Sie verbrachten die Nacht ohne ein Feuer und drückten sich fest an den Boden, bis die Ränder des Sturmes über sie hereinbrachen.
Blitze zischten unter Hitzewellen durch den Himmel und wurden umso heller, je heftiger der Sturm wurde. Knisternde Lichtpfeile durchschossen den Himmel mit pulsierendem Licht, Sekunden später gefolgt von tiefem Donnerrollen, das an den Klippen widerhallte und die Pferde verängstigte. Die Reisenden schlugen ihr Lager ab und eilten die Küste nach Norden entlang. Sie sahen, wie die Wellen gegen den Strand peitschten, und schenkten der stechenden, mit frischem Regenwasser vermischten Salzgischt keine Beachtung.
Schließlich suchten sie Unterschlupf in den Ruinen eines kleinen Dorfes in einer kalten Bucht, wo sich die Lavaklippen, welche die gesamte westliche Küste säumten, noch höher auftürmten und in Simsen und Vorsprüngen ausliefen. Ein kleines Ziegelhaus mit einem halb verrotteten Dach aus Schieferplatten stand in der Nähe einer hohen Böschung; alles andere war Schutt und Asche. Sie banden die Pferde neben der Böschung fest, als der Himmel über ihnen seine Schleusen öffnete und Mensch und Tier durchnässte, dann kletterten sie einer nach dem anderen in das zerfallene Gebäude und lehnten sich gegen den Teil der Wand, die noch Reste des Daches trug. Sie fanden nur wenig Schutz. Etliche Ratten, die bisher die einzigen Bewohner gewesen waren, eilten aus der Hütte, als sich die Männer unbehaglich regten und nach einem trockenen Plätzchen suchten. Der alte Mann kicherte, als die Nagetiere im Regen verschwanden.
»Vor vielen Jahren habe ich die letzte serenische Ratte erschlagen«, sagte er. »Der arme alte Nick. Ich habe ihm die Gnade erwiesen, in das Ratten-Nachleben einzugehen, falls es eines gibt. Er muss auf einem der Schiffe der Ersten Flotte mitgekommen sein.«
»Haben auch die Ratten während der Überfahrt Unsterblichkeit erlangt?«, fragte Ashe ungläubig.
»Ja«, antwortete MacQuieth. »Zumindest die cymrischen Ratten. Hast du geglaubt, nur die Menschen könnten nicht sterben?« Er schüttelte den Kopf. »Zu grau, als dass ihn seine eigene Art gefressen hätte. Ich habe es auch nicht übers Herz gebracht, ihn zu verspeisen.«
»Verrate mir bitte etwas«, bat Achmed. Er nahm den Schleier ab, der sein Gesicht schützte, und wrang ihn aus. »Etwas, das mir schon seit langem Kopfzerbrechen macht. In der Legende heißt es, dass du es warst, der Tsoltan, den F’dor-Priester, getötet hat, der einst mein gehasster Herr war. Wie ist dir das gelungen? Du bist kein Dhrakier und hast ihn doch umgebracht – sowohl den Körper als auch den Geist. Ich muss wissen, wie du das geschafft hast, denn es könnte uns in dem bevorstehenden Kampf helfen.«
MacQuieth lehnte sich zurück, er schien den Regen nicht zu bemerken.
»Ich habe ihn gejagt«, sagte er mit erinnerungsschwerer Stimme. »Damals war ich noch jung und glaubte, in der Blüte meiner Jahre zu sein. Ich war der Schatten des Königs, der Favorit der Königin, der schwarze Löwe. Zu jener Zeit gab es Leute, die behaupteten, ich hätte Flügel. Und an Tagen, wenn mir der Wind im Rücken stand, hätte ich ihnen beinahe geglaubt. Wenn du dich an eines erinnerst, was über mich gesagt wurde, dann an das:
Ich habe nie eine Suche aufgegeben, die ich allein begonnen habe.
Und ich arbeite am besten allein. Ich bin kein Diener, kein Ratgeber, kein Botschafter. Ich hatte nie den Wunsch verspürt, General zu sein. Mir reichte es, wenn ich stets in der Vorhut war.« Er wandte den Blick von den endlosen Regenschleiern ab und schaute Achmed an. »In den Tagen nach deinem Verschwinden war ich in der vordersten Reihe.
Aber ich war auch ein Narr. Als der serenische Krieg anfing, wusste ich nicht einmal, dass es so etwas wie F’dor gibt. Sie waren so lange gefangen gewesen, eingekerkert in der Gruft der Unterwelt für Jahrhunderte. Es gab keine Überlieferungen mehr über sie, oder wenigstens habe ich sie nicht beachtet. Ich hatte den Mut eines Narren, oder zumindest trieb er mich voran. Ich hatte Kinder der vier anderen Erstgeborenenvölker getroffen: Seren und Mythlin, die Kinder der Sterne und des Meeres. Ich hatte mit Drachen wie dir, Asche, gekämpft, mit der Brut der Erde und kannte sie sehr gut. Viele von ihnen waren Blutsverwandte, Brüder des Windes, geboren aus dem Element der Luft. Das fehlende Element hätte mir auffallen müssen, doch ich vergaß die Kinder des Feuers.
Tsoltan war von Kriegsbeginn an der Fluch meines Königs gewesen und daher auch mein Fluch. Es war nur eine Frage der Zeit, bis meine Kameraden und ich seine Identität herausfanden. Als es so weit war, habe ich ihn allein gejagt.
Ich habe ihn vor dem Turm angetroffen, seinem Nest in der alten Welt, bei einer Sache, die er nicht unerledigt lassen konnte.« MacQuieths Stimme wurde während der Erzählung wärmer. Er schaute in die Schleier blendenden Regens, als ob er durch sie hindurch geradewegs in die Vergangenheit sehen könnte. »Seine Männer und Gefolgsleute waren nichts.
Ich fiel mit solcher Wucht über sie her, dass das Wasserschwert rauchte. Es atomisierte Leben, riss Seelen und Organe aus den Körpern wie eine Lawine oder eine Flutwelle.« Er kicherte leise. »Ich liebe den Klang der Klinge, das Gefühl von Stahl auf Knochen. Es war großartig. Der Dämon selbst – nun, das war eine andere Sache. Zuerst hat er natürlich gekämpft. Er hatte keine Ahnung, wer ich war und dass ich sein Schicksal zwischen meinen Zähnen trug. Er hatte alle Kraft – die Kraft der Zeit und die Kraft des Elementes. Und ich hatte einen Vorteiclass="underline" Er konnte es sich nicht leisten, mich zu töten.«
»Warum nicht?«, fragte Achmed.
MacQuieth antwortete sachlich: »Weil ich ihn in mir trug. Ich war sein Wirt.«
Achmed hustete heftig, als sich ein Strom aus Regenwasser durch das Dach ergoss und ihn traf.
»Was hast du da gesagt?«
»Ich hatte ihn in mich aufgenommen – in meinen Körper, wie euer Michael. Ich habe ihn eingeladen und geschluckt.« Sein Gesicht wurde finsterer. »Und dann habe ich mit ihm gekämpft. Ich musste meine eigene Dunkelheit und meine Wut von der des Dämons trennen, damit ich ihn deutlich sehen und töten konnte. Meine Rasse, mein Schwert, meine Einsamkeit – ich war der Schatten des Königs. Das gab mir große Kraft. Ich habe ihn ertränkt. Ich habe das Wasser meines Lebens über sein Feuer gegossen. Schließlich hat er gefleht und gebettelt, bevor er aufgeben musste und sich flüsternd fortstahl. Ich hatte den Körper schon lange vorher getötet; als er daher aufgab und in den Wind floss, war er wirklich und endgültig verschwunden. Nicht einmal ein Funke schwarzen Feuers leuchtete mir aus den Tiefen des Turmes heim, eines Ortes alles verschlingender Finsternis. Glaubt ihr, es war nur die Zeit, die mich zu dem gebrechlichen menschlichen Wrack gemacht hat, das ich bin? Bei den Göttern, nein. Meine Gebrechlichkeit, meine Schwäche hat ihre Ursache in meinem Leben, nicht in der Zeit. Sie rührt von den Dingen her, die ich auf mich geladen habe – von Kämpfen wie dem, den ich euch gerade geschildert habe, und von den zermalmenden Forderungen, die andere an mich gestellt haben.« Er schaute Ashe kurz an. »Keine war so groß wie die Gwylliams.
Aber ich bereue es nicht, mein Leben auf diese Weise gelebt zu haben«, sagte er mit sanfterer Stimme.
»Unsterblichkeit ist eine Narretei. Alles stirbt und vergeht. Berge altern und zerfallen, Inseln versinken im Meer, und wenn es nicht diese F’dor mit ihrem endlosen Hunger nach Zerstörung sind, die das Ende herbeiführen, dann wird es jemand anderes sein, irgendein Verrückter, der die Sonne einfängt und sie auf die Erde herabzieht. Früher oder später endet jedes Leben. All jene, die dieses System durchbrechen wollen, sind noch schlimmer als die F’dor in ihrem unendlichen Hunger nach Auslöschung.«
Achmed sah, wie Ashe zitterte.
»Was ist los?«, fragte er scharf.
»Das kann ich nicht tun«, flüsterte der Herrscher der Cymrer. »Ich habe mit der Berührung des F’dor gelebt, habe gespürt, wie die Finger des Dämons in meine Brust gegriffen und ein Stück meiner Seele herausgerissen haben. Ich kenne die Qualen, die es bereitet, wenn man einen Körper mit ihm teilt. Auf diese Weise kann ich die Bestie nicht bekämpfen.«