Das Salz macht mich verrückt, dachte sie und flocht verzweifelt die Haarsträhnen zusammen, die sie sich mit Hilfe des zerbrochenen Pfeils abgeschoren hatte. Sie beobachtete den Leichnam, der in der kreisförmigen Strömung trieb und sich vor ihren Augen auflöste. Morgen. Morgen werden wir von hier fliehen. Das war ein Versprechen, das sie bisher vermieden hatte.
Dann hörte sie es wieder. Es war eine Stimme voller Zorn und Besessenheit.
Rhapsody! Ich werde dich holen! Ich weiß, wo du bist; ich sehe dich! Ich werde noch heute oder spätestens morgen bei dir sein! Rhapsody!
Sie drückte die treibende Matte enger an die Brust. Kurz darauf verwandelte sich ihre Angst in stählerne Entschlossenheit.
Niemals!
50
Shaene schnarchte gewaltig in seinem Bett im Botschafterzimmer von Ylorc. Er hatte den Plan aufgegeben, mit Theophila zu Abend zu essen, denn plötzlich hatte er ein seltsames Gefühl verspürt; es war, als lecke jemand an seinem großen Zeh.
Im Schlaf zog er den Fuß rasch fort, doch das Bein wurde ihm gegen die Matratze gedrückt. Der canderianische Glaskunstwerker versuchte die Augen zu öffnen. Als es ihm gelang, schoss ein Gefühl der Erregung durch ihn. Es begann im Bauch, auf dem eine andere warme Hand als die seine lag.
Er richtete sich leicht auf, spürte aber, dass der fremde Körper über seinen gebeugt war. Der Kopf lag über seinen Beinen, und er wurde erneut niedergedrückt.
Eine weibliche Hand zog die Decke fort und enthüllte einen kleinen dunklen Kopf. Ähnlich dunkle Augen schauten ihn aus einem grinsenden Gesicht an.
»Psst«, sagte die Frau und fuhr ihm mit den Händen heftig an den Beinen entlang. »Tut mir Leid, dass es so spät geworden ist.«
Die Laute, die aus Shaenes Kehle kamen, bildeten keine erkennbaren Worte.
Theophila machte sich wieder an die Arbeit.
Er ließ den Kopf schwer gegen das Kissen fallen und ergab sich ohne die geringste Gegenwehr den köstlichen Gefühlen, die ihm unter der Decke zuteil wurden. Er sah zu, wie die Decke seltsame Formen annahm, als ihm das Blut aus dem Kopf schoss und sich in andere Teile seines Körpers ergoss. Eine lange versagte, lange zurückgehaltene Erektion wuchs aus der Tiefe. Innerhalb weniger Schläge seines rasenden Herzens war er völlig erwacht.
»Theophila...«
Als ob sie ihn zum Schweigen bringen wollte, wurden ihre Bemühungen noch heftiger. Feuer schien zwischen Shaenes Ohren auszubrechen. In seinem Kopf summte es, als sei er vom Rest des Körpers abgetrennt worden.
Er jammerte närrisch, als sie sich plötzlich zurückzog und innehielt, bevor er ganz die Beherrschung verlor. Die erotischen Gefühle, die ihn noch vor einem Augenblick durchflutet hatten, wurden nun von prickelndem Schuldbewusstsein ersetzt. Es war ihm peinlich, dass sie genau wusste, wie nahe er davor gewesen war, ohne ihn allzu heftig zu bearbeiten. Er wollte sprechen, sich entschuldigen, doch sein Mund wurde von dem ihren verdeckt. Ihre Lippen waren so heiß wie die Schmieden unter dem Berg. Shaene gab jeden klaren Gedanken und jede Bewegungsfähigkeit auf. Er hatte nicht mehr die Kraft, sich über sein Glück zu wundern oder sich zu zwicken, um festzustellen, ob er vielleicht träumte, oder Theophilas Beweggründe zu verstehen. Er lag nur da, Steifheit in allen Körpergliedern, und versuchte nicht zu lachen, zu schnaufen oder zu husten, als die schöne Frau, die aus der Dunkelheit seines Lakens aufgetaucht war, ihn heftig ritt und Lustblitze durch sein einsames Fleisch schickte. Sie war eine Meisterin darin, ihn bis kurz vor den Erguss zu bringen und sich dann rasch zurückzuziehen, nur um ihn einen Moment später zu noch höheren, beängstigenderen Gipfeln zu führen. Ihr Duft, eine würzige Mischung, die ihm in der Nase prickelte und den Kopf vernebelte, legte sich fest um ihn, während sie ihm erregende Worte ins Ohr flüsterte, ihn neckte und anstachelte, Phantasien über Liebe an seltsamen Orten zu haben – auf einem Windgepeitschten Bergpass, in der Hitze neben den Schmieden, im Bett des Bolg-Königs.
Er bemühte sich zu antworten, flüsterte Erwiderungen zu jedem imaginären Ort, doch sofort wurde sein Mund wieder von dem ihren bedeckt. Als er murmelte, wie sie auf die Wachablösung im neunten Korridor warten müssten, um sich in die linke Abzweigung zu den Privatgemächern König Achmeds stehlen zu können, damit sie auf den seidenen Laken seines Bettes miteinander schlafen konnten, unterbrach sie ihn kurz. Prickelnde Schockwellen rollten durch ihn.
»Wo?«, wollte sie wissen und legte sich über ihn, sodass er vor Vergnügen aufkeuchte. »Sag es mir. Wo ist der neunte Korridor?«
»Ich... ich weiß es nicht«, antwortete Shaene atemlos. »Ich durfte nie auch nur in seine Nähe kommen.«
Der Blick der Panjeri-Frau wurde stählern. Wenn er nun in ihre Augen geschaut hätte, wäre Shaene entsetzt gewesen, doch ihm wurde dieser Anblick erspart, weil er den Kopf zurückgeworfen hatte und um Luft rang.
Daher brauchte er auch nicht zu sehen, wie sich in diesen Augen die Härte zu Wut verwandelte, während sie kräftiger stieß und ihn so unbarmherzig ritt, dass er sich nicht länger zurückhalten konnte. Auch sie verzögerte nichts mehr. Shaene hatte den flüchtigen Eindruck, dass sie von einem Augenblick zum nächsten ungeduldig geworden war und den Liebesakt so schnell wie möglich beenden wollte.
Er gab nach.
Erschöpft und ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, seufzte er auf, als sie sich von ihm rollte. Er vermisste die feurige Hitze, die ihn noch vor einem Moment umgeben hatte. Shaene griff nach dem warmen Körper neben ihm, fand ihn nicht, hob den Kopf und schaute sich um. Theophila war verschwunden.
Omet steckte zwischen den Klauen eines Albtraums. Er träumte von seiner Mutter. In seinem Leben hatte er schon viele solcher Träume gehabt, auch wenn sie seltener und die Abstände zwischen ihnen größer geworden waren, seit er zusammen mit den anderen aus Yarim geretteten Sklavenjungen in den Berg gekommen war. Einer nach dem anderen hatte Ylorc verlassen. Es waren Waisen, die keine Familie hatten, zu der sie zurückkehren konnten, oder die sich zumindest nicht an eine solche Familie erinnern konnten; daher hatte die Herrscherin der Cymrer sie bei kinderlosen Paaren untergebracht, die sie in Tyrian und Navarne kannte – weit weg vom brennenden Lehm und den schrecklichen Erinnerungen an die Ziegelei in Yarim und die dunklen, feuchten Tunnel, die sie darunter hatten graben müssen.
Aber Omet war geblieben. Er war keine Waise, oder jedenfalls glaubte er, keine zu sein. Seine Mutter hatte ihn in die Lehre gegeben, weil sie ihn nicht länger hatte durchfüttern können und wollen. Sie hatte gewusst, zu welchem Leben sie ihn damit verdammte, denn sie hatte den Ruf der Gildenmeisterin gekannt, und sie hatte ihn während der fünf Jahre seiner Lehrzeit kein einziges Mal besucht. Außer wegen dieses letzten Umstandes machte er ihr wegen allem anderen große Vorwürfe. Doch nun saß sie neben seinem Bett, weinte still und bat ihn um Vergebung, wie sie es oft in seinen Träumen tat. Sie berichtete ihm von ihrer Trauer über seinen Verlust und davon, wie sie ihn jeden Tag seiner Lehrzeit beklagt hatte, für ihn gebetet hatte, Gaben an den Altar des Patriarchen gebracht hatte, damit ihre Gebete sich mit denen der anderen Mütter von Sklavenkindern vereinigten und durch den Seligpreiser zum Schöpfer, dem All-Gott selbst, geleitet wurden.
Es tut mir so Leid, Omet, sagte sie in der hallenden Stimme der Traumwelt. Sie schob ihm eine schwere Locke aus der Stirn.
Omet seufzte im Schlaf.
Die Finger seiner Mutter waren schwielig von der Arbeit vieler Jahre, doch als sie seine Stirn liebkoste, waren sie ganz sanft.
Ich habe dich vermisst, flüsterte seine Mutter im Traum.
»Hast du das wirklich?«, murmelte er. »Hast du mich vermisst?«
»Oh, sehr, Omet. Sehr.«
Die Worte klangen deutlicher und näher. Omet öffnete die Augen und sah, dass Esten neben ihm auf dem Bett hockte, wo noch vor einem Moment im Traum seine Mutter gesessen hatte. Sie strich ihm über die Haare.