Der F’dor, der diese Kinder gezeugt hat, war ein Geist aus der alten Welt. Er hatte zweifellos viele Wirte auf Serendair. Und wir wissen, dass er noch mehr gehabt hat, seit er hier ist.« Er verstummte, und beide schauten hinter sich, wo ein Kichern ertönte. Eine Gruppe Kinder, die sie fälschlich für Liebende gehalten hatten, welche sich in einer verschwiegenen Gasse küssten, starrte sie kurz an und zerstreute sich dann unter Achmeds wütenden Augen, die als Einziges von seinem Gesicht zu sehen waren. Er blickte finster drein und hielt dann wieder die Lippen an Rhapsodys Ohr.
»Wir wissen, wie mächtig er inzwischen ist. Bestimmt hat er den ersten Tropfen durch das Blut von hunderten, vielleicht tausenden anderer Wirte verschleiert. Dann hat er den Rakshas erschaffen. Er hat das Blut von wilden Tieren mit dem seines menschlichen Wirtes gemischt. Der Rakshas hat die Mütter dieser Kinder geschwängert und damit das Blut des F’dor sogar noch weiter verdünnt.
Du musst verstehen, dass das Blut des F’dor in den Adern dieser Kinder für mich wie der Hauch eines Parfüms ist, das ich zuvor nur ein einziges Mal gerochen habe. Du bittest mich darum, diesen Hauch in der Luft dieser Stadt unter all den anderen Gerüchen wiederzufinden. Darüber hinaus hat der Betreffende das Parfüm schon vor Monaten aufgelegt.«
»Vielleicht hat er in der Zwischenzeit nicht gebadet. Das könnte uns helfen«, sagte Rhapsody leichthin. In ihren grünen Augen funkelte es, doch dann wurde sie wieder ernst. »Es tut mir Leid, dass ich ein so großes Gewicht auf deine Schultern lade. Was sollen wir als Nächstes tun?«
Achmed seufzte und lehnte sich zurück; dann stand er auf. »Wir richten uns nach Südosten und sehen nach, was wir dort finden. Falls wir weder dieses Kind noch die anderen entdecken, müssen wir mit dem vorlieb nehmen, was wir finden, selbst wenn es nur das Kind ist, von dem wir wissen, dass es in neun Wochen in Tyrian geboren wird. Für dieses haben wir die genauen Angaben von Zeit und Ort. Alles, was ich brauche, ist eine winzige Menge reinen Dämonenblutes.«
»Wir sollen die anderen der Verdammnis preisgeben? Der Leere?«
Achmed blinzelte nicht. »Ja.«
»Würdest du das wirklich tun?«
»Beim nächsten Herzschlag sozusagen. Also bitte! Die Möglichkeit, dieses Wesen zu finden, wird mit jedem Augenblick geringer.« Achmed streckte die Hand aus, die in einer dünnen Lederscheide steckte, und Rhapsody ergriff sie. Gemeinsam überquerten sie die Gasse und verschwanden in den Tiefen von Yarim Paar.
5
Omet mochte den neuen Lehrling nicht. Unter gewöhnlichen Umständen wäre Omet so beschäftigt gewesen, dass er den Neuen gar nicht bemerkt hätte. Als er selbst zwei Jahre vor seiner Gesellenzeit Lehrling gewesen war, war ihm die Arbeit unendlich und das Leben schlaflos erschienen. Er hatte keine Zeit für Meinungen, Gefühle oder irgendetwas anderes gehabt, das ihn davon ablenkt hätte, die Temperatur der backenden Ziegel zu überprüfen oder alle zwei Stunden aufzustehen, um die Feuer der Öfen während der Nacht mit Torf, Kohle, Dung und seltener Holz zu bestücken.
Der rote Lehm von Yarim taugte nicht zum Ackerbau, doch er ergab wunderbare Ziegel. In seiner besten Zeit hatte Yarim den größten Teil aller Nutz und Pflastersteine produziert, aus denen die cymrischen Städte bestanden, sowie die Mosaiken und Keramikziegel, mit denen sie geschmückt waren. Yarim selbst hatte sich von den glitzernden Wasserbecken, die den Herzogspalast umgaben, bis zu den Wänden des Orakeltempels mit den schönsten Stücken herausgeputzt. Selbst jetzt, in den Jahren des Niedergangs und unter den Beschränkungen der Wasserknappheit, stellte Yarim noch immer Ziegel und Töpferwaren für den Export her. Die gewaltige Brennerei war neben den verschiedenen Verwaltungsgebäuden und dem Tempel des Orakels das größte Bauwerk der Stadt. Zum Teil leer, stand es am südöstlichen Rand der Stadt, in der Nähe der größten Fernstraße. Ätzender schwarzer Rauch von den Tag und Nacht brennenden Feuern hing schwer in der Luft über dem Gebäude und den angrenzenden Straßen und machte das Atmen zur Qual, weswegen in der Nähe nur wenige andere Gebäude und keine Wohnhäuser lagen.
Als seine Mutter ihn zur Eigentümerin der Ziegelei in die Lehre geschickt hatte, war ihr sehr wohl bewusst gewesen, zu welchem Leben sie ihren Sohn damit verdammte. Die Eigentümerin der Ziegelei war eine kleine Frau von halb menschlicher, halb lirinscher Abstammung und hieß Esten. Man kannte ihren Anblick, Namen und Ruf nicht nur in der ganzen Provinz Yarim, sondern auch im Westen bis Canderre und im Süden bis Bethe Corbair.
Estens geringe körperliche Größe stand in unmittelbarem Gegensatz zu ihrem sozialen Rang; sie war die Eigentümerin und Betreiberin von Yarims größter Ziegelbrennerei. Noch weiter bekannt war ihre Stellung als Vorsteherin der blutrünstigen Rabengilde, eines eingeschworenen Zirkels aus Erpressern, Raubmördern und Dieben, welcher in Yarim während der dunklen Stunden herrschte.
Trotz ihres abenteuerlichen Rufs hatte Esten ein hübsches, exotisches Gesicht mit klaren Linien und hohen Wangenknochen, die sie vermutlich ihrem Lirin-Blut verdankte. Dass es überhaupt schon jemand gesehen hatte, war ein Zeichen für ihre Stellung, denn die meisten Frauen in Yarim trugen den Schleier.
Das Ungewöhnlichste an ihrem Gesicht waren die Augen: dunkel und stechend wie die des Vogels, nach dem ihre Gilde benannt worden war. In diesen Augen lag immer eine gewisse Belustigung, selbst wenn sie schwarz vor Wut waren, und sie waren durchdringender als ein Eispickel. Omet hatte sich bei seiner Annahme als Lehrling vorgenommen, ihren Blick so weit wie möglich zu meiden.
Die wenigen Sekunden, in denen er zu dessen Ziel geworden war, hatten ihn so erschreckt, dass er schon befürchtet hatte, vor Angst in die Hose zu machen. Es überraschte ihn nicht, dass seine Mutter ihn in den letzten fünf Jahren nicht besucht hatte.
Die meiste Zeit war es ihm gelungen, Estens Aufmerksamkeit zu entgehen. Sie kam jeden Neumond her, um die Fortschritte beim Tunnelbau zu überprüfen, und wenn sie sah, dass er die Kindersklaven ausreichend fütterte und die Öfen gut schürte, beschränkten sich ihre Begegnungen auf reine Zufälle.
Vielleicht war seine Entscheidung, ihrer Aufmerksamkeit zu entgehen, ein Fehler gewesen. Seit Vincane, der neue Lehrling, aus dem Tunnel gezogen worden war und neben Omet und den anderen arbeitete, war er diesem aus dem Weg gegangen, denn Vincane tat alles, um sich bei Esten einzuschmeicheln und ihre Gunst durch etliche sklavische Dienste zu erringen, die Omet den Magen umdrehten. Seine Possen schienen Esten den Kopf verdreht zu haben. Nun zog sie Vincane vor, brachte ihm kleine Leckereien und zauste ihm das Haar. Sie lachte mit ihm und neckte ihn. In Vincanes Augen lag etwas Dunkles und Neugieriges, das Esten stark ähnelte, und es verhalf ihm zu seiner Stellung als ihr Schoßtier.
Doch es war nicht diese Vorzugsbehandlung, die Omet beunruhigte; es war eher die kalte Grausamkeit, die Vincane manchmal Omet und den anderen Lehrlingen, häufig aber den Sklavenkindern gegenüber herauskehrte, ohne dafür getadelt zu werden.
Meistens sah man nicht viel von diesen Kindern. Nahrung und Wasser wurden mehrmals am Tag als Belohnung für die Erfüllung der Förderquote den Schacht hinuntergelassen. Fünfzig Lehmkübel kamen hoch, ein Eimer Wasser wurde in die Tiefe geschickt. Hundert Lehmkübel kamen hoch, eine Kiste mit Essen nahm den Weg nach unten. Hoch, hinunter, hoch, hinunter. So sah das Leben eines Lehrlings im fünften Lehrjahr aus: Er zog die Kübel aus dem Schacht, schüttete den Lehm aus, warf den Kübel wieder hinunter und bedachte die dunklen, kleinen Wesen, die wie Ratten auf dem Boden des Schachts und in dem Tunnel dahinter herumhuschten, zuweilen mit ein wenig Brühe oder Brot. Dazwischen trugen sie die Bretter mit Ziegeln und Mörtel umher, wobei sie es peinlich vermieden, den Öfen zu nahe zu kommen. Sie überprüften die großen Fässer mit Lehm, der in der gewaltigen Hitze buk, und läuteten die Glocke, um die Gesellen aus dem Nebengebäude herbeizurufen, in dem sie lebten und arbeiteten, wenn die Feuerungen ausgebrannt waren.