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»Oder auf einer Fiedel mit Gwadd-Saiten.«

Rhapsody legte die Hand vor den Mund, um die Mischung aus Übelkeit und Gelächter zu unterdrücken, die bei dieser Bemerkung in ihr aufstieg. »Noch eine solche Bemerkung, Dorndreher, und ich setze mich neben dich, damit du etwas davon hast, wenn ich mich übergeben muss.«

»Ts, ts«, machte Dorndreher. »Hab sie noch nie so grob und unflätig gesehen, nicht wahr, Anborn? Was ist bloß in sie gefahren? Ach ja, stimmt, das war dein Neffe.«

Anborn kniff seinen ältesten Freund ins Ohr und warf ihm einen finsteren Blick zu. Rasch nahm Rhapsody die Schoßharfe von dem Soldaten entgegen, stimmte sie und spielte eine komisch-herzerweichende Weise aus dem alten Land; es war das Lied vom Gwadd-Helden Simeon Blaskerl und dem Schuh seiner verlorenen Geliebten.

»Noch ein Lied! Singt noch ein anderes Lied, Herrin«, ermunterte Dorndreher sie, als sie die tragische Geschichte beendet hatte.

»Wie wäre es mit einem Schlaflied?«, erwiderte Rhapsody und setzte die Harfe auf das andere Knie.

»Nicht nur, weil es schon spät ist, sondern auch, weil ich so etwas üben muss.« Die Männer nickten zustimmend, als sie mit einer alten, beruhigenden Nachtweise begann, an deren Ursprünge sie sich nicht mehr erinnerte.

Schlaf, kleiner Vogel, unter meinen Schwingen...

Anborn wurde plötzlich im Widerschein des Lagerfeuers blass; seine Hand schoss hervor und packte sie am Unterarm.

»Sing etwas anderes«, sagte er knapp.

Rhapsody blinzelte verblüfft. »Es tut mir Leid«, sagte sie rasch und versuchte sein Gesicht zu erkennen, doch sie sah nur die Schatten von Augen und Mund.

»Es braucht dir nicht Leid zu tun. Sing etwas anderes.«

Zermürbt dachte sie an das Windlied, das zu ihrer Kindheit ihr Schlaflied gewesen war. Sie wusste, dass niemand der hier Versammelten es je gehört haben konnte; also würde es niemandem missfallen. Zögernd begann sie zu singen. Ihre Stimme spiegelte das Knistern des Lagerfeuers und das Pulsieren der Flammen wider, die an der Klinge der Tagessternfanfare entlang leckten.

Schlafe, mein Kind, mein Kleines, schlaf gut. Dort in der Lichtung, wo der Fluss niemals ruht, Wo der Wind leise wispert und trägt fort im Nu All deine Sorgen und den Kummer dazu. Ruh dich aus, mein Süßes, und schlafe recht fest, Dort, wo der Regenpfeifer baut nun sein Nest, Dein Kissen ist Süßklee, das Gras deckt dich zu, Der Mond scheint herab, und der Wind weht dazu.

Träum, meine Liebe, träum wunderschöne Träume Wenn der Wind streicht sanft über Bäche und Bäume. Nimm seine Flügel, er trägt dich ein Stück, Doch meine Liebe hält dich sicher auf Erden zurück.

Als sie geendet hatte, sah Anborn sie zum ersten Mal an, sei sie mit der Weise begonnen hatte.

»Hübsch«, sagte er ruhig. »Von wem hast du es gelernt?«

»Von meiner Mutter«, sagte Rhapsody. »Sie hatte für alles ein Lied. Die Liringlas legen beinahe allem im Leben ein Lied bei. Wenn eine Frau feststellt, dass sie schwanger ist, ist es bei den Lirin Tradition, dass sie ein Lied für das wachsende Leben in sich auswählt. Das ist das erste Geschenk, das sie ihrem Kind gibt – sein eigenes Lied.« Sie schaute in die Dunkelheit hinter dem verschwommenen Lagerfeuer. »Alle meine Brüder hatten ihr eigenes Lied, doch das hier war das Lied, das meine Mutter gesungen hat, als sie mit mir in guter Hoffnung war. Die Liringlas-Mutter singt das Lied ihrer Wahl jeden Tag, bei alltäglichen Ereignissen, in stillen Augenblicken, wenn sie allein ist, vor jedem Morgengebet und nach jeder Abendvesper. Durch sie lernt das Kind dieses Lied kennen. Es ist sein erstes Schlaflied, und jedes Kind hat sein eigenes. Die Lirin leben draußen unter den Sternen, und es ist wichtig, dass die Kinder in gefährlichen Situationen so still wie möglich bleiben. Dieses Lied ist ihnen so vertraut, dass es sie sofort beruhigt. Es wiegt sie in den Schlaf.«

Anborn seufzte. »Eine edle Tradition. Hast du schon eines für meinen Großneffen oder meine Nichte ausgesucht?«

Rhapsody lächelte. »Nein, noch nicht. Mir wird eins einfallen, wenn die Zeit dazu reif ist. Zumindest hat man mir das gesagt. Wenn ihr mich nun entschuldigt, ich glaube, ich möchte schlafen. Ruht wohl, meine Herren.« Sie streckte sich neben dem Feuer aus.

Anborn betrachtete sie liebevoll während des größten Teils der Nacht. Er runzelte die Stirn, als sie im Schlaf vor Schmerzen stöhnte, und seine Augen leuchteten, als sie friedlich schlummerte. Nachdem die Wache gewechselt hatte, kam Dorndreher zu ihm herüber und hockte sich neben ihn.

»Zieht euch kurz zurück«, befahl er den vier Soldaten, die von der Wache gekommen waren. Sie sahen Anborn an, weil sie von ihm diesen Befehl bestätigt haben wollten. Der General nickte. Als die Soldaten außer Sichtweite waren, zog Dorndreher einen dünnen, zerbeulten Kurzsäbel und hielt ihn seinem alten Freund entgegen.

»Nimm ihn«, sagte er.

Anborn schaute fort. »Nicht heute Nacht.«

Dorndreher schwang die Waffe vor ihm. »Nimm ihn«, sagte er gebieterischer.

Anborn lehnte erneut ab. »Ich kann ihn heute Nacht nicht tragen, Dorndreher.«

»Wenn du dich in melancholischen Gedanken verlieren willst, dann begib dich in deine Schwermütigkeit, indem du nicht nur die Erinnerung, sondern den wahrhaftigen Anblick erfährst.«

Schließlich drehte sich der General um und sah seinen Soldaten an, der wie immer dicht hinter ihm stand. Er seufzte, ergriff den Kurzsäbel und hielt ihn gegen das Licht, das sich auf der Klinge widerspiegelte.

Dorndreher stand sehr still da und beobachtete Anborn, der gedankenverloren auf der Erde saß und einen Moment durchlebte, der für immer vergangen war. Es war ein Bild, das Dorndreher als Einziger auf der ganzen Welt durch die Kraft des Namens, den ihm ein Benenner vor langer Zeit gegeben hatte, Anborn sehen lassen konnte.

Als das Bild verblasste, gab er den Säbel dem Soldaten zurück, packte seine nutzlosen Beine und streckte sie aus.

»Ich vermute, ich sollte dir dankbar sein«, sagte er kühl.

»Nicht notwendig. Das tust du nie.«

»Aus gutem Grund«, sagte der General, während er sich schlafen legte. »Es gibt einige Dinge, von deren Anblick sich ein Mann fern halten sollte, wie gern er sie auch sehen möchte. Nun ruf die Wachen herbei und lass sie schlafen.«

Am Morgen wurde die Reise zur Höhle der Drachin fortgesetzt. Es herrschte recht schönes Wetter. Die nächsten drei warmen Tage und kühlen Nächte waren ereignislos und angenehm. Bis der erste Pfeil einschlug.

27

Am frühen Morgen des vierten Tages waren sie noch eine halbe Tagesreise von der engsten Stelle des Tara’fel-Flusses entfernt, als Dorndreher plötzlich in seinem Sattel nach vorn sackte. Dorndreher ritt immer in der Nachhut, unmittelbar hinter Anborn, und hielt dem General buchstäblich den Rücken frei, so wie er es schon seit Jahrhunderten getan hatte. Als daher bei Beginn des Hinterhalts der erste Pfeil abgeschossen wurde, hatte er Dorndreher zum Ziel, der am Ende der Soldatenreihe hinter dem Wagen ritt, in dem Rhapsody schlief.

Trotz seiner Jahre war Dorndreher mit ungewöhnlicher Schnelligkeit gesegnet und hatte noch Zeit gehabt, einen kurzen Blick auf den Schwärm Pfeile zu werfen, die sich in die Rücken der Soldaten vor und neben ihm bohrten und die gleichzeitig nach vorn kippten. Ihre Beine waren nun genauso nutzlos geworden wie die von Anborn.

Der auf ihn gezielte Pfeil war im hohen Sattel stecken geblieben. Dorndreher war vom Aufprall durchgeschüttelt worden, doch er hatte noch in seinem Sitz herumwirbeln und seine Armbrust auf die Köpfe zweier Männer abfeuern können, die zwischen den Bäumen hinter ihm erschienen. Er bemerkte das Rascheln von Zweigen und das Aufwirbeln von Staub und toten Blättern, als sie umfielen, doch er hörte nicht, wie sie auf den Boden schlugen.

Die Zeit verlangsamte sich schrecklich. Er hörte das Klopfen seines Herzens, den Schrei des Pferdes, als es sich aufbäumte, das Knacken von Ästen überall um sie herum. In diesem letzten Augenblick, bevor der zweite Pfeil ihn traf und ihm das Blut in die Kehle stieg, hörte Dorndreher seine eigene Stimme, von der sein Ich abgespalten zu sein schien, einen Alarmruf ausstoßen.