Von dem Augenblick an, als er sie in der vergangenen Nacht vorsichtig auf das Ehebett gelegt und sie die Kerze mit einer einfachen Geste ausgelöscht hatte, waren Worte zwischen ihnen unnötig gewesen. Die Feuerschatten aus dem Kamin an der gegenüberliegenden Wand hatten im Einklang mit ihrer Liebesumarmung getanzt und waren zu glühenden Kohlen herabgesunken, als ihre Leidenschaft befriedigt war und sie in den zufriedenen Schlaf glücklich vereinigter Liebender gesunken waren. Und nun schlief sie ruhig, blass, ungestört vom Morgenwind, der ihr Haar kräuselte. Er beobachtete sie und war mit der Welt zufrieden.
Als sich die Sonne schließlich ganz über den Horizont und den Fenstersims erhoben hatte und die Schlafkammer mit Licht erfüllte, regte sie sich, öffnete die tiefgrünen Augen und lächelte.
»Du bist schon wach?«
»Ja.«
»Du bist schon wach.«
»Anscheinend.«
»Du wachst nie vor mir auf.«
»Das ist aber eine beleidigende Verallgemeinerung.«
Rhapsody rollte herüber, streckte sich und legte ihre kleine, narbige Hand in seine. »Na gut, ich glaube, ich habe dich vor dem heutigen Morgen nie vor mir aufwachen sehen. Du befindest dich meistens im Winterschlaf eines Drachen, und man kann dich höchstens mit dem überwältigenden Gestank von scheußlichem Kaffee wecken, den du so liebst.«
Ashe nahm sie in die Arme und drückte seine Nase gegen ihre. »Das leugne ich vollkommen. Es ist bemerkenswert, wie leicht es sich bei mir regt, wenn du hier bist, meine Herrin. Falls du dich beschweren willst, bestehe ich darauf, dass du die Wahrheit meiner Behauptung überprüfst.«
»Von mir wirst du keine Beschwerden hören«, meinte Rhapsody. »Im Gegenteil, ich bin wie immer beeindruckt von deiner Tüchtigkeit, besonders nach der letzten Nacht. Bestimmt hast du während meiner Abwesenheit geübt. Ich hoffe, du warst dabei allein.« Sie lachte, als sich Ashes Gesicht rötete, dann küsste sie ihn herzlich.
»Ich bin froh zu hören, dass du nicht enttäuscht warst, nachdem du die lange Reise nach Hause auf dich genommen hast.« Er drückte sie an seine Brust und legte sich mit einem zufriedenen Seufzen rücklings auf die Kissen. Er genoss den Kontrast zwischen der Wärme unter dem Laken und dem kühlen, beißenden Wind darüber. »Hast du in Tyrian all deine Staatsangelegenheiten regeln können?«
»Ja.«
»Gut. Ich bin froh, das zu hören, weil ich nicht beabsichtige, dich ihnen in absehbarer Zukunft zurückzugeben. Wie du weißt, können Drachen ziemlich weit in die Zukunft sehen. Daher hoffe ich, dass Rial deine Unterschrift unter alles bekommen hat, was er in den nächsten Jahren brauchen wird.«
Rhapsody kicherte, richtete sich auf und bedachte Ashe mit einem nachdenklichen Blick. »Ich habe in der Tat sichergestellt, dass alle Angelegenheiten in Tyrian erledigt sind, weil ich hoffe, als Nächstes ein Projekt durchzuführen, das meine Anwesenheit hier in Navarne für einen langen Zeitraum erfordert. Das heißt, natürlich erst nach dem Ausflug nach Yarim, um dort die Entudenin wieder zu beleben.«
Ashe setzte sich ebenfalls auf. »Ach, wirklich? Was für ein Projekt könnte das sein?«
»Die Pflege und Erziehung eines Kindes.«
»Du hast ein weiteres Enkelkind adoptiert? Wie viele sind es inzwischen? Schon über hundert?«
Rhapsody schüttelte den Kopf. Ihre grünen Augen nahmen einen dunkleren, smaragdenen Ton an.
»Nein, nur siebenunddreißig. Aber das habe ich nicht gemeint.«
»Oh.« Ashe spürte, wie ihm beim Klang ihrer Stimme eine leise Kälte über die Haut lief. »Was meinst du dann, Aria?«
Die Kohlen im Kamin, die noch vor einem Augenblick nichts als abkühlende graue Asche gewesen waren, glühten rot auf und glichen sich der Farbe ihrer Wangen an.
»Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir ein eigenes Kind haben«, sagte sie mit fester Stimme, auch wenn Ashe ein leichtes Zittern in ihrer Hand spürte.
Er starrte sie an und versuchte, ihre Worte von den Ohren zum Gehirn zu zwingen, bis er sah, dass sie vor Schmerz zusammenzuckte. Rasch ließ er ihre Finger los, die er unbewusst allzu sehr gedrückt hatte.
Langsam setzte er sich ganz auf, schwang die Beine über den Rand des Bettes, lehnte sich vor und stützte das Kinn auf die Hände. Aus der Veränderung ihrer Herzschläge, ihrem flachen, raschen Atmen und einem Dutzend anderer körperlicher Anzeichen, deren sich seine Drachensinne bewusst waren, schloss er, dass seine Reaktion sie unglücklich machte, doch ihre Worte hatten ihn so aufgeregt, dass er nichts tun konnte, um ihre Besorgnis zu lindern. Stattdessen richtete er seine ganze Aufmerksamkeit auf sein Innerstes und versuchte, das Durcheinander von widerhallenden Worten aus der Vergangenheit zurückzudrängen.
Unter einem plötzlichen Wirbel aus Muskeln und Bettlaken sprang Ashe auf und ging zum Kleiderschrank. Er versuchte, den Ausdruck des Erstaunens und Schmerzes auf dem Gesicht seiner Frau nicht wahrzunehmen. Er zog Hemd und Hose an und drehte sich schließlich um, wobei er es vermied, ihr in die Augen zu sehen.
»Ich muss zurück zu meinen Ratgebern gehen«, sagte er nur. »Es tut mir Leid, wenn ich dich geweckt habe. Nach dieser langen Reise hätte ich dich ausschlafen lassen sollen.«
»Ashe...«
Er schritt schnell durch den Raum und ergriff die Türklinke. »Schlaf weiter, Aria«, sagte er sanft. »Ich werde dafür sorgen, dass dir in etwa einer Stunde das Frühstück ans Bett gebracht wird.«
»Du hast doch gesagt, heute sei keine Zusammenkunft.«
»Das war unüberlegt von mir. Sie werden schon seit Wochen wie Gefangene hier gehalten. Bestimmt wollen sie bald zum Ende kommen und in ihre Provinzen zurückkehren.«
Rhapsody warf die Decke zurück, stand auf und zog ihren Morgenmantel über.
»Sei doch kein Feigling«, sagte sie fest, aber ohne Groll. »Sag mir, was dich so verängstigt hat.«
Die senkrechten Pupillen in Ashes Augen dehnten sich, als ob sie das Licht und ihre Worte einsaugten. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, dann öffnete er die Schlafzimmertür.
»Ruh dich aus«, sagte er nur.
Rasch und leise schloss er die Tür hinter sich.
Später am Nachmittag fand sie ihn auf der Spitze eines der Glockentürme, welche das Haupttor von Haguefort flankierten.
Rhapsody war sich bewusst, dass ihr Gemahl ihre Gegenwart bemerkt hatte. Er musste sie schon aus großer Entfernung gespürt haben, also nahm sie an, dass er nichts gegen ihre Anwesenheit einzuwenden hatte. Sie wartete im Türrahmen am oberen Ende der Turmtreppe und folgte seinem Blick über die gewellten Hügel von Navarne, auf denen die Sonne das hohe Gras in einem hellen Gelb und dunklen, kühlen Grün anmalte. Als sie schließlich sah, wie sich seine Schultern hoben und senkten und er tief ausatmete, unterbrach sie die Stille, die bisher nur durch eine gelegentliche pfeifende Brise gestört worden war.
»Ist es die verrückte Manwyn? Ist es das, wovor du Angst hast?«
Ashe erwiderte nichts darauf, sondern schaute weiterhin über das Vorgebirge zu den Krevensfeldern. Rhapsody trat durch die Tür und stellte sich neben ihn. Sie legte die Hände auf die glatten Verzierungen im Stein der Brustwehr, die neu errichtet worden war, nachdem der Turm vor drei Jahren durch heftiges Feuer und brennendes Pech zerstört worden war. So wartete sie in Schweigen, atmete die süße Sommerluft ein und folgte seinem Blick über die Berge.
Als er endlich etwas sagte, schaute er noch immer auf die scheinbar endlose See aus grünen Wiesen hinter den Mauern der Festung.
»Stephen und ich sind in unserer Kindheit endlos über diese Felder gelaufen«, sagte er ruhig.