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Eine leichte Bewegung in dem Leinensäckchen richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die vor ihm liegende Aufgabe.

Die Bank, auf der er täglich zu Gericht saß, wurde hinter seinem Platz von einem roten Vorhang aus schwerem Damast eingerahmt, der nach Moder und Erde roch. Der Seneschall stieg die Stufen zur Bank hoch, zog den Vorhang zur Seite und enthüllte die Steinwand dahinter. Er fuhr mit dem Finger über eine kaum sichtbare Spalte, tastete nach dem Griff, zog die Tür beiseite und trat in die Dunkelheit des Tunnels hinter der Wand. Dann schloss er die Tür sorgfältig hinter sich.

Er ging den vertrauten Gang entlang; seine Füße fanden von selbst den Weg in der Schwärze. Eine Drehung nach links, dann drei weitere nach rechts. Er hatte die Augen zu Schlitzen verengt. Wärme durchströmte seinen Körper, als das grünliche Glimmen in der Ferne sichtbar wurde. Er wurde schneller und rief in die Dunkelheit hinein: »Faron?«

Nun stieg Dunst vom Boden der Katakombe auf; dünne, gewundene Ranken aus Rauch schwebten über einem leuchtenden Teich.

Der Seneschall lächelte und spürte, wie die Hitze in seinem Körper anstieg.

»Tritt näher, mein Kind«, flüsterte er.

Der schimmernde Nebel verdichtete sich und zuckte in Wellen nach oben, zur Seite und in die Schwärze der Umgebung.

Der Seneschall spähte in den Dunst.

Schließlich stiegen in dem schimmernden Teich Luftblasen an die Oberfläche. Die gleißende Wasseroberfläche kochte, brach auf, und der geisterhafte Nebel verwirbelte und verschwand. Aus der Mitte des Teichs kam ein Kopf hervor, menschlichen Umrisses, doch nicht menschlichen Aussehens. Große, fischartige Augen, getrübt von milchig grauem Star, blinzelten, als sie aus dem Wasser auftauchten, gefolgt von einer platten Nase ohne Rücken. Dann kam der Mund des Geschöpfes, oder vielmehr das Fehlen des Mundes. Die Lippen waren miteinander verschmolzen und nur über den Backenzähnen offen – schwarze, waagerechte Schlitze, durch die kleine Rinnsale tropften. Die blassgoldene Haut schien beinahe ein Teil des Teichs zu sein, aus dem das Wesen gerufen worden war.

Das gleißende Wasser wogte, als das Geschöpf mit großer Anstrengung die Unterarme aufstemmte, die sich unter dem Gewicht des Torsos bogen. Die Glieder waren missgestaltet und dehnbar, als ob sie nicht aus Knochen, sondern nur aus Knorpel bestünden. Das seidige Gewand, das seinen Leib bedeckte, bauschte sich an einigen Stellen auf und bedeckte sowohl knospende männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale, die von einem schmalen, grotesk verkrümmten Knochengestell gehalten wurden.

Ein stolzer Ausdruck stahl sich in den Blick des Seneschalls. Seine Augen brannten an den Rändern rot vor Aufregung. Der Geistdämon, der sich in seinem Körper festgesetzt hatte, erkannte die Gegenwart seinesgleichen. Er krähte vor Freude und kratzte sich die Rippen.

»Guten Abend, Kleiner«, sagte er sanft. »Ich bringe dir das Abendessen.«

Die umwölkten Augen des Wesens brannten zur Antwort rot an den Rändern. Mit einer Vorwärtsbewegung der verdrehten Arme zog es sich näher heran. Der Unterleib schwebte noch in dem leuchtend grünen Wasser des Teichs.

Der Seneschall zog den Dolch, den er an seiner Seite trug, und öffnete den Leinensack. Er griff hinein und zog zwei Aale heraus – blinde, ölige und fette Geschöpfe aus schwarzem Fleisch, die wild in Richtung seines Unterarms bissen und ausschlugen, als sie über dem Teich schwebten. Er riss ihnen die Köpfe ab, warf sie in die Dunkelheit und kicherte, als sich die Augen des Geschöpfes vor Hunger weiteten.

Mit außerordentlicher Sorgfalt schnitt er die noch immer zuckenden Aalleiber in dünne Scheiben und steckte sie der Kreatur durch die seitlichen Öffnungen in den Mund. Sie machte schreckliche schlürfende und schmatzende Laute, während die weichen Zähne das Fleisch zermahlten. Als das Geschöpf die Aale verspeist hatte, drückte es sich vom Rand des Wasserlochs fort und versank langsam wieder in der grünen Tiefe.

Die Hand des Seneschalls schoss hervor und packte das Geschöpf sanft unter dem Kinn. Die Schichten loser, verschrumpelter Haut zitterten und sandten kleine Wellen durch das leuchtende Wasser.

»Nein, Faron, bleib.«

Er schaute hinunter auf das von ihm selbst gezeugte Kind, das Endergebnis einer seiner liebsten und grausamsten Eroberungen, einer alten serenischen Frau, die ihm vor tausend Jahren buchstäblich in die Hände gefallen war. Die Scheußlichkeiten, die er an ihr begangen hatte, wärmten sein Blut immer noch mit Vergnügen. Sie geschwängert zu haben war die Verringerung seiner Macht wert gewesen, an der er in der Folge gelitten hatte. Die Magie, die ihr und allen aus ihrer Rasse eigen war – das Element des Äthers, übrig geblieben aus den Tagen der Schöpfung, als die Erde nichts anderes als ein flammendes Sternenstück in der Leere des Universums gewesen war -, brannte in Farons Blut ebenso wie das Feuer, dem seine eigene dämonische Seite entsprang. Es lag eine widernatürliche Schönheit in diesem missgestalteten Sprössling, in dieser unnatürlichen Wesenheit, in seinen Zügen, die gleichzeitig alt und jung und beinahe knochenlos waren. Es war sein Kind, ganz allein seines.

Die Gestalt richtete die großen, starren Augen auf das Gesicht des Seneschalls.

»Ich benötige deine Gabe«, sagte der Seneschall.

Faron starrte ihn noch einen Augenblick länger an und nickte dann.

Der Seneschall ließ das Gesicht der stummen Kreatur los und liebkoste es dabei zärtlich. Dann holte er aus einer Innentasche seiner Robe ein gefaltetes Samttuch hervor und öffnete es vorsichtig, ja beinahe ehrerbietig.

In den Stofffalten lag eine Haarlocke verborgen, brüchig und trocken wie Stroh – Haar, das einmal golden wie Weizen auf einem Sommerfeld, nun aber mit den Jahren weißlichgelb geworden war. Ein schwarzes Samtband, das schon beinahe zu Staubfäden verfallen war, hielt es zusammen. Er bot es dem Geschöpf in dem Teich aus grünem Licht und wässerigem Dunst dar.

»Kannst du sie sehen?«, flüsterte er.

Die Kreatur starrte ihn noch ein wenig länger an, als wolle sie seine Kraft abschätzen. Der Seneschall spürte, wie sie sein Gesicht absuchte und sich fragte, was über ihn gekommen sei. Auch er stellte sich diese Frage; seine Hände zitterten in Vorfreude, und in seiner Stimme lag eine heisere Note von Aufregung und Furcht, die er noch nie zuvor empfunden hatte.

Möglicherweise weil er seit hunderten von Jahren nicht mehr an die Möglichkeit gedacht hatte, dass sie nach dieser langen Zeit noch leben könnte.

Bis zu dieser Nacht.

Das Geschöpf schien gefunden zu haben, was es in seinem Gesicht gesucht hatte. Es nahm die alte Haarlocke an sich, nickte noch einmal und glitt unter den Wasserspiegel. Einen Augenblick später tauchte es wieder auf.

In einer seiner grotesk verkrümmten Hände hielt es ein dünnes blaues Oval mit ausgefransten Rändern, das in dem Licht des Wassers schimmerte und leuchtete. Auf jeder Seite des Gegenstandes befand sich eine Einritzung; es war das Bild eines Auges, auf der einen Seite umwölkt, auf der anderen Seite klar, doch die Gravur war durch die Zeit beinahe unsichtbar geworden.

Der Seneschall lächelte breit. Es lag etwas so Befriedigendes darin, diese Schuppe in den Händen seines Kindes zu sehen, dass er seine Gefühle kaum verbergen konnte. Farons Mutter war die Letzte einer langen Ahnenreihe von serenischen Seherinnen gewesen und hatte einige dieser Schuppen besessen. Ihre Fähigkeit, in ihnen zu lesen, hatte sie durch ihr Blut an Faron weitergegeben. Als sich der Dämon in der Seele des Seneschalls vorstellte, welches Grauen sie im Nachleben erleiden musste, schrie er vor Lust auf.

Er sah ehrfurchtsvoll zu, wie Faron die uralte Schuppe unter die Oberfläche des gleißenden grünen Wassers drückte. Dampfwolken stiegen unter der Feuerhitze auf, die in Farons Blut brannte; weißer Dunst erfüllte die Luft wie schwebende Gespenster, die es nach einem freien Blick gelüstete.

Die Erde, die in der Schuppe verkörpert ist, dachte der Seneschall, während er in den wogenden Nebel starrte. Feuer und Äther, für immer gegenwärtig in Farons Blut, und das Wasser aus dem Teich. Der Kreislauf der Elemente war vollständig, bis auf eine Ausnahme. In Anbetracht der Entfernung, die Faron überblicken sollte, bedurfte er großer Kraft.