Allmählich setzte sich seine mit beißendem Rauch gefüllte Lunge in Brand.
Als er schließlich hustete und wegen der Asche und anderen Rückständen des Feuers, die die Luft schwarz machten und verdickten, Blut spuckte, musste er erkennen, dass er es allein nicht schaffen würde.
Er musste die letzte Signalleine ziehen, die ihm noch verblieb.
Für einen Moment summte die Welt um ihn herum vor zerstörerischer Energie, doch es war zu laut, um noch etwas anderes zu hören. Ungeduldig rieb er sich die Ohren und verfluchte seine nutzlosen Beine. Er versuchte, alle Geräusche außer dem sanften Lied des Windes auszublenden. Er brauchte lange, bis er es hörte, doch schließlich erhob sich eine kleine Brise, vielleicht durch das Feuer selbst hervorgerufen. Anborn lauschte den Strömungen in ihr und dem leisen Wimmern, als sie die Richtung änderte und vor Kraft kaum hörbar pfiff.
Der General nahm seine ganze Stärke zusammen, hob den Kopf, neigte ihn nach Westen und stieß den Ruf aus, den er schon mehrfach beantwortet, aber bis zu diesem Augenblick noch nie selbst in den Wind geworfen hatte.
Lenk, Wind des Westens, Wind der Gerechtigkeit, höre mich, krächzte er auf Alt-Lirinisch. Es waren die einzigen Worte in dieser Sprache, die er kannte. Seine Stimme wurde von Rauch und Schmerz beinahe erstickt. Beim Stern werde ich warten, werde ich beobachten, werde ich rufen und gehört werden.
Als er den Ruf der alten Bruderschaft der Soldaten ausstieß, dachte er daran, wie er ihn beim letzten Mal beantwortet hatte. Es war ein klarer, sanfter Ruf im Wind eines verschneiten Waldes mitten in einem schwarzen Sturm gewesen. Er war ihm bis zu seinem Ursprung gefolgt und hatte eine vor Kälte zitternde Frau gefunden, die ein frierendes Pferd an der Leine führte, über dessen Rücken ein bewusstloser Gladiator lag.
Eine Frau, die zur lirinischen Königin und Herrscherin der Cymrer geworden war. Ein Gladiator, den sie in das Reich hinter Leben und Tod mitgenommen und dort gelassen hatte. Er war zurückgekehrt, um von der Waage als Patriarch erwählt zu werden.
Nun zuckte er angesichts der Ironie dieser Ereignisse zusammen.
Damals hatte er geglaubt, er rette die Frau, rette sie beide, auch wenn er den ungeschlachten Kerl am liebsten dem Tod ausgeliefert hätte. Als er das Zerren und die Magie um sich herum gespürt und der Wind ihn dorthin gebracht hatte, wo er gebraucht worden war, hatte er geglaubt, einen Blutsverwandten zu retten. Nun wusste er, dass er sich damals in Wirklichkeit selbst gerettet hatte, dass die Schuld aus dem cymrischen Krieg, die ihn in Traum und Wachsein heimgesucht hatte, von ihm genommen worden war.
Endlich hatte er wieder schlafen können.
Und nun war sie fort. Er hatte versagt, hatte den Eid, sie und ihr Kind zu schützen, seinem Neffen gegenüber gebrochen. Der Schmerz war unerträglich.
Tief in seinen Eingeweiden bildete sich ein weiterer Schrei. Er rief zum Nordwind, dem stärksten der vier, in der Hoffnung, er werde seinen Schrei weiter tragen, denn die Blutsverwandten waren, wie er zu Gwydion Navarne gesagt hatte, nicht mehr zahlreich und lebten weit voneinander entfernt.
»Beim Stern«, rief er und atmete noch mehr Rauch ein, »werde ich warten, werde ich beobachten, werde ich rufen und gehört werden!« Er hustete aus tiefster Lunge.
Die hohen Flammenwände brüllten zur Antwort auf.
Nichts anderes war zu hören.
Anborn versuchte die Verzweiflung abzuschütteln, die ihn nun am Rande seines Bewusstseins bedrängte und seine Zweifel anfachte. Nicht alle Rufe der Blutsverwandten wurden beantwortet, wie er wusste. Er glaubte, selbst zwei vor wenigen Wochen gehört zu haben. Er hatte ihnen gelauscht, sich zur Abreise bereitgemacht, doch die Tür im Wind hatte sich für ihn nicht geöffnet. Es war ihm nicht gelungen herauszufinden, wer nach Hilfe gerufen hatte.
Genau wie jetzt. Vielleicht gab es niemanden, der ihm antworten konnte.
Jahne, Südwind, ausdauerndster, krächzte er. Allmählich versagte ihm die Stimme. Beim Stern werde ich warten, werde ich beobachten. Er schluckte und quetschte die Worte mit Mühe aus seiner Kehle hervor. Werde ich rufen und gehört werden.
Die Zeit schien sich zu dehnen und in der Hitze des Feuers wie Glas unter den Händen eines Glasbläsers zu verformen.
Der Rauch sank nun bis hinunter auf den Waldboden, wo Anborn lag. Der General barg das Gesicht in der Armbeuge und versuchte zu atmen, was ihm inzwischen sehr schwer fiel.
Niemand kam.
Der General rollte auf den Rücken, starrte in den orangefarbenen lodernden Himmel, der von schwarzen und grauen Rauchbändern durchzogen und mit Funken hellen Lichtes gesprenkelt war, die aufglühten und erstarben.
Es gibt niemanden mehr, der den Ruf beantworten kann, dachte er und sah geistesabwesend zu, wie die großen Bäume des Gwynwaldes unter dem Toben der Flammen zusammenbrachen und zu Boden gingen. Der Wald, das Heimatland seiner Großmutter, der Drachin Elynsynos, wurde vor seinen Augen in Asche verwandelt.
Anborn spürte, wie seine Haut, die durch Rhapsodys Benennungsmacht geheilt war, in der Hitze wieder aufbrach. Er sog noch einmal tief die Luft ein, drehte sich so weit wie möglich nach Osten und flüsterte den Namen des letzten Windes.
Thas, sagte er leise. Der Wind des Morgens. Er schluckte, als er sich an den anderen Namen dieses Windes erinnerte. Der Wind des Todes. Höre mich.
Seine vom Rauch erstickte Stimme hatte jede Kraft verloren und brachte nur noch sandige Reibelaute der trockenen Zunge und der klappernden Zähne zustande.
Beim Stern werde ich warten, flüsterte er. Werde ... ich beobachten. Er schluckte wieder und versuchte seiner Kehle die letzten Töne zu entringen. Werde... ich... rufen ...
Seine Lippen bewegten sich nicht mehr.
Am Rande des Meeres schaute ein Mann mit einer Hautfarbe wie Treibholz von den Mustern auf, die er in den Sand gezeichnet hatte, als ob er ferne Stimmen im Wind hörte. Er schaute in das Grau-Blau-Grün des andauernd sich verändernden Horizonts, lauschte wieder, doch hörte nur die Schreie der Möwen.
Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seinen Bildern im Sand zu.
30
Als der Blutsverwandte den Ruf hörte, befand er sich gerade auf dem Rücken eines Pferdes und ritt über üppig grüne Wiesen seinem Heim entgegen.
Er hielt inne und zügelte sein Pferd, setzte sich im Sattel auf, hielt das Ohr in den Wind und versuchte den Ton erneut zu erhaschen. Es waren klagende Worte, die er schon einmal gehört hatte, vor langer Zeit, in einer seit langem toten Sprache.
Beim Stern werde ich warten, werde ich beobachten, werde ich rufen und gehört werden.
Er erkannte die Stimme nicht, aber das hatte er auch nicht erwartet. Es war ein heiseres Krächzen, das andeutete, dass der Sprecher dem Tode nahe war.
Er schaute über das wogende hohe Gras, das sanft in der warmen Brise schaukelte. Die Sonne sank allmählich, hing aber noch hoch über dem westlichen Horizont. Sie warf nachmittägliche Schatten gen Osten in die Richtung, aus der er herbeigeritten war.
Er hörte die Stimme abermals, schwächer diesmal, doch klar und deutlich. Sie befand sich in dem Wind, der in seine Richtung blies.
Beim Stern werde ich warten. Werde ... ich beobachten. Werde... ich... rufen...
Dann nichts mehr.
Der Blutsverwandte suchte die Löcher in der Brise ab, schaute zwischen den Luftstößen, die das Gras auf der weiten Ebene beugten, nach einem Durchgang, der ihn zu dem Rufer führen würde, so wie es gewesen war, als er damals beim ersten Mal den Ruf gehört hatte. Aber in der Luft gab es keinen wirbelnden Abgrund, keinen Tunnel, durch den er reiten konnte, so wie damals. Nervös stieg er ab, beschirmte die Augen und schaute über den wogenden Ozean aus Gras bis zum Rande des Horizonts, doch er sah nichts.