Ein weiterer Ruf ertönte von der Straße her. Eine durchdringende Stimme schrie Befehle, während der Mann im Mantel auf das Kampfgetümmel zuschritt.
Hinter ihm ritt eine Gruppe von sieben Angreifern heran. Sie preschten die Straße hinunter, und die Bogenschützen tauchten ihre Pfeile wieder in das brennende Fass.
Als der letzte der vierzehn Angreifer überwunden war, streckte Anborn den Arm nach Rhapsody aus und beugte sich im Sattel vor. »Rhapsody! Komm!«
Sie sprang über einen sich windenden Körper vor ihr, griff nach Anborn und machte sich daran, vor ihm auf das Pferd zu springen.
»Bogenschützen, zielt auf das Pferd«, sagte der Seneschall. »Caius, du nimmst den Reiter.«
Sie war nur noch einige Ellen von Anborn entfernt, als der wunderbare schwarze Hengst ins Taumeln geriet, stolperte und zu Boden fiel. Er warf den General, der sich an die Flanke des Tieres geklammert hatte, mit dem Kopf voran ab.
Rhapsody war erschüttert. Sie keuchte auf und flog auf ihren Freund zu. Die letzte Strecke legte sie auf den Knien zurück. Sie bedeckte ihn mit ihrem Körper und suchte verzweifelt nach Lebenszeichen. Seine Kleider brannten. Sie erstickte die Flammen mit einem einzigen Wort und kämpfte darum, die Tränen, die ihr in die Augen getreten waren, zu stillen.
Der General lag auf dem Rücken. Sein Blick war glasig, aber auf Rhapsody gerichtet. Er versuchte zu lächeln; seine feuchte Hand zitterte, als er sie in einer nutzlosen Geste der Beruhigung streichelte.
»Lauf weg, du schöne Närrin«, flüsterte er heiser. »Sie sind in der Überzahl, und sie kommen näher.«
Aus der Ferne spähte der Seneschall durch die Flammen und sah, wie sich Rhapsody über den Körper des Reiters beugte.
Hure, murmelte der Dämon. Elende, brünstige Hure.
Zorn brannte in seinem Hirn – ein Zorn, der nicht der seine und nicht der des F’dor war. Er packte den Griff von Tysterisk und zog es wütend aus der Scheide.
Als das Elementarschwert des Windes hervorkam, brachte es einen heftigen Windstoß mit sich. Vom brennenden Waldboden erhob sich eine Windhose. Die Luftströmung fing die Funken des lodernden Wagens auf, wirbelte sie durch den Wald und entzündete ihn. Die grünen Blätter, die bisher nicht vom Feuer erfasst worden waren, erhellten nun den Himmel stärker als das Tageslicht. Der Seneschall gab den Reitern ein Zeichen.
»Steigt ab«, sagte er scharf. »Die Pferde wissen nicht, dass sie in meiner Nähe vor dem Feuer sicher sind. Folgt mir.«
Rhapsody spürte, wie das Feuer und die Hitze stärker wurden, bis sie versengend waren, und sah, wie sich auf Anborns Gesicht Blasen bildeten.
Sie blickte über die Schulter zu der Stelle, wo die Reiter und die verhüllte Gestalt gewesen waren, und bemerkte, dass sie durch die Flammen rasch auf sie zukamen.
Sie wandte sich wieder dem General zu, der im hellen, orangefarbenen Licht des brennenden Waldes grau wurde.
»Du musst mir helfen, Anborn«, sagte sie sanft. »Du musst leben, ich brauche dich.«
Der General blinzelte, sagte aber nichts.
Rhapsody beugte sich dichter über ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich kann ihnen nicht entkommen. Ich sehe nicht gut genug, und es sind zu viele. Ich darf es nicht zulassen, dass ihnen die Tagessternfanfare in die Hände fällt. Du verstehst, wie wichtig das ist.«
Die glasigen Augen des Generals wurden für einen Moment klar, doch dann umwölkten sie sich wieder.
Rasch tauschte Rhapsody das Schwert mit ihm, rollte ihn auf die Seite und schob die Tagessternfanfare unter seinen steifen Körper. Sie ergriff seine Hand, konzentrierte sich auf seinen wahren Namen und sprach ihn aus, damit er wieder heil und gesund wurde.
»Anborn ap Gwylliam, werde heil«, befahl sie mit der Stimme der Benennerin. »Ruhe in heilsamem Schlaf und scheine leblos zu sein, bis diese Männer fortgehen.« Sie sang seinen Namen wieder und wieder und behielt die näher kommenden Schatten im Auge, die sich rasch durch den wogenden Rauch vorarbeiteten.
Der Blick des Generals wurde klarer, und bei ihren Worten kehrte die Farbe in seine Haut zurück. Er versuchte aufzustehen, doch Rhapsody drückte ihn sanft zurück auf den Boden und beugte sich so tief, dass ihre Lippen an seinem Ohr lagen.
»Das Schwert wird dich vor den Flammen schützen«, flüsterte sie. »Bewahre es, Anborn. Die Waldhüter werden kommen, wenn sie das Feuer sehen. Wenn du hier wartest und deinen Tod vorspiegelst, wird Hilfe kommen. Verstehst du mich?«
Anborn nickte schwach und schloss die Augen.
Nun waren die Angreifer nicht mehr weit entfernt. Rhapsody bückte sich über Anborn. Ihre Brust lag an seiner Schulter. Sie küsste ihn auf die Wange.
»Lebe, lebe für mich, Anborn«, sagte sie. »Benachrichtige Ashe von dem, was hier geschehen ist. Sage ihm, den Kindern und meinen Bolg-Freunden, dass ich sie liebe. Und denk immer daran, dass ich dich ebenfalls liebe.«
Der General drückte ihr die Hand. Sie verstanden einander. Sie kannten ihre Pflichten und die harte Wirklichkeit und wussten, was zu tun war, wenn der Tod eines Blutsverwandten drohte. Rhapsody stand mit Anborns Schwert in der Hand da und versuchte zu sich selbst zu finden, wobei sie in die verschwimmende Feuersbrunst vor sich schaute.
Die Gestalt im Mantel gab den anderen wieder ein Zeichen.
Drei der Männer hielten an und richteten ihre Armbrüste auf Rhapsody.
Die anderen vier, die mit Schwertern, Messern und Knüppeln bewaffnet waren, teilten sich auf und umzingelten sie.
Als die Angreifer den Ring enger um sie schlössen, bemerkte sie, dass sie eine Kleinigkeit übersehen hatte. Sie richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Feuer in ihr und rief aus sich selbst eine kleine Flamme hervor, die über die Klinge von Anborns Schwert leckte. Es war eine blasse Imitation der wogenden Flammenwellen, welche die Tagessternfanfare umgaben, doch es sollte genügen, um die Feinde zu täuschen.
»Lass die Waffe fallen«, sagte die verhüllte Gestalt in der Umgangssprache.
In seiner Stimme lag etwas so entsetzlich Vertrautes, dass sich ihr die Nackenhaare aufrichteten. Sie stand stocksteif da und weigerte sich, seinen Befehl mit einer Erwiderung zu bedenken. Die Armbrustschützen spannten ihre Waffen.
Die Schwertkämpfer schlössen sich enger zusammen.
Die Herrin der Cymrer wich nicht von der Stelle.
Die Gestalt in Mantel und Kapuze kam dicht an sie heran und blieb stehen.
»Nicht einmal ein Zucken«, sagte der Fremde mit Bewunderung in der angenehmen Stimme. »Du bist noch genauso wie früher: eine Kämpferin bis zum Schluss. Und es ist immer noch so anregend wie damals. Sogar mehr noch. Und du bist noch schöner geworden. Wer hätte das gedacht?«
Sie packte das Schwert fester.
»Du kämpfst weiter, nicht wahr? Selbst wenn du umzingelt bist und dich einer Übermacht von acht zu eins gegenübersiehst, gibst du nicht auf.« Der Mann in der Kapuze sog tief die Luft ein und stieß einen mächtigen, erfreuten Seufzer aus. »Es wird ein so großer Spaß werden.«
Rhapsody sagte nichts, sondern überprüfte mit klopfendem Herzen ihren Griff um das Schwert. Benommen dachte sie an ihr ungeborenes Kind und bat es still um Vergebung.
Der verhüllte Mann kicherte und bedeutete seinen Soldaten, die Stellung zu halten. Dann schlenderte er lässig weiter.
»Ich habe dir gesagt, ich würde eines Tages zu dir zurückkommen«, meinte er mit kaum verhüllter Erregung. »Es tut mir schrecklich Leid, dass es so lange gedauert hat.«
Rhapsodys bebender Magen wurde zu einem Eisklumpen. In dieser Stimme lag etwas, das ihre Seele entsetzte und zurück in eine Zeit der Dunkelheit jenseits des Begreifens führte, doch ihr Verstand sagte ihr, dass das nicht möglich war.