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Als die Stimme schließlich wieder sprach, klang sie gedämpft.

Berichte mir von dieser Frau und erkläre mir, warum sie so wichtig für dich ist.

Der Seneschall sog die Luft tief ein und füllte die Lungen bis in die letzte Spitze mit der salzigen Luft. Er erlaubte seinen Gedanken, über uralte Wiesen mit Sommergras zurückzuwandern, über die Weiten Marschen der Insel Serendair, die nun nur noch Seegras im Sand unter den brodelnden Wellen des Meeres waren. Er konzentrierte sich auf die Erinnerungen, die er dort erworben hatte.

»Ihr Name ist Rhapsody«, flüsterte er und kämpfte darum, dieses Wort leicht und ehrerbietig in die Luft zu schicken, wie einen Psalm, ein heiliges Lob, auch wenn er wusste, dass es seinem profanen Mund unmöglich war, je ein solches Gebet zu sprechen. »Ich habe sie auf Serendair gekannt, vor der Flut. Sie ist wunderschön: Augen wie ein Smaragdwald, Haar aus Gold von der Farbe reifer Weizengarben. Aber das ist nicht der Grund.«

Warum dann?

Der Seneschall versuchte Gedanken zu formen und die Erinnerung in Worte zu kleiden. »Sie ist energisch, lebendig, leidenschaftlich.« Der Gedanke an die Verachtung, die er vor so vielen Jahrhunderten immer wieder in ihrem Blick gesehen hatte, stieg wie Galle in seiner Kehle hoch und stachelte seinen Stolz jetzt ebenso wie damals heftig an. »Halsstarrig, mürrisch, trotzig, streitlüstern. Närrisch.« Und sie hat mich geliebt, dachte er und erlaubte sich, für den Bruchteil einer Sekunde in diesem Gedanken zu baden. Er vertrieb ihn aus seinem Kopf, bevor der Dämon ihn erhaschen konnte. Das Wissen, dass sie ihm Treue geschworen hatte, war ihm Trost in vielen schwierigen Augenblicken gewesen und hatte ihn in tausend dunklen Nächten in der Zeit vor dem Dämon gewärmt, als er bloß ein sterblicher Mann in der Vorhut des kommenden Krieges gewesen war. Er erinnerte sich noch gut an den Eid, den sie ihm vor seinem letzten Aufbruch geschworen hatte. Er hatte diese Erinnerung in die dunkle Gruft des Verlorenen gelegt, denn er hatte nicht daran denken können, ohne vor Schmerzen verrückt zu werden.

Ich schwöre beim Stern, dass mein Herz keinen anderen Mann lieben wird, bis diese Welt an ihr Ende kommt.

Die Tatsache, dass er ihr dieses Versprechen abgepresst und sie dazu gezwungen hatte, weil er vor ihren Augen das Leben eines jungen Mädchens in den Händen gehalten hatte und sie nicht hatte lügen können, war in seiner Erinnerung schon lange untergegangen. Sie hatte ihm ihr Wort gegeben, und den Lirin war der Sinn für die Bedeutung eines gegebenen Wortes angeboren.

Wenn sie gesagt hatte, sie liebe ihn, musste es die Wahrheit gewesen sein.

Als er in die frühen Schlachten des serenischen Krieges verwickelt gewesen war und ihn die Nachricht ereilt hatte, sie sei verschwunden, hatte es ihn beinahe getötet, denn er war nur eine Haaresbreite davon entfernt gewesen, ihren Eid einzufordern. Sie war vom Bruder, dem dhrakischen Mörder entführt worden, der als die beste Vernichtungsmaschine bekannt war, welche die Insel je gesehen hatte – besser sogar als er selbst. Er hatte keine Spur mehr von ihr finden können und daher angenommen, der Bruder habe sie getötet und ihren Leichnam ins Meer geworfen, denn die Gleichgültigkeit des Dhrakiers gegenüber den fleischlichen Gelüsten war allgemein bekannt. Damals hatte er zum ersten Mal in seinem Leben geweint. Die Tränen waren wie Säure geflossen und hatten ihn in immer größere Zerstörungsorgien getrieben. Er hatte Dörfer in Schutt und Asche gelegt und die Weiten Marschen in der vergeblichen Hoffnung angezündet, das Buschfeuer werde seine Seele von der Verzweiflung reinigen, die er angesichts seines Verlustes empfunden hatte. Und nun hatte er herausgefunden, dass sie die Zerstörung der Insel ebenfalls überstanden hatte und noch lebte. Zweifellos war sie vor der Flut mit anderen cymrischen Flüchtlingen in See gestochen, hatte sich einen Weg durch die Welt bis zum Drachenland gebahnt und dort Zuflucht gefunden. Sie und er hatten der Zeit ein Schnippchen geschlagen und den Tod seiner Beute beraubt. Sie hatten dieselbe Unsterblichkeit wie die anderen Cymrer und ihre Abkömmlinge erlangt. Und sie hatte geheiratet. Mit den Handelsschiffen war die Nachricht von einer königlichen Hochzeit in Roland gekommen, doch er hatte ihr keine Beachtung geschenkt, bis der Name Rhapsody nach sechzehn Jahrhunderten des Schweigens wieder an seine Ohren gedrungen war.

Nun war Eifersucht in ihm emporgestiegen. Er hatte sich angewöhnt, nachts die Docks zu durchstreifen und achtlos an Hafenhuren und betrunkenen Seeleuten vorbeizulaufen, die eigentlich eine leichte Beute für ihn gewesen wären. Er hatte sich gefragt, ob die Rhapsody, die er gekannt hatte, und diese neue Königin, von der er reden gehört hatte, ein und dieselbe Person sein konnten. Als die Neugier zur Besessenheit geworden war, hatte er Quinn herbeigerufen, einen der Seeleute, die seine willenlosen Leibeigenen waren, und ihn losgeschickt, um herauszufinden, ob es sich vielleicht doch um die Frau handelte, die ihm ihre Treue geschworen hatte. Bis zur letzten Nacht hatte er kaum glauben können, dass es so war.

Und dann war Quinn zurückgekehrt und hatte seine schönsten Hoffnungen und seine größte Furcht bestätigt.

Sie lebte.

Nach all den Jahrhunderten, nach dem Tod der Insel im vulkanischen Feuer, nach einer Reise, die viele Flüchtlinge das Leben gekostet hatte, und nach dem darauf folgenden Krieg lebte sie noch – eine halbe Welt weit entfernt. Sie trug immer noch das Medaillon, das sie in seiner Gegenwart getragen hatte. Sie lebte.

Und war verheiratet.

Und glücklich.

Seine Gedanken wurden schwarz, als die Wut zurückkehrte.

Sie hatte ihn betrogen.

Sie hatte ihren Eid gebrochen.

Man musste sie die Folgen einer solchen Tat lehren.

»Warum?«, fragte er laut. Seine Stimme zitterte bei dem Versuch, seine Wut zu unterdrücken. »Weil sie das beste Pferdchen ist, das ich je gehabt habe, eine Betthure von grenzenlosem Zauber. Eine begabte Dirne, ein verkommenes Flittchen, die mir gegenüber einen Eid gebrochen hat. Ich will mir zurückholen, was mir zusteht.«

Die Stimme des Dämons war schwach wie die ergrauende Asche eines langen Feuers, das sich erschöpft hat.

Nicht schon wieder! Das sollten wir nicht noch einmal tun. Erinnere dich an die Folgen. Erinnere dich daran, wie schwach wir danach waren, als du zum letzten Mal deiner Lust nachgegeben hast, eine Frau zu bespringen. Jedes Kind, das du zeugst, bricht meine Essenz - unsere Essenz – auf und lässt uns geschwächt zurück. Still deine Lust mit Blut und Feuer, aber nicht zwischen den Beinen einer Frau.

Was du in ihr zurücklässt, ist...

»Diesmal werde ich keinen Samen hinterlassen«, gab der Seneschall zurück und ergriff wieder die Reling, als sich das Licht der aufgehenden Sonne über das Wasser legte. »Als Faron gezeugt wurde, war ich noch ein Mensch und mein Blut nur schwach von deiner Essenz getrübt, weil du von dem Austausch der Wirte sehr benommen warst. Jetzt bin ich ein F’dor, denn ich trage dich seit tausendsechshundert Jahren in mir. In mir ist nur wenig menschliches Blut übrig geblieben, falls überhaupt noch etwas da ist. Und die F’dor entscheiden sich wie alle anderen Rassen der Erstgeborenen, ob sie beim Akt der Zeugung ihre Seele aufbrechen oder nicht. Glaube mir, das habe ich nicht mehr vor. Es wird nichts anderes zwischen Rhapsodys Beinen sein als ich selbst. Ich habe vor, lange Zeit dort zu bleiben und mich für all das zu entschädigen, was sie mir schuldet. Du kannst also beruhigt sein; deine Kraft wird nicht angetastet werden.«

Es entstand wiederum ein langes Schweigen, als der Dämon nachdachte. Nun drang immer stärkerer Lärm von den Hafenanlagen her. Der Hafen füllte sich in einer Kakophonie aus Geschäftigkeit mit Leben und Verkehr. Schließlich sprach die Stimme in seinem Kopf wieder. Sie war leise, als ob sie müde sei und aufgegeben habe, doch immer noch klang sie entschlossen.