Выбрать главу

Die olivfarbene Haut des Bolg-Königs wurde noch dunkler, als er über diese Frage nachdachte. Grunthor wartete geduldig, bis Achmed seine Gedanken so weit geordnet hatte, dass er sie aussprechen konnte.

»Als Gwylliam und Anwyn sich während des cymrischen Krieges bekämpft haben, dauerte es fünfhundert Jahre, bis sie die Strecke von der Westküste bis zu den Zahnfelsen zurückgelegt hatte«, sagte er schließlich. »Ihre Söhne waren unfreiwillig getrennt und von jedem Elternteil in dessen Dienst gezwungen worden, weswegen Anwyn beinahe während des ganzen Krieges die Zahnfelsen nicht angreifen konnte. Anborn hielt die Heere seiner Mutter mit großem Erfolg für seinen Vater zurück. Überall auf dem Kontinent gab es ein Patt. Llauron nahm manchmal eine Stadt oder eine Provinz für Anwyn ein, und Anborn eroberte sie für Gwylliam zurück. Solange die Brüder Generäle waren, handelte es sich kaum um einen richtigen Konflikt. Man darf behaupten, dass sie den Krieg nicht sonderlich eifrig vorantrieben, wenn man die Zeitspanne bedenkt, in der nichts Wesentliches erreicht wurde. Das ist nicht überraschend, zumal beide zunächst nicht daran teilnehmen wollten.«

Grunthor nickte. Er hatte die Aufzeichnungen über den Krieg studiert.

»Aber was war Anwyns erstes Ziel, als sie schließlich zu den Zahnfelsen zurückkehrte?«

Der Riese stieß laut die Luft aus. »Der Gurgus«, sagte er.

»Richtig. Dieser Gipfel, dieser Turm war das Erste, was sie angegriffen hat. Warum?« Der Firbolg-König schritt nun auf und ab und ließ dabei kaum eine Spur im vielfarbigen Staub des Bodens zurück.

»Sie kümmerte sich nicht darum, ihre Randstellungen zu befestigen und ihre Grenzen hinauszuschieben. Sie strafte den Griwen, Xaith und die westlichen Außenposten mit Nichtachtung, ließ ihr Heer weit hinter der Kampflinie zurück und schickte stattdessen heimlich eine Brigade, drei Kohorten aus ihren besten Truppen, in die Tiefen der Zahnfelsen, wobei sie wusste, dass keiner von ihnen lebend zurückkehren würde, nur um diesen Turm zu zerstören. Aber warum? Er enthielt keine Waffen, hatte keine Befestigungen, nichts als eine Decke aus regenbogenfarbenem Bleiglas, ein verstärkendes Metallrohrwerk und ein Rad. Was konnte so wichtig an diesem Turm sein, dass Anwyn ihre strategische Stellung aufs Spiel setzte und ihre besten Soldaten opferte, nur um diesen Turm zu zerstören, bevor sie sich Gwylliam im Kampf stellte?«

»Keine Ahnung«, sagte Grunthor und schüttelte den Kopf. »Ist schon lange her, dieser Krieg. Die ganze verdammte Sache war vor vierhundert Jahren zu Ende. Du hast sie doch auf dem cymrischen Konzil getroffen, da war sie ganz schön daneben. Vielleicht war sie auch damals schon nicht mehr ganz dicht. Ich hab sie in Aktion gesehn und würde daher sagen, sie hatte wohl irgendeinen verrückten Grund, hat vielleicht die Farben der Dachfenster gehasst oder der alte Gwylliam hat mal gesagt, dass er sie sehr mag. Diese Leute waren bekloppt. Jetzt sind sie beide tot, und das ist gut so.«

Er richtete sich auf und warf einen gewaltigen Schatten in den Raum. »Aber du bist kein Narr, und ich auch nicht. Sag mir einfach den wahren Grund dafür, warum du etwas wiederaufbaust, von dem du nicht einmal weißt, was es ist.«

Achmeds verschiedenfarbige Augen betrachteten seinen alten Freund für eine lange Zeit, dann wandte er den Blick ab.

»Ich habe schon einmal so etwas gesehen«, sagte er. Seine Stimme klang eine Welt weit entfernt.

»Den gleichen zylindrischen Turm, die gleichen Verstrebungen. Die gleiche farbige Glasdecke. Das gleiche Rad.«

Grunthor wartete lange in Schweigen, bis er es nicht mehr aushielt. »Wo?«, fragte er schließlich.

»In der alten Welt. Jemand in Serendair hatte so etwas.«

»Wo?«

Der Bolg-König stieß leise den Atem aus, als ob er versuchte, das Wort so lange wie möglich zurückzuhalten.

»In Glyngaris«, meinte er schließlich.

Es war ein Name, den er vor Grunthor bisher nur ein einziges Mal ausgesprochen hatte, und nie in der neuen Welt.

Der Sergeant stand lange unbeweglich da und schüttelte dann den Kopf, als ob er den Schlaf vertreiben wolle. Er nickte.

»Wenn es das ist, geh ich los und mach mich für die Abreise bereit.«

Achmed erwiderte nichts darauf. Er stand totenstill da, als der Sergeant den Raum verließ.

5

Blau

Wolkenfänger, Wolkenrufer

Brige-sol

Haguefort — Navarne

Die Brise aus Wind und Sonne, die das Turmfenster aufgestoßen hatte, weckte Ashe, erfasste seine Augen und veranlasste ihn, sich einen Moment lang von der Wärme neben ihm fortzudrehen. Er schirmte das Gesicht vor der Helligkeit des Morgens ab, die in seine Gemächer und seinen Schlaf eindrang. Dabei murmelte er in einigen bekannten und vielen unbekannten Sprachen unterdrückte vulgäre Flüche, die er nicht ernst meinte, dann rollte er sich wieder hinüber und schaute auf Rhapsody hinunter, die noch tief schlief und von dem gefilterten Licht nicht gestört wurde. Seine gute Laune kehrte zurück, während er sie betrachtete. Die Spitzengardinen vor dem Fenster, die im Wind der Morgendämmerung flatterten, warfen fließende Muster auf ihr zartes Gesicht und streiften die Wangenknochen und die Stirn mit flüchtigen Schatten, die einen Moment später über ihr Haar schössen, das sich wie ein goldener See in seidigen Wellen über das Kissen und die weißen Leinenlaken ausbreitete.

In seiner zweigeteilten Seele spürte er das Aufkeimen uneinheitlicher Gefühle. Es war Liebe, was der Mann für sie empfand, doch sie wetteiferte um Oberherrschaft mit der Befriedigung darüber, dass sie sicher zurückgekehrt war, wonach es seine Drachennatur so verlangte. Es war ein bemerkenswerter Unterschied. Seine drachenhafte, begehrliche Natur sah sie als Schatz an und kämpfte mit Eifersucht und Verlustangst, wenn sie aus seiner Sinnensphäre trat, und auf der anderen Seite war da die einfache, unkomplizierte Verehrung, mit der seine menschliche Seite sie als die andere Hälfte seiner Seele betrachtete.

Wie dem auch sei, er war sehr glücklich darüber, dass sie endlich wieder zu Hause war. Er dämpfte seinen Atem und bewegte sich leise, damit sie nicht geweckt wurde. Gemächlich lehnte er sich gegen die Kissen und beobachtete ihr Gesicht, während sie schlief.

Wenn sie die Augen geschlossen hatte und schlief, erschien sie jünger und leichter als in wachem Zustand – beinahe wie ein Kind. Die Hitze des reinen Feuers, das sie vor langer Zeit während ihrer Reise durch die Erde von ihrer Heimatinsel zu diesem Ort auf der anderen Seite der Welt in sich aufgenommen hatte, brannte verborgen in ihren Wangen, viel schwächer aber als in ihren Augen, wo man es deutlich sehen konnte, wenn sie wach war. Die elementare Magie, die in ihr lebte, hatte eine machtvolle Wirkung auf die Leute in ihrer Umgebung. Manche starrten sie an wie hypnotisiert, andere kauerten sich wie in Angst vor einem flammenden Inferno zusammen. Ihr Anblick wurde von den Massen oft als einschüchternde Schönheit missverstanden, denn sie kannten nicht die Macht, die dahinter lag.

Im Gegensatz zu ihnen war er von ihrer Schönheit nicht verzaubert, sondern erkannte sie als das, was sie war, weil seine Drachennatur die Kraft in ihr spürte, ja sogar beinahe sah. Weil er so machtvoll an das Element des Wassers gebunden war wie sie an das Element des Feuers, verstand er auf der höchstmöglichen Ebene die Gabe und den Fluch eines solchen elementaren Bandes. Daher bestand ein vollkommenes Gleichgewicht zwischen ihnen, das ihn bereits vor dem ersten Blick unausweichlich in den Bann gezogen hatte. Als sie noch Meilen von ihm entfernt gewesen war, hatten seine Drachensinne schon ihre Magie gespürt und sich ihr unrettbar ergeben. Der Mann jedoch, der große natürliche Kräfte besaß, aber in seiner Menschlichkeit unvollkommen war, konnte hinter diese Magie und Schönheit auf die unvollkommene Frau dahinter blicken. Sein Herz verspürte für sie die Liebe, die jeder Mann der Frau gegenüber fühlt, welche die andere Hälfte für ihn darstellt. Fehler und Stärken wurden ertragen und geschätzt, Streit und kleinerer Ärger wurden durchkämpft und vergeben, und gemeinsam wurde an dem gewoben, was der Teppich eines geteilten Lebens war. In Anbetracht seiner Abstammung und seiner schrecklichen und gewaltigen Vergangenheit war es diese gewöhnliche Liebe, diese übliche, gänzlich unvollkommene Verbindung, die er über alles schätzte. Sie hatte ihm ein Gefühl für Normalität und Wirklichkeit geschenkt. Und sie war wieder zu Hause.