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»Es ist gewogen und im Gleichgewicht befunden!«, sagte der Seligpreiser laut; seine Erregung hallte durch das erstaunte Schweigen.

Lange sprach niemand mehr. Dann war ein leichtes Klatschen zu hören, das immer stärker wurde. Der östliche Kaufherr sah seinen Gefährten an, der die Schultern zuckte.

»Wer will als Kandidat für das Amt des Kaisers vortreten?«, fragte Mousa.

»Ihvarr!«, rief Talquist fröhlich. »Das heißt, wenn seine uneheliche Geburt ihn nicht disqualifiziert.«

»Verräter!«, rief Ihvarr zurück. »Falls dem so ist, stecken wir in Schwierigkeiten, denn du bist auch ein Bastard, Talquist, und ein größerer als ich auf alle Fälle.«

»Tritt auf die Schale«, sagte Nielash Mousa ungeduldig. »Im Angesicht der Waage sollte dich dein Erstaunen eher sprachlos als närrisch machen.«

Beschämt trat der Kaufherr auf die Waagschale.

Unter dem Rauschen der Luft und einem heftigen Ausschlag des hölzernen Armes wurde er gegen den Sockel der Waage geschleudert. Er landete mit einem schrecklichen knackenden Geräusch im Nacken und schlug schwer auf den Boden.

Talquist sprang auf und rannte auf Ihvarr zu. Panik zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

»Helft ihm!«, schrie er und drückte die Stühle weg, um zu seinem Kameraden zu gelangen. »Um Himmels willen ...«

»Überlass ihn seinem Schicksal«, befahl Nielash Mousa ernst. »Die Waage hat gesprochen. Geh die Treppe hoch.«

Talquist blieb wie vom Donner gerührt stehen. »Wie bitte?«, fragte er ungläubig.

»Stelle dich dem Wiegen. Das ist der Wille der Waage.«

»Sei kein Feigling, Talquist«, höhnte einer der unbedeutenderen Grafen. »Die Kaufmannschaft soll uns anführen und den Thron dem Adel aus der Hand nehmen, der ihn seit Jahrhunderten innehatte. Er soll in die dreckigen Hände eines Krämers gelangen. Du könntest durchaus derjenige sein. Wirf dich in die Waagschale. Vielleicht brichst du dir nur ein Bein anstelle des Genicks.«

Talquist kniete nun neben Ihvarr und schloss ihm die glasigen Augen. Er erhob sich wieder, und sein massiges Gesicht gefror zu einer Maske aus Runzeln.

»Du gehörst jetzt zum Adel, Sitkar?«, fragte er und schaute die Führer der kleineren Stadtstaaten an.

»Du kennst offenbar nur eine einzige Bedeutung dieses Wortes. Es liegt mehr Adel in der Hand eines Mannes, der sein Brot selbst verdient, als in einem weit hergeholten kaiserlichen Recht, die anderen zu bestehlen. Vielleicht stellt die Kaufmannschaft etwas dar, was in deiner Partei unbekannt ist: die Erkenntnis, dass die Erde den Mann belohnt, der sie bearbeitet, sie ehrt und achtet und sich nicht bloß von ihr ernährt.«

Ohne ein weiteres Wort ging er hinüber zu den Stufen und stieg die Plattform hoch. Und betrat die Waagschale.

Und wurde hoch über die roten Pflasterziegel des Platzes gehoben, über die Häupter der anderen Bewerber, als ob die Waage dem Mond über ihr ein wertvolles Opfer darbringe.

Der Seligpreiser kniete sich demütig, gefolgt von Lasarys, Fhremus und den anderen Einwohnern von Sorbold. Einige zögerten, andere waren von Ehrfurcht erfüllt.

Schließlich stand der Segner von Sorbold wieder auf. Er verneigte sich vor dem Kaufherrn und wandte sich an die Versammelten.

»Wer die Weisheit der Waage anzweifelt, stellt die Rechtschaffenheit der Erde selbst in Frage«, verkündete er. Sein zerfurchtes Gesicht entspannte sich zu einem zufriedenen Ausdruck. »Niemand sollte so blasphemisch sein.«

Er wandte sich an Talquist und bot ihm die Hand zum Abstieg von der Waage an.

»Wie lauten Eure Anweisungen, Herr?«

Talquist dachte kurz über diese Frage nach, stellte sich an den Rand der Plattform und schaute auf die Versammelten vor ihm. Schließlich sagte er: »Meine erste Anweisung wird darin bestehen, sich um das Begräbnis Ihvarrs zu kümmern, der ein ehrenwerter Mann war, ein loyaler Sorbolder, ein Verteidiger der Nation und Anwalt des einfachen Mannes – und ein guter Freund«, sagte er schlicht.

»Danach werden wir uns um die Staatsangelegenheiten kümmern.

Ich bin so erstaunt wie alle anderen – vielleicht sogar noch mehr als alle anderen – über den Gang der Ereignisse. Ich möchte vorschlagen, dass ich nicht gekrönt, sondern als Herrscher für ein Jahr eingesetzt werde, was mir im Augenblick viel lieber wäre. Das Heer wird weiter bestehen wie bisher und das Reich verteidigen, die Kaufmannschaft wird weiter ihren Handel führen, der Adel kann seine Privilegien behalten – zunächst. Wenn die Waage nach einem Jahr noch immer der Meinung ist, ich solle als Kaiser herrschen, werde ich mich ihrem Willen beugen und für immer das Sonnenzepter sowie den Ring des Staates annehmen, den ich bereits ab sofort tragen werde. Aber bis dahin will ich nur das Reich zusammenhalten und mich wieder meiner Arbeit widmen.«

Der Seligpreiser verneigte sich tief und sagte zu seinem Gefolge: »Ruft den Kammerherrn, damit er die Köche zur Rückkehr bewegt und wir alle uns auf ein verdientes Mahl freuen können. Wir werden ohne Rangordnung als Freunde und Verbündete an diesem Tisch zusammensitzen und auf Ihvarr und die Zukunft Sorbolds trinken. Denn diese Nacht ist viel versprechend.

Für Sorbold ist es ein Neubeginn.«

Etwas in diesen Worten hatte für Ashes Ohren einen falschen Klang. Er drehte sich um und wollte Talquist eingehender ansehen, doch der neue Herrscher stand hinter Nielash Mousa. Der Seligpreiser wandte sich an Lasarys.

»Die Glocken sollen läuten.«

Zwei Tage nach der Beendigung des Kolloquiums konnte sich Ashe endlich seinen Verpflichtungen entziehen und nach Haguefort abreisen. Er sagte dem Segner von Sorbold Lebewohl und wünschte ihm alles Gute.

»Versucht, etwas Ruhe zu finden«, meinte er und klopfte Nielash Mousa auf die Schulter. »Es waren schwierige Wochen für Euch, und es bleibt noch viel zu tun. Sorbold braucht Euch sehr.«

Der müde Segner lächelte schwach und nickte dankbar. »Wir können nur zum All-Gott beten, dass die schwierigen Zeiten nicht vor uns, sondern hinter uns liegen«, sagte er leise.

»Ryle hira«, erwiderte Ashe, indem er einen alten lirinischen Ausdruck gebrauchte. Das Leben ist so, wie es ist. »Was auch immer geschehen wird, wir werden das Beste daraus machen.«

Am Morgen der Abreise war es sehr warm. Die Sonne war zeitig aufgegangen und schien vom Anbruch einer neuen Ära befeuert zu sein. Sie brannte vom Himmel und erleuchtete das Land. Ashes Männer, die bereits beim Frühstück unerträglich schwitzten, fluchten gedämpft und wünschten sich weniger Begeisterung des Himmelsgestirns. Dennoch packten sie die Karawane schnell und gut und verließen mit Ashe die sorboldische Hauptstadt, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Als das Gefolge des cymrischen Herrschers die Nordflanke der Zahnfelsen herabgeklettert und auf dem Rymshin-Pass in Richtung Sepulvarta unterwegs war, erhob sich plötzlich der Schrei einer einzelnen Stimme, die einen Augenblick später vom Rest des Regiments aufgenommen wurde.

»Herr! Herr!«

Ashe schaute nach Westen in Richtung der Sonne, auf die seine Soldaten mit den Fingern deuteten. Der Magen zog sich ihm in Entsetzen zusammen, noch bevor er den Vogel erblickt hatte, den seine Drachensinne bereits spürten. Er bemerkte die Federn, die er gelassen hatte, die Spannung in den Flügeln und die raschen Augenbewegungen, als das Tier den Handschuh seines Herrn suchte.

»Heiliger All-Gott«, murmelte Ashe und zügelte sein Pferd. »Nein.«

Es war ein Falke.

26

Haguefort — Navarne

Rhapsody drehte die letzten lockigen Haare zu einem Knoten und steckte ihn fest, wobei sie hauptsächlich auf ihren Tastsinn angewiesen war.

»Blaue oder weiße Bänder, Melly?«, fragte sie.

»Blaue, glaube ich«, antwortete das Mädchen und betrachtete sein junges Gesicht ernst im Spiegel.

»Kannst du die Kristalle in die Enden flechten, so wie du es beim Frühlingsball gemacht hast?«