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Auf der anderen Seite der Welt regnete es heftig. Die Nacht brach herein und brachte die erbarmungslosen Wassermassen mit sich, die Berthes Gemüt belasteten, seit der Sturm in der Abenddämmerung eingesetzt hatte – auch wenn es zunächst nur ein milder, aber hartnäckiger Schauer gewesen war. Beinahe stündlich hatten Reisende an die Küchentür geklopft, um Obdach gebeten und Regenwasser und Schlamm von der Straße auf dem frisch gewischten Boden verteilt. Zu Beginn der Nacht hatte sie den letzten der eintreffenden Männer mit so wütenden und beißenden Worten bedacht, dass der Kammerherr persönlich sie zurechtgewiesen hatte. Er hatte sie daran erinnern müssen, dass sie ihre Stellung erst kürzlich angetreten hatte und die Herrin der Cymrer ein hohes Maß an Höflichkeit in Haguefort erwartete, jener Festung aus rosig braunem Stein, in der das königliche Paar lebte, während der wunderschöne Palast, den ihr Gemahl für sie nahebei errichtete, erst allmählich fertig gestellt wurde.

Doch die Herrin war schon seit Wochen abwesend, was die Laune ihres Gemahls beständig verschlechterte. Lord Gwydion verbrachte die noch verbleibenden zwei Wochen bis zu ihrer Rückkehr bei nächtelangen Gesprächen mit seinen müden Ratgebern, die unter sich der Hoffnung Ausdruck verliehen, die nächsten beiden Wochen möchten angesichts seiner unangenehmen Verfassung rasch vorübergehen. Berthe hatte ihrer Herrin noch nie gegenübergestanden, ja, sie noch nicht einmal gesehen, doch im Gegensatz zu den übrigen Bediensteten im Palast betete sie trotz der üblen Laune des Herrn nicht um ihre baldige Rückkehr. Während ihrer zehntägigen Tätigkeit in Haguefort hatte Berthe bereits herausbekommen, dass die Herrin der Cymrer eine seltsame Gestalt mit sehr merkwürdigen Vorstellungen war.

Nun lag die riesige Küche im Dunkeln, die polierten Steinfliesen waren wieder sauber gescheuert, und die Kohlen des Herdfeuers brannten zu flackernder Asche nieder. Oben in den Ratssälen auf der anderen Seite des Hauptflügels war noch Licht, und manchmal erhoben sich Stimmen in schwach hörbarem Lachen oder Streiten. Berthe lehnte sich gegen die Mauer des Herdes und seufzte. Wie zum Hohn ertönte der Türklopfer.

»Fort mit dir«, grollte die Scheuermagd hinter der Klinke. Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann ertönte der Klopfer abermals und lauter als zuvor.

»Geh weg!«, rief Berthe, bevor sie sich eines Besseren besann. Sie sah sich verstohlen um und fürchtete die Rückkehr des Kammerherrn. Als sie sich vergewissert hatte, dass weder eine wichtige Person in der Nähe war noch eine solche, die ihr Verhalten einer wichtigen Person hätte hinterbringen können, zog sie den Riegel zurück, räusperte sich und öffnete die Tür einen Spalt breit. Vor ihr lag nichts als die Düsternis der furchtbaren Nacht.

Da Berthe niemanden auf der Schwelle sah, machte sie sich daran, die Tür mit einem verärgerten Grummeln, das tief aus dem faltigen Hals kam, wieder zu schließen.

Ein Blitz zuckte auf, und in seinem rasch verlöschenden Licht war plötzlich eine Gestalt zu sehen, die gerade die Kapuze ihres Mantels abnahm, dessen Umrisse Berthe kaum erkennen konnte. Noch vor einem Augenblick hatte sie den Besucher überhaupt nicht bemerkt. Ein statisches Knistern summte über ihre Haut, als sie in die nächtliche Finsternis starrte. Berthe musste angestrengt durch den Regenschleier spähen, um die Gestalt wahrzunehmen. Wenn sie nicht in dem Augenblick hinausgeschaut hätte, als der Blitz niedergefahren war, hätte sie gar nichts gesehen. Sie baute sich vor der Gestalt auf, die gerade ihre saubere, aufgeräumte Küche betreten wollte.

»Ein Stück weiter die Straße hinunter gibt es ein Gasthaus«, brummte sie in den Regen hinein. »Alle liegen schon zu Bett. Die Küche ist längst geschlossen. Ich kann das Personal schließlich nicht die ganze Nacht hindurch wach halten.«

»Bitte lass mich hinein. Es ist sehr kalt hier draußen im Regen.« Es war die Stimme einer jungen Frau – sanft, ein wenig verzweifelt und schwer wie die eines müden Reisenden.

Berthes Verärgerung sprach deutlich aus ihrer Antwort, obwohl sie sich um die Höflichkeit bemühte, auf der ihre Herrin angeblich selbst Bauern gegenüber bestand. »Was willst du? Es ist mitten in der Nacht. Geh jetzt endlich fort.« »Ich will den Herrn der Cymrer sprechen.« Es war, als habe die Dunkelheit selbst geantwortet.

»Die Bitttage sind erst nächste Woche«, antwortete Berthe und schloss die Tür weiter. »Komm dann zurück. Der Herr und die Herrin beginnen mit den Anhörungen bei Sonnenaufgang am ersten Tag des neuen Mondes.«

»Warte«, rief die Stimme, als sich der Spalt verengte. »Bitte sage dem Herrn, dass ich hier bin. Ich glaube, er wird mich sehen wollen.«

Berthe spuckte in eine Pfütze aus dreckigem Wasser, die sich vor der Türschwelle gebildet hatte. Sie hatte schon öfter mit solchen Frauen zu tun gehabt. Der Herr von Dronsdale, ihr früherer Arbeitgeber, hielt sich einen ganzen Pferch von ihnen für die einzelnen Nächte der Woche. Sie versammelten sich vor dem Stall und warteten darauf, dass sich die Herrin von Dronsdale zurückzog. Dann putzten sie sich unter dem rückwärtigen Fenster heraus, und jede hoffte, vom Herrn auserwählt zu werden, der seine Gunstbezeugungen vom Balkon aus kundtat. Es war Berthes Aufgabe gewesen, all die abgewiesenen Mädchen fortzuscheuchen, was eine beschwerliche Arbeit gewesen war. Sie hoffte, dass sich dies in Haguefort nicht wiederholte.

»Sind wir nicht eine etwas dreiste Dirne?«, zischte sie, wobei sie ihre erst kürzlich genossene Ausbildung vergaß. »Es ist schon nach Mitternacht, und du bist unangemeldet an einem Tag hergekommen, der vom Gesetz nicht vorgesehen ist. Wer bist du, dass der Herr dich zu dieser Stunde sehen wollte?«

Die Stimme blieb fest. »Seine Frau.« Später begriff Berthe, dass der klickende Laut, den sie nach diesen Worten vernahm, von ihrem eigenen aufklappenden Kiefer herrührte; er blieb recht lange in dieser Stellung. Doch plötzlich schloss sie den Mund wieder und zog die schwere Tür ganz auf. Die Angeln kreischten vor Widerwillen auf.

»Herrin, vergebt mir, ich hatte keine Ahnung, dass Ihr es seid.« Wer würde erwarten, dass die Herrin der Cymrer wie eine Bäuerin gekleidet mitten in der Nacht vor der Küchentür steht?, fragte sie sich und griff sich an den eiskalt gewordenen Bauch.

In der Dunkelheit regte es sich, und die vom Mantel umhüllte Gestalt huschte in die Küche. Als sich ihr Umriss gegen den Feuerschein abhob, erkannte Berthe, dass die Herrin der Cymrer nicht größer als sie selbst und sehr zart war. Ihr Kinn zitterte, als die junge Frau die Kapuze ihres Mantels inmitten einer Nebelwolke abnahm, die aus den Falten des Stoffes aufstieg; dann zog sie sich das Kleidungsstück von den Schultern.

Als Erstes kam aus dem einfachen, blau-grauen Stoff das schönste Gesicht hervor, das Berthe je gesehen hatte, bekrönt mit goldenem Haar von der Farbe des Sonnenlichtes, das von einem einfachen schwarzen Band zusammengehalten wurde. Der Ausdruck ihres Gesichts sprach eindeutig von Verärgerung, doch die Dame sagte nichts, bis sie ihren Mantel, der immer noch mit einer Aura aus Nebel umgeben war, zusammen mit einem Köcher und einem weißen Bogen sorgfältig an einen Haken über dem Herd gehängt hatte. Dann wandte sie sich an Berthe.

Als sich die tief smaragdgrünen Augen der Herrscherin im Schatten des Feuerscheins auf die Scheuermagd richteten, wich jedoch der Blick der Verärgerung einem Ernst, in dem keine Wut mehr lag. Sie wischte sich das Regenwasser von der braunen Leinenhose und drehte sich wieder dem Herd zu, dessen Flammen wie zum Willkommensgruß aufsprangen und ihr die Hände wärmten.

»Mein Name ist Rhapsody«, sagte sie nur und sah die Scheuermagd aus den Augenwinkeln an. »Ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet.«

Berthe öffnete den Mund, aber kein Laut kam heraus. Sie schluckte und versuchte es erneut.

»Berthe heiße ich, Herrin. Ich bin neu hier in der Küche. Und ich bitte untertänigst um Entschuldigung. Ich hatte keine Ahnung, dass Ihr es wart... eben an der Tür.«

Die Herrscherin der Cymrer drehte sich ihr wieder zu und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hättest nicht wissen müssen, dass ich es bin, Berthe. Jeder Reisende, der an diese Tür kommt, soll hereingebeten und willkommen geheißen werden.« Sie sah, wie sich ein Ausdruck des Entsetzens über das verrunzelte Gesicht der alten Frau legte, und fuhr unbewusst mit der Hand an das verknäulte goldene Medaillon an ihrem Hals. Sie glättete die Kette und räusperte sich.