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Nun gut. Wir brechen auf, aber mit der Absicht zurückzukehren, sobald du eingetrieben hast, was dir zusteht. Ich will heimkehren zum Schrecken, zu den Verbrennungen und der wahnsinnigen Schönheit der Zerstörung, die wir hier bewirken können.

Geistesabwesend betastete der Seneschall den Griff von Tysterisk. Er dachte an Rhapsodys Gesicht, als sie ihm die Treue geschworen hatte. Sie hatte ihn bei einem Namen genannt, den er bis heute vergessen hatte.

So, reicht dir das endlich, Michael?

Michael war er in einem anderen Leben genannt worden. Er hatte fast alle Erinnerungen daran verloren.

Michael, der Wind des Todes.

»Glaube mir«, sagte er noch einmal, »dort, wohin wir reisen, wird es reichlich Gelegenheit zu Schrecken und Verbrennungen geben. Ich verspreche dir, dass die wahnsinnige Schönheit der Zerstörungen, die wir hier bewirkt haben, neben dem verblasst, was kommen wird, wenn wir an Rhapsodys Gestaden landen.«

7

Violett

Der Neuanfang

Grei-ti

Haguefort — Navarne

Der Meister der Zielscheiben gab die Zeichen aus einer Entfernung von hundertfünfzig Schritten: zwölf in der Mitte, zwei im inneren Ring, neun im äußeren Ring – eine vollkommene Gruppierung. Gwydion Navarne seufzte und signalisierte dann, man möge die Ziele weiter nach hinten schieben. Während die Träger die Zielscheiben aus Heu in der Ferne herumtrugen, schüttelte er seinen Langbogen und fuhr sanft mit den Fingern über den Griff. Er hatte länger als ein Jahr für seine Herstellung benötigt, hatte sorgfältig Holz, Hörn und Sehnen zusammengeführt und ihn liebevoll gebeizt. Er war auf diese Waffe sehr stolz, auch wenn es sich dabei noch nicht um ein Meisterwerk handelte. Genau wie er, so befand auch sie sich noch in der Ausbildung, der Lehrzeit, und musste ihre Möglichkeiten erkunden.

An diesem Nachmittag erwies er sich als der Waffe nicht wert.

Er war so sehr darauf konzentriert, das Problem des Flugwinkels zu lösen, dass er das Herannahen der Pferdehufe erst dann hörte, als Anborn sich schon neben ihm befand.

»Du enttäuschst mich, Knabe.«

Das Schnauben des schwarzen Hengstes riss Gwydion aus seiner Konzentration. Er schaute hoch in das Gesicht des Marschalls, des alten Generals des cymrischen Heeres, der ihn von seinem hochlehnigen Sattel aus so eindringlich anstarrte wie ein Raubvogel eine Maus. Gwydion schüttelte den Bogen erneut.

»Entschuldigung, Marschall. Ich arbeite noch an dem Flugwinkel, wenn auch ziemlich schlecht an diesem Nachmittag.« Er nickte Anborns Begleiter zu, einem älteren Cymrer der ersten Generation mit grauem Haar und zerfurchtem, von der Sonne gegerbtem Gesicht, der immer mit einem Paar gezogener Armbrüste ritt. »Sei gegrüßt, Dorndreher.« Der Soldat nickte und stieg ab. Der General schnaubte auf dieselbe Weise wie sein Pferd, griff dann hinter sich und band die Riemen seiner Satteltasche los.

»Ich bin nicht von deiner Treffsicherheit enttäuscht, Junge, sondern von der Wahl deiner Pfeile. Ich sehe, du magst diese dünnen lirinischen Stecken.« Anborn seufzte theatralisch. »Ich hätte ein langes Gespräch mit dir führen sollen, bevor deine Adoptivmutter hier einzog und mit ihren lirinischen Vorlieben deinen Sinn für Pfeile zerstörte.«

Gwydion lachte und ergriff die Zügel, als Anborn langsam abstieg. Dorndreher stand wie immer bereit, ihn zu stützen, falls er das Gleichgewicht verlieren sollte. In den drei Jahren seit Anborns Lähmung hatte Gwydion nie gesehen, dass dies geschah.

»Rhapsody hat wirklich wenig Vorliebe für Pfeile und nicht mehr allzu viel Interesse am Bogenschießen«, sagte er. »Wenn sie nach Tyrian geht, bringt sie mir meistens die langen Weißholzzweige mit.«

Anborn stützte sich auf den beiden eigens für ihn angefertigten Stöcken ab und sah Gwydion mit gespieltem Widerwillen an. »Also bist du von allein auf diese Vorliebe gekommen? Erschütternd.«

»Ich lerne auch noch an der Armbrust, Marschall.«

»Nun gut, dann solltest du noch nicht in den Wald geführt und an die Wiesel verfüttert werden.«

Gwydion Navarne lachte. »Vielleicht erklärt Ihr mir eines Tages, warum Eure Familie so davon angetan ist, Unfähige den Wieseln vorzuwerfen«, sagte er und warf einen Blick auf den Knappen, der mit dem Stuhl des Generals herbeikam. »Wenn ich mich recht erinnere, verkündete Edwyn Griffith, Euer Bruder, Tristan Steward auf dem cymrischen Konzil das gleiche Schicksal.«

»Von Wieseln gefressen zu werden, ist viel zu gut für Tristan Steward«, sagte Anborn verächtlich.

»Außerdem wäre es grausam gegenüber den Wieseln.« Er bemerkte die Geste des Zielscheibenmeisters. »Sie sind so weit, Junge.«

»Womit habt Ihr Euch in der letzten Zeit beschäftigt, Marschall?«, fragte Gwydion, als er einen Pfeil einlegte. »Rhapsody hat gesagt, Ihr wäret nach Süden zur Skelettküste von Sorbold gegangen.«

»In der Tat.« Der Marschall erlaubte Dorndreher, ihm in den mit Rollen versehenen Stuhl zu helfen, und legte die Gehstöcke über seine nun nutzlosen Beine.

Dabei wurde er von einem nachdenklichen Gwydion Navarne beobachtet. Im Alter von sieben Jahren war er dem legendären Soldaten bei dem Begräbnis seiner Mutter begegnet und war entsetzt von ihm gewesen. Er war zu jung, um von dem zänkischen Charakter des Generals gehört zu haben, doch allein Anborns Erscheinung war schon einschüchternd genug gewesen: der breite, bedrohlich muskulöse Rücken, die leuchtenden, azurblauen Augen in einem Gesicht, in dem schreckliche Erlebnisse ihre dunklen Spuren hinterlassen hatten, das schwarze, mit weißen Strähnen durchsetzte Haar, das wütend bis über die Schultern floss – alles an dem General hatte ausgereicht, um in Gwydion den Wunsch zu erwecken, sich hinter seinem Vater zu verstecken, der seine Angst instinktiv erkannt und nicht von ihm verlangt hatte, hervorzutreten und dem General die Hand zu schütteln, bis dieser endlich gegangen war.

Doch seit dem Konzil, das im Gefolge der großen Schlacht vor drei Jahren abgehalten worden war, hatte er den Mann kennen und bewundern gelernt und liebte ihn inzwischen so, wie es sein Pate Gwydion von Manosse tat: mit Respekt und aus sicherem Abstand.

Es lag etwas in den Augen des Generals, das Gwydion Navarne nicht begriff. Mit der bruchstückhaften Weisheit der Jugend erkannte er, dass es Gedanken, Gefühle und Einsichten im Kopf eines Mannes gab, der so viele Jahrhunderte wie Anborn gelebt hatte, der so viele Schrecken wie Anborn gesehen hatte und das Leben auf eine Weise wie Anborn betrachtete, die er selbst nicht verstand und vielleicht nie verstehen würde.

Gwydion Navarne spannte den Bogen und schoss den Pfeil ab. Er flog ein wenig nach links. Er traf das einhundertsechzig Schritte entfernte Ziel aus Heu und prallte von ihm ab.

»Verflixt!«

Der Marschall starrte ihn an, als wäre er vom Blitz getroffen.

»Verflixt?«, meinte er verachtungsvoll. »Verflixt? Guter All-Gott, was hat mein nichtsnutziger Neffe dir denn beigebracht? Ist das dein bester Fluch, Junge? Nachdem du hier fertig bist, gehen wir direkt in die Stadt und finden eine passende Taverne für dich, in der du die richtige Erziehung in den wesentlichen Dingen erhältst: trinken, huren und richtig fluchen.«

»Oh, ich kann recht gut fluchen, Marschall«, sagte Gwydion Navarne freundlich. »Ich wollte nur Eure Ohren nicht beleidigen, da Ihr doch ein so zarter und taktvoller Mann seid.«

Anborn kicherte, als Gwydion den Bogen wieder spannte. »Nun, das will ich hoffen. Mein Neffe, dein Namensvetter, ist vom besten Mann – das heißt, von mir – in den schönsten Flüchen unterrichtet worden, die es je in der Drachensprache gegeben hat – was die beste Sprache für Verwünschungen jeder Art ist. Leider hast du dafür nicht die körperlichen Voraussetzungen. Ohne die bei Schlangen übliche Öffnung in der Kehle bekommst du den doppelten Knacklaut nie hin, aber sicher hast du dir schon einen beeindruckenden vulgären Wortschatz angeeignet, denn schließlich lebst du bereits einige Jahre bei ihm. Und deine ›Großmutter‹..., nun ja, eine Benennerin mit ihrer Macht sollte eigentlich Zugang zu ein paar ganz großartigen Flüchen haben.«