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Ihre Inseln des Trostes waren verwüstet, und ihre abschweifenden Gedanken brachten ihr nichts als Verzweiflung. Jede Erinnerung an Ashe riss blutende Wunden in ihre Seele, denn sie wusste, welche Sorgen er sich um sie machen würde. Schlimmer noch, jeder Gedanke an das Kind, das sie unter dem Herzen trug, ließ sie vor Angst erbeben. Sie betete, dass seine Existenz geheim blieb. Mit jeder Stunde nahm ihre Hoffnung ab, sie könnte aus ihrer Gefangenschaft entkommen. Michael ließ sie nie allein, ließ sie nicht einen Moment aus den Augen und versicherte ihr immer wieder, dass sie von nun an ihre restliche Zeit in genau dieser Weise verbringen würde.

»Erinnerst du dich an unsere letzten zwei gemeinsamen Wochen in Serendair?«, hatte er sie während des Reitens gefragt, während seine Lippen eine Linie von ihrem Hals bis zur Schulter gezogen hatten. Rhapsody hatte die Augen geschlossen und versucht, sich der Erinnerung zu verschließen, doch sie tauchte wieder auf – die Gefangenschaft, die Verderbtheiten, das Brechen ihres Widerstands, das nur dazu gedient hatte, seine perversen Gelüste zu befriedigen. »Ich halte diese Zeit in meinem Herzen, Rhapsody. Die Rückkehr zu diesen prachtvollen Tagen steht unmittelbar bevor. Wenn wir nach Argaut kommen, wirst du am Tag die Kurtisane des Seneschalls und Justizministers und bei Nacht die Hure des Barons sein.« Sie versuchte, Geist und Sinne vor dem Gestank zu verschließen, der anzeigte, dass der Dämon über diese Aussicht noch erregter wurde.

Michael hatte tief die rauchgeschwängerte Luft eingeatmet und zog sie näher an sich, bis seine Lippen dicht an ihrem Ohr waren.

»Ich werde dich wieder in mich verliebt machen, Rhapsody. Erinnere dich daran, dass du nie aufgehört hast, die meine zu sein. Du hast mir gehört, lange bevor es einen anderen Mann in deinem Leben gab. Ich werde jede Erinnerung an ihn aus deinem Herzen und zwischen deinen Beinen vertreiben. Du wirst bald so ausgefüllt von mir sein, dass es nirgendwo mehr Platz in dir für einen anderen gibt.«

Sie dachte an ihr Kind und kämpfte gegen die Tränen an.

Nach unbestimmbarer Zeit dünnte sich der Wald allmählich aus; die Bäume standen weiter voneinander entfernt, wurden zu Büschen und Hainen mit offenem Land dazwischen und waren schließlich ganz verschwunden.

Rhapsodys Geruchssinn war seit der Empfängnis ihres Kindes geschärft. Sie bemerkte Seeluft, als sie den brennenden Wald hinter sich gelassen hatten. Während sie in westlicher Richtung weiterritten, wurde die Luft immer salziger. Offenbar waren sie zum Meer unterwegs.

Das Geräusch des Ozeans drang mit einer Brise herbei, als die Sonne allmählich sank. Rhapsodys größte Angst, nämlich mit Michael allein zu sein, während die Truppe das Nachtlager aufschlug, wurde beiseite geschoben, als sie erkannte, dass die Reise, auf die Michael angespielt hatte, unmittelbar bevorstand.

Sie hatte Närrischerweise geglaubt, der nächste Ort zum Einschiffen sei Port Fallon oder Traeg, die nördlichsten der größeren und kleineren Häfen an der Küste von Avonderre und Gwynwald. Sie hatte bereits ihre Flucht geplant und gehofft, Unterstützung in den Menschenmassen von Port Fallon oder unter den unerschütterlichen Fischern zu finden, die von der kleinen Bucht in Traeg aus die windgepeitschte See befuhren. Doch jetzt wurde ihr klar, dass Michael andere Pläne hatte. Sie schwebte in noch größerer Gefahr, als sie geglaubt hatte.

Die Reiter hielten bei einer Öffnung in den Klippen an, wo ein großer Sims die aufgewühlte See überblickte. Das Geräusch des Windes und der Wellen, die gemeinsam gegen die Felsen anbrandeten, war ihr vertraut. Sie hatte ein ähnliches unmelodisches Jammern im Abgrund des Prophetinnentempels zu Yarim gehört.

Manwyns Stimme dröhnte blasiert und rätselhaft in Rhapsodys Kopf.

Rhapsody wird nicht sterben, wenn sie deine Kinder zur Welt bringt. Die Schwangerschaft wird nicht leicht, aber sie wird Rhapsody weder umbringen noch sie verletzen.

Hatte Manwyn etwas anderes vorhergesagt?, fragte sie sich dumpf, als Michael sie um die Hüfte griff und vom Pferd hob. Vielleicht ist es das hier, was sie gesehen hat.

Ihr Tod unter den Händen Michaels. Oder noch schlimmer: ihren Selbstmord.

Man sollte sich vor der Vergangenheit in Acht nehmen. Die Vergangenheit kann eine gnadenlose Jägerin sein, eine heimliche Beschützerin oder eine rachsüchtige Feindin. Sie will dich haben; sie will dir helfen.

Sie will dich vernichten.

Sie bemühte sich, aufrecht zu bleiben, als der starke Seewind über den Sims fuhr, ihr ins Gesicht schlug und an ihrem Hemd zerrte.

Michael ergriff ihr Handgelenk und zog sie auf den Sims. Er hatte eine breite Basis und lief weit vorn in einer Spitze aus, wo der Wind noch kräftiger blies. Das dunkle Haar umströmte Michael wie ein Banner des Triumphes, genau wie der schwarze Mantel, der ebenfalls hinter ihm flatterte. Rhapsody bemerkte, dass der Wind ihn zu beleben schien. Sie bemühte sich, unter seinem Griff nicht zu zittern, was ihr angesichts der Stärke ihres Feindes kaum gelang. Neben seiner Größe und Kraft war er offenbar zusätzlich mit zwei Elementen verbunden, mit der Luft und dem Feuer, die er beide nach seinem Belieben zu beherrschen schien.

Und er war die Verkörperung eines F’dor.

Die Sonne wurde rot, als sie gegen den Ozean sank und nur noch eine Handbreit über dem Horizont schwebte.

Michael fuhr ihr mit leichenhaften Fingern über den Nacken, spielte mit ihren Locken und zauste sie. Dann riss er ihr den Kopf hoch und drehte sie um, sodass sie gemeinsam nach Süden schauten. Er deutete links an der sinkenden Sonne vorbei. Sein Arm badete in blutigem Licht.

»Da ist es, meine Geliebte: unser Schiff der Träume, das uns von diesem Ort wegführt und zurück nach Argaut bringt, wo ich alles einlösen will, was ich dir versprochen habe.«

Er fuhr mit der freien Hand durch die Luft. Ein Schauer schwarzen Feuers schoss aus ihr hervor und brannte sich in einem kreischenden Bogen durch die staubige Nachmittagsluft.

Als das sengende Licht verblasste, sah sie das Schiff, das in tiefem Gewässer ankerte. Zur Antwort auf den Feuerblitz wurden die Segel gehisst.

Rhapsody erbebte bei dem Versuch, ihre Schluchzer zu unterdrücken. Ich werde diesem Bastard nicht die Genugtuung verschaffen, mich je wieder weinen zu sehen, dachte sie, obwohl ihre Entschlossenheit in Anbetracht der Umstände rasch ins Wanken geriet.

Sie spähte über das Ende des Simses. Der vulkanische Fels fiel etwa hundert Fuß unter ihr ins Meer ab, und die Küstenlinie war von zerklüfteten Felsen gesäumt. Die Wellen schlugen bedrohlich dagegen und brandeten heftig gegen die Klippen. Rhapsody schloss die Augen und taumelte leicht, als sie das Gleichgewicht zu verlieren drohte. Ihr wurde übel, und die Sinne schwanden ihr.

»Bitte«, keuchte sie. »Ich will weg von hier.«

Der Seneschall lachte harsch und zog sie von dem Rand des Gesimses auf die sieben Männer zu. Einige hielten Wache, andere sammelten das Gepäck ein und trafen Vorbereitungen für den Abstieg zum Schiff.

»Du hast Höhenangst? Das ist aber seltsam, Rhapsody. Ich habe nicht gewusst, dass du überhaupt vor etwas Angst hast. Vielleicht erklärt das, warum du es nie gemocht hast, oben zu liegen.«

Rhapsody schluckte ihre Entgegnung herunter. Ihr Kopf wurde klarer, als sie sich von der brodelnden See abwandten. Sie begriff, dass sie nichts gewinnen konnte, wenn sie ihn wütend machte.

»Wie hast du überlebt, Michael?«, fragte sie leise und ohne jeden Ton von Verachtung in der Stimme.