Der Seneschall stieß scharf die Luft aus.
»Vielleicht ist das so, weil ich dich freiwillig angenommen habe, falls du dich daran noch erinnerst«, sagte er und wechselte von der ehrerbietigen Anrede zur vertraulichen. »Du hast aus meiner Stärke und Selbstständigkeit deinen Nutzen gezogen. Wenn du einen passiven Wirt haben wolltest, dessen Lebenskraft du aussaugen kannst, wie ein parasitäres Moos einen Baum benutzt, hättest du nach der Beendigung des serenischen Krieges sicherlich tausende Schwache aus dem Pöbel finden können – vielleicht einen Blumenverkäufer, ein Fischweib oder ein Kind. Du hast mich gewählt, weil ich dir einen an Körper und Geist gesunden Wirt angeboten habe, einen Soldaten, einen Anführer mit eigener Macht, an der du Anteil haben konntest. Aber es war nie Teil unserer Abmachung, dass du diese Macht vollständig besitzt. Wenn du einen unterwürfigen Lakaien hättest haben wollen, hättest du jemanden wählen müssen, den du unterwerfen kannst und der weniger stark ist als du, jemanden, den du erobern und zu deinem willigen Werkzeug machen kannst, den du aushöhlen und ausbeuten kannst, bevor du zu einem besseren Wirt hinüberwechselst. Mich hättest du niemals auf diese Weise nehmen und gegen meinen Willen besiegen können.« Er hielt inne und spürte das Wallen des dämonischen Geistes in seinen Adern. »Du kannst es auch jetzt noch nicht.«
Der Seewind frischte wieder auf, zerrte heftig an den Kleidern und sackte dann wieder zu einer ruhigen Brise zusammen. Der Seneschall spürte, wie die Hitze in ihm nachließ, als der Dämon über seine Worte nachdachte.
Auch dir ist es bei unserem Geschäft nicht schlecht ergangen, sagte die Stimme, als sie schließlich wieder sprach. Du wolltest ewiges Leben haben. Jetzt hast du es.
»Ja«, gab der Seneschall zu. »Ja, das habe ich. Und du ebenfalls. Ich sollte betonen, dass dein Wirt im Sterben lag, als ich zu dir kam. Du warst allein und unfähig, die traurigen Überreste seines verfallenden Körpers aus dem Wasser zu ziehen, das langsam den Kerker füllte, in dem du gefangen gehalten wurdest. Ich habe dir dein armseliges Leben gerettet, habe dir unerhörte Pracht und den elementaren Wind verschafft, auf dass er sich mit deinem Feuer vermische ...«
Als Gegengabe für die Unsterblichkeit.
»Ja. Es war ein ehrliches Geschäft. Und alles in allem ist es eine vorteilhafte, ja beglückende Paarung gewesen.« Der Seneschall packte die Reling und erwartete einen weiteren Angriff der dämonischen Wut. »Es sei denn, du vergisst, dass mir die Entscheidung darüber zusteht, wohin wir gehen und was wir tun. Leider bleibt dir keine andere Wahl, als mit mir zu kommen. Oder willst du mich nun verlassen?«
Der Dämon kicherte. Es war ein hartes, schabendes Geräusch, das an den Ohren des Seneschalls kratzte. Du warst
schon immer tollkühn. Denk daran, wem von uns beiden es schlechter ergehen wird, wenn ich mich entschließen sollte zu gehen.
»Ich wette, das bist du«, sagte der Seneschall, als die Sonne über den Horizont kroch und den Ozean mit ihrem goldenen Licht überschüttete. »Nach sechzehn Jahrhunderten unangefochten ausgeübter Herrschaft und immer wieder gestilltem Hunger nach Feuer und Vernichtung wäre es amüsant zu beobachten, wie es dir in einem Kabinensteward oder in einer durch den Hafen stolzierenden Hure erginge. Sieh dich doch um. Gibt es irgendjemanden, in den du gern einfahren möchtest? Willst du vielleicht eine Dirne als Wirtin? Dann wirst du lernen, wie es ist, wenn man immer wieder in dich eindringt – ganz so wie es mir ergeht, wenn du versuchst, dich zu behaupten.«
Die Stimme des Dämons gackerte.
Es könnte aufschlussreich sein, diese Idee irgendwann aufzugreifen. Wenn wir uns bei deinem nächsten Herzschlag trennen müssten, würde ich nicht sterben. Es stimmt, dass ich dann schwächer wäre, aber wenn man unsterblich ist, ist so etwas nur ein vorübergehendes Hindernis und keinesfalls das Ende. Es wäre beinahe den Verlust von Rang und Macht wert, meine Wohnstatt in einem anderen Menschen aufzuschlagen, in irgendeinem anderen, und zuzusehen, wie dein Körper zu Staub zerfällt und vor meinen Augen vom Wind fortgetragen wird. Das Feuer kehrte zurück und durchtränkte das Bewusstsein des Seneschalls an den äußeren Rändern. Du weißt genau, dass es so geschehen wird, nicht wahr? Ohne meine Essenz in dir wärst du nicht nur ein toter Mann, sondern einer, welcher bei der Zeit in so großer Schuld steht, dass er sie nicht zurückzahlen könnte.
»Dann geh doch«, knurrte der Seneschall. »Stürz dich hinaus. Oder besser noch, erlaube mir, es für dich zu tun.«
Deine Unbesonnenheit wird dein Untergang sein, wenn nicht jetzt, dann später, sagte der Dämon ernst.
Wieder verstummte die Stimme, und der Seneschall ergriff die Reling. Der Dämon war die Verkörperung von Chaos und zerstörerischer Heftigkeit. Er bereitete sich auf den Kampf vor. Entweder würde er ins Meer geworfen werden oder in die Vergessenheit.
Du verfolgst wieder einmal eine Frau.
Der Seneschall biss die Zähne zusammen und versuchte, den F’dor aus den inneren Bereichen seines Verstandes auszusperren, doch es war, als stemmte man sich dem Meer entgegen. Die heißen Finger in seinem Hirn tasteten gnadenlos und unnachgiebig umher und drangen auch in die hintersten, noch unbesetzten Winkel. Er spürte, wie die verborgenen Bereiche seines Geistes durchsucht wurden und der F’dor schließlich auf Gedanken stieß, die der Seneschall bisher vor ihm verborgen hatte. Sie wurden gepackt und ausgegraben wie Wurzeln in der Erde.
Hast du nichts gelernt?, höhnte der Dämon wütend. Erinnerst du dich nicht, was geschehen ist, als das letzte Mal deine Lust die Oberherrschaft über uns erlangt hat?
»Doch«, gab der Seneschall verbittert zu. »Ich erinnere mich gut daran und würde es wieder tun, wenn ich die Gelegenheit dazu hätte. Ich habe dir und mir eine Nacht vollendeter Lust an dem glorreichen Leid einer serenischen Frau und den Segen eines Kindes aus unserem Blut verschafft, das in jener Nacht gezeugt wurde.«
Eine nutzlose Missgeburt. Ein Ungeheuer.
»Keineswegs!« Die Stimme des Seneschalls, die leise und guttural war, weil er keine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte, drückte gegen die Kehle wie gegen Glasscherben. »Faron ist ein wunderbares Geschöpf, einzigartig und mit Kräften, die man erst langsam erkennt. Sollte jemals einer von uns ein Gefäß brauchen, in dem er Schutz suchen kann, ist Faron dafür bestens geeignet.«
Danke, nein. An einen Wirt stelle ich höhere Erwartungen. Ich habe nicht das Verlangen, meine Lebensessenz mit einem
menschlichen Fisch zu teilen, der knochenlos, ängstlich und bei Tageslicht blind ist...
Der Seneschall fuhr mit den Fingernägeln an der Kopfhaut entlang. Blut spritzte bis hinunter auf seine Wangen.
»Genug! Wenn du dir einen anderen Wirt suchen willst, dann tu es jetzt, oder unterwirf dich meinem Willen. Ich wünsche nichts mehr von diesem Unsinn zu hören!« In seiner Wut schloss der Seneschall die Augen und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die geistigen Fesseln, die den Dämon an ihn banden und wie mit Haken im Innersten seines Seins verankert waren. In der vergangenen Nacht hatte er sie losgebunden, damit ihr gemeinsamer Geist in Faron fahren konnte. Alle Gedanken an Selbsterhalt verschwanden. Rasch fand er ein metaphysisches Band und ergriff es. Er bereitete sich darauf vor, es abzuwerfen, so wie das Schiff gleich vom Kai ablegen würde.
Hör auf. Die sengende Stimme zitterte.
Stille kehrte in seine Gedanken zurück. Die Wolken, welche die aufgehende Sonne verborgen hatten, brachen auf, und das Morgenlicht schimmerte in dunstigen Streifen über dem Wasser. Der Seneschall hielt den Atem an, wartete auf die Entgegnung des Dämons und sehnte sich nach der kühlen Dunkelheit unter Deck, wo Faron auf ihn wartete. Er fragte sich, ob das Ungeheuer, das er freiwillig beherbergte und dessen metaphysische Krallen in seiner Seele verhakt waren, seine Drohung Wahrmachen würde. Ihm blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten.