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»Komm mit mir«, sagte er einfach.

Diese Worte, geboren aus Ungeduld, hallten in seinem Kopf wider. Vor vielen Jahrhunderten, vor einer ganzen Lebensspanne, auf der anderen Seite der Zeit hatte er ähnliche Worte in einer nun untergegangenen Welt zu einer anderen Frau gesagt, die seine Geduld auf die Probe gestellt hatte.

Komm mit uns, wenn du leben willst.

Theophila schaute hinunter auf ihn. Achmed erkannte den Moment, als sich die Entscheidung in ihren Augen formte. Sie sammelte ihre Habseligkeiten ein, ergriff seine Hand und sprang von dem Wagen. Dabei beachtete sie nicht die verblüfften Blicke der Panjeri, sondern folgte ihm einfach zu den Pferden und stieg auf das eine, das er für sie gekauft hatte.

Als die Karawanenwachen sahen, dass der Firbolg-König sein Ziel erreicht hatte, gaben sie den Befehl zur Weiterreise. Der Anführer der Karawane wartete so lange, bis sich die beiden seltsamen Leute in Bewegung gesetzt hatten, und rief dann seinen Wagenlenkern zu: »Fahrt weiter. Wir müssen die Sonne einholen.«

25

Es dauerte den größten Teil des Tages, bis sich die einzelnen Parteien in ihrer Hackordnung auf ein Symbol geeinigt hatten, das ihre Interessen darstellen sollte.

Ashe verbrachte diese Zeit zurückgezogen mit Rial und Tristan Steward. Sie verglichen ihre Beobachtungen und stellten gemeinsame Richtlinien für den Umgang mit dem Kolloquium auf.

»Diese Nation steht vor den schwierigsten Entscheidungen, denen sich je ein Reich gegenübergesehen hat«, sagte er ruhig zum Herrn von Roland während ihres kargen Mittagessens, das in dem höhlenartigen Speisesaal des Palastes serviert wurde. Viele Köche und Diener waren nach dem Begräbnis zunächst geflohen, denn sie hatten sich vor der Ungewissen Zukunft gefürchtet. Sie hofften jedoch, dass sie nach der möglichen Einsetzung eines freundlichen Regimes wieder angestellt würden, da man sich an sie sowieso nicht erinnern würde. »Welches System Leitha auch immer ersetzen mag, sollte den Status als Freund des Bündnisses beibehalten. Und während ich persönlich mit dir, Tristan, darin übereinstimme, dass man mit Sorbold als ganzer Nation einfacher umgehen kann und es stärker ist, als wenn es sich um eine Ansammlung von unabhängigen Staaten handeln würde, liegt die Entscheidung darüber, wie ihr neues Reich aussehen soll, nicht bei uns, und es steht uns auch nicht zu, diese Entscheidung anzuzweifeln. Außerdem sind starke Nachbarn nicht immer gut.«

Der Herr von Roland sah seinen Herrscher und Jugendfreund mit starrem Blick an.

»Als wir Kinder waren, hast du einmal gesagt, es gebe Führer und Politiker«, meinte er in säuerlichem Tonfall, »und man könne sie nur daran unterscheiden, ob sie in sich oder außerhalb ihrer selbst den Mut für ihre Überzeugungen finden. Es tut mir Leid zu sehen, zu welcher Gruppe du gehörst.«

»Ich stimme der Auffassung zu, dass ein vereinigtes Sorbold ein stabileres Gebilde ist«, warf Rial hastig ein und hoffte, damit der Antwort zuvorzukommen, die er als unausweichlich ansah. »Doch die Adligen haben zu Recht einige wichtige Dinge zur Sprache gebracht. Die Bedürfnisse einiger der größeren Stadtstaaten sind bei dem Machtspiel der Kaiserin im Vergleich zu den kleineren manchmal zu kurz gekommen. Der All-Gott weiß, dass die Hafenstädte mehr Unterstützung und militärische Macht benötigen. Die Piraten und der Handel mit Sklaven blühen seit Jahren in Sorbold, die Gladiatorarenen sind immer größer geworden, und der blutige Sport wird immer beliebter und brutaler. Es ist scheußlich, dass Leitha dagegen blind war. Ich verdamme Damir, dessen Reich an Tyrian grenzt, nicht wegen seiner Sorgen.«

»Aber Kaavs Einwände sind unaufrichtig«, sagte Ashe. »Seine in der Mitte des Reiches gelegenen Ländereien sind die größte Minenregion, in der Anthrazit, Silber, Sulphur und Salz gefördert werden. Woher mag er wohl die Arbeiter bekommen?«

»Aus dem Sklavenhandel«, stimmte Rial ihm zu.

»Vielleicht haben wir sie zu lange verhätschelt«, meinte Tristan Steward. »Seit sich Sorbold am Ende des Krieges vom cymrischen Reich getrennt hat, ist es zu einer großen, drohenden Fäulnis für den Süden geworden, wie ein Skorpionnest, wie eine Mörderbande, die sich zwischen den Felsen versteckt und auf ihre Zeit wartet. Es wäre vernünftiger, das Land dem Bündnis einzuverleiben, anstatt Friedensverträge mit ihm zu schließen.«

»Und wie willst du eine solche Einverleibung erzwingen, falls sie nicht freiwillig zustande kommt?«, fragte Ashe verächtlich. »Sorbolds Heer ist fünf- oder vielleicht sogar sechsmal so groß wie die vereinigten Streitkräfte von Roland ...«

»Aber es ist klein, wenn du Tyrian und Ylorc zu uns zählst.«

Ashe streckte rasch die Hand aus, um eine beißende Entgegnung Rials zu unterbinden.

»So etwas will ich nicht noch einmal hören, besonders nicht, solange wir Gäste an diesem Ort sind«, sagte er mit beängstigender Sanftheit. In seine Stimme mischten sich die verschiedenen Untertöne des Drachenblutes. »Du setzt Ideen in die Welt, die keine Unterstützung finden, aber deine Worte haben Macht und könnten unbeabsichtigte Folgen nach sich ziehen. Was du willst, ist eine Rückkehr in Zeiten, die schon lange der Vergangenheit angehören, und das aus gutem Grund.«

»Warum fürchtest du das?«, schoss Tristan zurück. »Warum willst du nicht einen erschütterten Staat einnehmen und ihn zu einem Teil des Ganzen machen? Dann wären wir vor ihm sicher.«

Ashe trank sein Glas leer und erhob sich vom Tisch.

»Weil ich im Gegensatz zu dir kein Verlangen danach habe, die ganze Welt zu beherrschen. Früher oder später würde die Welt es mir verübeln.«

Das Kolloquium kam bei Sonnenuntergang wieder zusammen.

Die verschiedenen Parteien Sorbolds hatten sich aufeinander zubewegt, und der innere Tisch war in vier Gruppen unterteilt: die Adligen der neun großen Stadtstaaten, die Tryfalian als der Unabhängigkeit wert erachtet hatte, die Grafen der übrigen Staaten, die ihnen schweigend und grimmig gegenübersaßen, die Kaufmannschaft in Person von Ihvarr und Talquist und das Heer, dessen einziger Repräsentant Fhremus war. Nielash Mousa hatte seinem Erscheinungsbild zufolge in der vergangenen Nacht keinen Schlaf gefunden. Sein Gesicht, das für gewöhnlich altersbedingte Falten unter den Augen aufwies, schien unter dem Gewicht der Ereignisse eingesunken zu sein, und die dunkle Haut war gerötet und schweißnass. Er trat in die Mitte des Platzes, räusperte sich höflich und ergriff das Wort, als sich die Stille verdichtet hatte.

»Bevor wir erneut die Wiegezeremonie durchführen, frage ich alle Anwesenden, ob jemand Bedenken dagegen hat oder einen Einwand vorbringen möchte.« Niemand sagte ein Wort.

Der Seligpreiser nickte. »Nun gut. Da ich die Wiegezeremonie durchführen werde und Lasarys mir bei der Niederschrift hilft, sollte ich mich als Erster dem Urteil der Waage unterwerfen. Die Waage entdeckt mehr, als das Auge sehen und der Verstand wissen kann. Sie blickt in das Herz des Menschen und kennt seine Bestimmung. Wenn sie gegen mich entscheidet, muss ich mich ihr beugen.« Er betastete das heilige Symbol an seinem Hals; es stellte die Erde dar. »Mein Amt liegt in diesem Symbol begründet. Wenn ich seiner nicht würdig bin, wenn ich meinen heiligen Eid verletzt oder gegen meine Gelübde gehandelt haben sollte, wird sie mich als fehlerhaft entlarven.« Er betrachtete die Menge, während ein Lächeln um seine Mundwinkel spielte. »Denkt daran, wenn ihr an der Reihe seid.«

Die Versammelten tauschten besorgte Blicke aus. Der Seligpreiser nahm die Kette ab und gab sie Lasarys. Der Priester eilte die Stufen hoch zu der wartenden Waage und legte ehrerbietig das heilige Symbol auf die westliche Schale. Dann trat er zur Seite und nickte Mousa ängstlich zu. Der Seligpreiser von Sorbold schritt die Treppe bis zur oberen Plattform hoch. Sein Rücken war gerader, als es Ashe seit seiner Ankunft an ihm bemerkt hatte. Er schloss die Augen und trat vorsichtig auf die andere Schale.