»Es tut mir Leid, dass dir das bei deiner Einstellung nicht gesagt wurde«, meinte sie rasch und warf einen kurzen Blick auf die innere Tür der Küche. »Und ich entschuldige mich dafür, dass ich dich so tief in der Nacht gestört habe. Willkommen in Haguefort. Ich hoffe, du arbeitest gern hier.«
»Ja, Herrin«, murmelte Berthe nervös. »Ich sage dem Kammerherrn, er soll den Herrscher benachrichtigen, dass Ihr hier seid.«
Die Herrin der Cymrer lächelte; der Feuerschein tanzte auf ihrem Medaillon. »Das ist nicht nötig«, sagte sie freundlich. »Er weiß es schon.«
Die Küchentür wurde mit einer Wucht aufgedrückt, dass Berthe zusammenzuckte. Sie sprang noch weiter zur Seite, als der Mahlstrom, der sich als der cymrische Herrscher herausstellte, in einem Wirbel aus wogender Kleidung und rasender, Kraftgeborener Geschwindigkeit an ihr vorbeirauschte. Sein seltsames rot-goldenes Haar fing das Licht des zischenden Feuers ein und schimmerte drohend. Sie fuhr sich mit der Hand nervös an die Kehle und ließ den Mann nicht aus den Augen, von dem es hieß, er habe das Blut der Drachen in den Adern. Er rannte auf die kleine Herrin zu und packte sie. Berthe wäre nicht überrascht gewesen, wenn er ihr ein Glied nach dem anderen ausgerissen oder sie an Ort und Stelle aufgefressen hätte.
Einen Augenblick später öffnete sich die Küchentür erneut. Berthe lehnte sich gegen die Wand, als Gerald Owen, der Kammerherr, sowie eine Anzahl königlicher Besucher den Durchgang verstopften; einige von ihnen hatten die Waffen gezogen.
Owens runzeliges Gesicht entspannte sich, als er die Herrin in den Armen des Herrschers sah.
»Ah, Herrin, willkommen daheim«, sagte er, zog ein Taschentuch hervor und wischte sich den Schweiß von der Stirn, für den sowohl Erschöpfung als auch das lodernde Kaminfeuer verantwortlich waren. »Wir hatten Euch erst in vierzehn Tagen zurückerwartet.«
Die cymrische Herrscherin versuchte sich aus der Umarmung ihres Gatten zu befreien, doch es gelang ihr nur, den Kopf über seine Schulter zu heben.
»Vielen Dank, Gerald«, erwiderte sie. Ihre Worte wurden zum Teil von dem Hemd ihres Gemahls erstickt. Sie nickte in Richtung der Adligen, die sich noch immer an der Küchentür drängten. »Meine Herren.«
»Eure Hoheit«, antwortete ein Stimmenchor.
Rhapsody flüsterte ihrem Mann etwas ins Ohr, das ihn zu einem Kichern veranlasste; dann streichelte sie ihn und entwand sich seinem Griff. Gwydion wandte sich an seine Ratgeber.
»Vielen Dank, meine Herren. Gute Nacht.«
»Nein, nein, bitte brecht Euer Treffen nicht meinetwegen ab«, wandte Rhapsody ein. »Ich würde gern daran teilnehmen. Es gibt ein paar Staatsangelegenheiten, die ich mit einigen dieser edlen Herren besprechen möchte.« Sie blickte wieder zum Herrscher auf, der einen Kopf größer war als sie. »Sind Melisande und Gwydion Navarne schon im Bett?«
Gwydion schüttelte den Kopf, als der Kammerherr zum Herd hinüberging und Rhapsodys Mantel ergriff, der immer noch seine Nebelaura verströmte. »Melly ist natürlich im Bett, aber Gwydion hält zusammen mit uns Rat. Er hat viele gute Vorschläge gemacht.«
Das Lächeln der Herrscherin wurde breiter, während sie die Arme öffnete, als der Namensvetter ihres Mannes, der große, dünne Knabe, der eines Tages der Herzog von Navarne sein würde, sich einen Weg durch die Menge bei der Tür bahnte und in ihre Umarmung lief. Sie sprachen leise miteinander, und der Herrscher wandte sich wieder an seine Ratgeber.
»Gebt uns bitte noch ein paar Augenblicke«, sagte er. »Wir werden unsere Gespräche – kurz – in einer halben Stunde wieder aufnehmen.« Die Adligen zogen sich zurück und schlössen die Küchentür hinter sich.
Berthe sah den Kammerherrn an, der ihr mit einem nervösen Nicken bedeutete, sie solle auf ihr Zimmer gehen. Die Scheuermagd verneigte sich unbeholfen und zog sich hastig in ihr Quartier zurück. Sie fragte sich, ob die Herrin von Dronsdale sie wohl zurücknehmen würde.
Der Herrscher der Cymrer beobachtete, wie Gerald Owen langsam hinüber zu seiner Frau ging, die soeben ihr Schwert abnahm, ohne das Gespräch mit ihrem Mündel zu unterbrechen. Owen war schon seit vielen Jahren Kammerherr und hatte sowohl Gwydion Navarnes Vater Stephen als auch schon Stephens Vater gedient. Selbst in späteren Jahren geriet seine Loyalität zu Stephens Kindern und deren Schutzbefohlenen nicht ins Wanken. Vorsichtig nahm er Rhapsodys Schwert und Mantel entgegen und verließ die Küche, ohne dass die Herrscherin ihr Gespräch hätte unterbrechen müssen.
»Zwanzig Volltreffer in derselben Runde?«, sagte sie gerade zu Gwydion Navarne. »Ausgezeichnet! Ich habe dirnoch mehr von diesen langen lirinischen Pfeilen mitgebracht, die dir in Tyrian so gut gefallen haben. Sie sind in deinen Farben gefiedert.«
Gwydions sonst so besonnenes Gesicht strahlte. »Vielen Dank.«
Der cymrische Herrscher klopfte seiner Frau auf die Schulter und deutete auf die Tür, durch die Gerald Owen gegangen war.
»Ich habe dir meinen Nebelmantel ausgeborgt, damit du unbemerkt von Straßenräubern und Dieben reisen kannst«, brummte er in gespielter Ernsthaftigkeit. »Aber nicht, damit du unbemerkt von mir zurückkehrst.«
»Glaube mir, meine Rückkehr wird nachher deine ganze Kraft beanspruchen«, sagte sie neckisch.
»Aber erst muss ich mit Ihrman Karsrick sprechen, bevor er nach Yarim zurückkehrt. War er bei den Ratgebern an der Tür?«
»Ja.«
»Gut.« Sie steckte die Hand in die Armbeuge ihres Mannes. »Nun wollen wir uns um die Staatsangelegenheiten kümmern, damit wir uns rasch... in unsere Gemächer zurückziehen und, äh, uns unseren eigenen Angelegenheiten widmen können.«
Als sie Arm in Arm mit den beiden Gwydions an alten Statuen und sorgfältig restaurierten Gobelins aus dem ersten cymrischen Zeitalter vorbei durch die hohen Hallen von Haguefort ging, kämpfte Rhapsody gegen eine Welle widerstreitender Gefühle. Einige waren schmerzlich bitter, einige angenehm, doch alle tief empfunden, und keines hatte sich im Lauf der Zeit verändert. Das Gefühl des Verlustes, das sie und Ashe, wie ihr Mann bei seinen Freunden hieß, über den vor drei Jahren erfolgten Tod von Stephen – Gwydion Navarnes Vater und Ashes bestem Freund – empfanden, war immer noch sehr stark. Es war ihr unmöglich, durch die Korridore von Haguefort zu gehen, der Festung, die Stephen so liebevoll restauriert und mit unbezahlbaren Antiquitäten gefüllt hatte, oder die historischen Ausstellungsstücke im cymrischen Museum innerhalb des Schlosses zu betrachten, ohne von der Erinnerung an den jungen Herzog und die große Freude, die er am Leben gehabt hatte, überwältigt zu werden. Jedes Mal, wenn sie Haguefort verlassen hatte und zurückkehrte, glich sein Sohn ihm mehr.
Diese Gedanken griffen ihr ans Herz. Rhapsody blinzelte. Gwydion Navarne schaute von der ersten Stufe der großen Treppe auf sie hinunter und bot ihr seine Hand für den Weg zur Bibliothek an, in der sich Ashe mit seinen Ratgebern traf. Nun sah er ganz wie sein Vater aus. Ashe stand neben ihr und drückte ihre Hand; er hatte es verstanden. Rhapsody erwiderte den Druck, ergriff dann die Hand ihres jungen Mündels und erlaubte ihm, sie die Stufen hoch zu führen.
Auf die Treppe fiel farbiges Licht aus dem Bleiglas in den Leuchtern über ihnen, in denen zahllose Talgkerzen steckten. Rhapsody dachte daran, wie sorgfältig Stephen dieses wunderschöne Glas und alles andere in der Festung und dem Museum ausgewählt hatte. Unter diesen Gedanken war ihr nächster Atemzug schwerer als der vorige.
Nach Stephens Tod hatten sie beschlossen, in Haguefort zu bleiben und es für Gwydion und seine jüngere Schwester Melisande so zu bewahren, wie es zuvor gewesen war. Stephen war zum Witwer geworden, als die Kinder noch sehr jung gewesen waren, und er hatte alles getan, dass für sie das Leben nach dem Tod ihrer Mutter in gewohnten Bahnen weiterlief. In ihrer Liebe zu ihm hatten Rhapsody und Ashe anfangs dasselbe versucht. Dennoch kam nun bald die Zeit, wo Gwydion Navarne alt genug für den Titel seines Vaters war. Als Rhapsody ihn die große Treppe hochsteigen sah, musste sie zugeben, dass dieser Tag näher war, als sie wahrhaben wollte.