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Ein Geruch aus der alten Welt drang ihr in die Nase wie der Gestank aus einem offenen Grab. Ihr wurde schwindlig und übel.

Als er unmittelbar vor ihr stand, nahm er die Kapuze ab. Sein Gesicht hatte sich zu einem grausamen Lächeln verzogen, und die blauen Augen glitzerten hell in erregter Vorfreude.

»Hallo, Rhapsody, mein Liebling«, sagte er.

Rhapsodys Gesicht erschlaffte und wurde trotz des Feuerscheins bleich. Ihr Griff um Anborns Schwert lockerte sich; ihre Hände wurden plötzlich kalt und schweißfeucht.

Das verschwommene Gesicht, das unter der Kapuze verborgen gewesen war, wirkte vertraut und fremd zugleich. Sie glaubte, die Umrisse zu erkennen, doch es hatte ein skelettartiges Aussehen, wie sie es noch nie an einem menschlichen Gesicht wahrgenommen hatte. Es lag eine Wildheit in den Zügen, ein dämonisches Feuer in den vertrauten blauen Augen. Es lief ihr kalt den Rücken herunter und durchstrahlte sie, und plötzlich verblasste der Tod, dem sie sich noch vor kurzem gegenübergesehen hatte, vor dem, was da vor ihr stand.

»Das ist nicht möglich«, flüsterte sie.

»Wie klischeehaft. Nun, Rhapsody, ich habe dich in so vielen exotischen Stellungen genommen und dich so auf Herz und Nieren geprüft, dass du alles – alles – als möglich ansehen solltest.«

Entsetzen überspülte sie wie Blut aus einer tödlichen Wunde.

»Nein«, keuchte sie. »Nein. Nein. Nein.«

Der Seneschall lachte laut. »Erinnerst du dich, wie sehr es mich erregt hat, wenn du das zu mir gesagt hast? Ich war härter als ein Schwertgriff. Ich habe dich immer dazu gebracht, mir das zu sagen, bevor ich dich gepfählt habe, und manchmal auch währenddessen, weil ich dabei deine inneren Muskeln auf so erregende Weise gespürt und gewusst habe, dass du mir zwar Widerstand leistest, mich aber nicht aufhalten kannst.« Er beugte sich leicht vor, warf einen Blick auf sie und lachte noch einmal.

»Sieh nur«, sagte er. »Es hat immer noch denselben Effekt!«

Rhapsody schüttelte heftig den Kopf. Ihre Gedanken purzelten durcheinander, der Atem ging schneller, die Blicke schössen umher und suchten nach einem Ausweg.

»Nein«, sagte sie abermals. »Das ist nicht möglich.«

Der Seneschall seufzte glücklich. »Das ist besser, als ich gehofft hatte. Ich hatte befürchtet, du könntest froh sein, mich zu sehen. Dann wäre es nicht so vergnüglich gewesen. Es hat so großen Spaß gemacht, dich zu überwältigen, Rhapsody. Ich hatte nie mehr eine ähnliche Frau wie dich. Ich kann es nicht erwarten, dieses Gefühl wieder zu verspüren. Aber ich will hier und jetzt betonen, dass du nicht in der Lage bist, mir zu widerstehen, in jeder Bedeutung dieses Wortes. Sei aber nicht entmutigt, das würde die Eroberung weniger ergötzlich machen.« Er trat einen Schritt auf sie zu. Einen Herzschlag später zeigte das Schwert in ihrer Hand auf seine Kehle.

»Bleib mir vom Leib, Michael. Ich sterbe vielleicht, aber ich werde dich mit mir nehmen.«

Die drei Armbrüste zielten auf ihren Kopf.

Der Seneschall nickte den anderen Männern zu, während er seinen Gürtel abnahm.

»Du willst mich nehmen, Rhapsody?«, sagte er stichelnd und mit einem deutlichen Unterton der Bedrohung. »Es ist mir ein Vergnügen, dir zu gehorchen. Haltet sie fest.«

28

Vor der nördlichen Küste

Vom Deck der Basquela aus sah Quinn den Rauch über einer hohen Klippe in dem gewaltigen, undurchbrochenen Steinwall aufsteigen, der sich hinter dem Strand erhob und die ganze Küste entlang verlief.

Nervös beobachtete er lange Zeit den Himmel und wartete auf das Zeichen, doch es kam nicht. Schließlich wandte er sich an die Mannschaft, die ebenfalls den Himmel nicht aus den Augen ließ.

»Wir sollten das Schiff in seichteres Gewässer lenken«, sagte er zum Maat, der zur Antwort nickte.

»Wir sollten so lange wie möglich im Tiefen ausharren, damit wir außer Sicht bleiben, aber wir wollen Seine Gnaden nicht warten lassen, wenn er an Bord kommen will.«

»Nein, bestimmt nicht«, stimmte der Maat ihm hastig zu, während sich die Seeleute an die Arbeit machten.

»Hast du ein paar Aale gefangen?«, fragte Quinn einen scheckigen Matrosen, der seit Tagesanbruch fischte.

Der Seemann schüttelte den Kopf. »Nur Barsche. Sie sind ziemlich ölig.«

»Das Geschöpf mag keinen Barsch«, wandte Quinn ein.

Der Matrose zuckte die Achseln. »Sonst hat nichts angebissen. Wenn es hungrig genug ist, wird es das schon fressen.« Er warf den Kübel, der an der Reling gehangen hatte, dem Kapitän zu. Quinn machte ein finsteres Gesicht und fing den Eimer auf. Er eilte über das Deck zu der Tür, die hinunter in den dunklen Laderaum führte. Dann ergriff er die zerbeulte Laterne, die an einem Haken neben der Tür hing, zündete sie rasch an und schritt vorsichtig über die knarrende Holzleiter zu Farons behelfsmäßiger Behausung.

Hier unten in der Dunkelheit war das Knirschen des Schiffes noch lauter. Der Geruch des Bilgenwassers wetteiferte mit dem unheiligen Gestank des Wesens, das in den Schatten lauerte. Als der leuchtende grüne Teich in Sicht kam, klapperte Quinn laut mit dem Eimer.

»Faron?«, rief er mit Nervosität in der Stimme. »Frühstück.«

Der grüne Teich wurde aufgewirbelt, und die Kreatur durchbrach die Oberfläche. Wasser strömte aus allen Öffnungen des scheußlichen Kopfes. Quinn versuchte, seinen Ekel zu verdrängen. Das grüne Glimmen kam von den Ausscheidungen des Ungeheuers, und als Quinn sah, wie es ihm aus dem missgestalteten Mund lief, drehte sich ihm der Magen um.

Die großen, runden Augen starrten ihn aus der Dunkelheit an; die Furchen auf seinem Gesicht legten sich um etwas, das bei einem Menschen die Stirn gewesen wäre, und seine verzerrten Züge kündeten von deutlichem Missvergnügen.

»Nein, er ist noch nicht zurück«, murmelte der Kapitän. »Bald.«

Das Geschöpf zischte. Speichel spritzte aus den offenen Seiten seines verklebten Mundes.

»Ich habe dir schönen Barsch mitgebracht, Faron«, sagte Quinn so besänftigend wie möglich. Die Kreatur spuckte aus und kreischte vor Wut.

»Es tut mir Leid. Das ist alles, was wir gefangen haben. Das hier ist schließlich nicht dein Zuhause bei den Docks, Faron. Hier gibt es keine Aale.«

Faron sah ihn verächtlich an.

»Also, willst du sie haben oder nicht?«

Das Geschöpf schaute den Kapitän noch einige Augenblicke an, dann nickte es. In seinen umwölkten Augen lag Unheil.

Als Quinn ein paar Schritte nach vorn machte, griff Faron in die Tiefen des seichten Teiches und fischte nach etwas. Als er es gefunden hatte, hielt er es hoch.

Quinn brachte die Laterne näher an den Gegenstand heran, weil er sehen wollte, worum es sich handelte.

In der verkrüppelten Hand des Geschöpfes lag ein schartiges Oval, das in vielen Farben leuchtete, auch wenn die Oberfläche hauptsächlich grau war. So etwas hatte Quinn noch nie gesehen, doch er hatte gehört, wie der Seneschall gesagt hatte, das Ungeheuer könne die Schuppen lesen, und so vermutete er, dass es sich dabei um eine solche handelte.

»Zeigst du mir das?«, fragte er. »Ist das für mich?«

Das Wesen nickte und bedeutete dem Seemann mit seiner grotesk verdrehten Hand, näher zu kommen. Zögerlich trat Quinn vor und hielt die Laterne dichter an die Schuppe. Er beugte sich nach vorn, versuchte dabei aber so weit wie möglich von Faron entfernt zu bleiben, damit er diese schreckliche Gestalt, die der Seneschall so sehr zu lieben schien, nicht zufällig berührte. Das Lampenlicht flackerte über die Einritzungen auf der Oberfläche der Schuppe. Zuerst erkannte Quinn das Muster der Linien nicht, doch nach einem Augenblick wurde das Bild deutlicher. Er trat erschrocken zurück.

Es war die unbeholfene Zeichnung eines Galgens, von dem eine Gestalt schlaff herabhing.

»Ich?«, winselte Quinn und prallte zurück. »Willst du damit sagen, dass das für mich ist?«