werde er fortgeschleift.« Ashe nickte. »Das ist der Augenblick, in dem du zuschlagen musst.

Da ich ein Dhrakier bin, kann ich den Dämonengeist im Körper festhalten und ihn am Entkommen hindern, wenn der Wirt getötet wird. Wenn man es richtig macht, kann man es als Dhrakier sogar allein tun. Die Schwingungen des Bandes führen dazu, dass der Kopf des Wirtes zerbricht. Aber wir sollten kein Risiko eingehen. Ich binde ihn, und du treibst das Wasserschwert durch ihn. Wenn du es richtig machst, wirst du ihm das Herz aus der Brust reißen und es noch schlagend auf den Boden werfen, damit wir beobachten können, wie er an Körper und Seele stirbt.«

»Armselige Technik«, murmelte MacQuieth aus den Schatten, in denen er lag. »Du hast erst dann Macht, wenn die Klinge ganz im Ziel ist. Drück es ihm zum Rücken heraus.«

Ashe schlief neben den Überresten des Feuers auf dem Rücken, als der Drache in seinem Blut spürte, wie sich die Morgendämmerung sanft über das Meer legte.

Steif und wund erhob er sich und schaute hinüber zu der Stelle, wo MacQuieth gelegen hatte. Dort war niemand mehr.

Ashe beugte sich rasch vor und schaute mit seinen menschlichen Augen, erlaubte aber seinem Drachensinn, sich loszureißen und den alten Mann zu suchen.

Es dauerte nur einen Moment. Die empfindlichen Schwingungen in seinem Blut sagten ihm, dass sich MacQuieth am Rande der Klippen befand, die sich über den Strand erhoben.

Der Herr der Cymrer stand auf und stieg leise über Achmed hinweg, der unruhig neben dem erloschenen Feuer schlief. Er folgte dem Pfad bis zum Ausguck, während seine Drachenaugen nach dem legendären Krieger suchten.

Was er fand, war der alte, gebrechliche Mann, den er am Tag zuvor getroffen hatte; der Stammvater seiner Familie, der unzählige Generationen von ihm entfernt war – ein Held, der der Zeit entwischt und in einen Zustand nahe dem Wahnsinn gelangt war.

Das Treibholzgrau war in seine Haut zurückgekehrt; es war die Farbe höchsten Alters und eines beinahe ausschließlich im Freien verbrachten Lebens. Er taumelte am Rand des Abgrunds und schien blind gegen die Tiefe unter ihm zu sein.

Ashe unterdrückte den Drang, nach ihm zu rufen, denn er wusste aufgrund seiner tiefen Einsicht, die ihm erlaubte, viele verborgene Dinge zu sehen, dass MacQuieth nicht sein Leben aufs Spiel setzte, indem er so dicht am Landende entlanglief.

Dabei konnte er nichts sehen. Ashe zwang sich, ruhig zu bleiben und mit großer Vorsicht zu gehen, damit er den alten Mann nicht erschreckte Als seine Sinne über den Helden strichen, glaubte Ashe de Grund zu erkennen, warum er plötzlich blind war.

Der Drache hatte das Blut bemerkt, das sich während de: Nacht hinter MacQuieths Augen gesammelt hatte. Es hatti die Hinterseite der inneren Linse überzogen und den Man geblendet. Wenn er eine oder vielleicht mehrere Stunde: aufrecht bliebe, würde das Blut abfließen und er wieder s hen können. Für den Mann, der Kirsdarke und damit die Essenz de: Wassers getragen hatte, war jedes Erwachen eine Erinnerung an die Ertrunkenen. Als er zum ersten Mal erwacht war, war er gelähmt und so starr gewesen, dass er nicht einmal mehr hatte zittern können. Blind.

Als ob er unter Eis gefangen wäre, musste der alte Mann darum kämpfen, das Bewusstsein wiederzuerlangen. Es war ein schwierigerer Kampf gegen die Erschöpfung, als jeder Mann gewöhnlichen Alters ihn zu kämpfen hatte. Geduldig schmolz er die Bürde der Zeit mit jedem feuchten Atemzug und zwang seine Brust, weitere Atemzüge zu machen, kleine plätschernde Wellen, welche die Jahre fortwuschen.

Und es schien, als verliere er den Kampf gegen den Schlaf.

Ashe spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte. Er wartete, bis der alte Soldat einen festeren Stand gefunden hatte. Dann zog er still Kirsdarke, die Klinge, die der alte Mann so ruhmreich viele Jahrhunderte hindurch getragen hatte, und hielt sie in den ausgestreckten Händen. Er hoffte, dass das alte Band zwischen der Waffe und MacQuieth ihm neue Stärke verlieh.

»Der All-Gott schenke Euch einen guten Tag, Gevatter«, sagte er ehrerbietig und gebrauchte dabei die höfliche Formel, mit der die Jungen die Alten anredeten.

Wie gestern am Wasser, so schien der Held auch nun vor seinen Augen an Stärke zu gewinnen und dieselbe geduldige, dauerhafte Kraft der Wellen unter ihm einzusaugen. Der gebrechliche alte Mann schüttelte die wirre Masse seines Kopfes.

»Wenn er das täte, wäre ich jetzt nicht mehr unter den Lebenden«, sagte er nüchtern, ohne Wehmut oder Selbstmitleid. »Alle Jahre, die ich noch vor mir habe, und alle, die ich bereits gelebt habe, würde ich gegen einen Tag eintauschen, an dem ich noch einmal sehen kann, was im Abgrund der Zeit verloren gegangen ist.«

»Ich verstehe«, sagte Ashe.

Der Soldat legte den Kopf schräg und schaute in die Richtung des cymrischen Herrschers. »Wirklich? Hmm. Das glaube ich nicht.« Ein belustigtes Lächeln legte sich über seine Lippen. »Aber ich vermute, eines Tages, vielleicht in tausend oder mehr Jahren, wirst du es verstehen.«

Er wandte das Gesicht dem Meer zu und badete es im Licht der Sonne.

»Die Sonne – ich spüre sie«, murmelte er. Er hatte die Augen geöffnet und hielt sie dem sengenden Flirren entgegen, das sich in ihnen spiegelte. »Ich weiß, dass sie da ist. Wie die Insel, die nun unter den Wellen schlummert, deren Türme zu großen Sandhaufen zerfallen, deren nutzlose Wälle zerschlagen sind und wie das Spielzeug eines Kindes auf dem Meeresboden verstreut liegen. Ich spüre ihre Wärme, aber ich sehe sie nicht.

Als die Zweite Flotte in Manosse landete und meine Pflicht beendet war, stand ich am Meer und wartete auf das Ende der Insel.« MacQuieth schloss die Augen vor dem goldenen Licht, hob das Gesicht gen Himmel und folgte dem Lauf der Sonne. »Ich habe es gespürt, viele Tage lang. Ich weiß nicht mehr, wie viele Sonnenaufgänge und -Untergänge es waren, aber all das Wasser, die Sonne und das Salz haben die Oberfläche meiner Augen zerfressen. Es war mir gleichgültig. Ich brauchte sie nicht. Alles, was ich sehen wollte, war nicht mehr sichtbar.

Eines Tages war es schließlich vorüber. Ich fühlte das Meer vor Schmerz erzittern, als sich das Schlafende Kind erhob und Serendair sowie die nördlich davon gelegenen Inseln verschlang. Ich habe seine Tiefen brennen gefühlt.« Bei dieser Erinnerung fuhr sich der Soldat mit dem Handrücken über die Augen.

»Kennst du die Reihenfolge, in der die Elemente geboren wurden? Je älter sie sind, desto mächtiger werden sie. Der Äther war das erste; er ist das einzige, das nicht aus dieser Welt erschaffen wurde, sondern von den Sternen kam. Aus diesem Grund fürchten die F’dor gewisse Diamantarten. Sie sind Kristallgebilde, die nicht von dieser Erde stammen, sondern in einem Lichtblitz aus dem Himmel niederfielen, abkühlten und sich zu einem Gefängnis des Feuers aushärteten.«