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Bis vor kurzem war Vincane selbst eines der Sklavenkinder gewesen. Er war eine Unterschicht-Waise und entweder gestohlen oder verkauft worden und hatte erstaunliche Zähigkeit beim Graben gezeigt. Überdies war seine Fähigkeit, Schmerzen zu ertragen, beinahe übermenschlich. Omet hatte einmal gesehen, wie er die Hand mitten in den Brennofen gesteckt und ein Rost mit grün glasierten Ziegeln herausgeholt hatte, ohne zurückzuzucken, als er den glühend heißen Draht berührte. Dies und seine Bereitschaft, die kleinen Geheimnisse seiner Mitsklaven zu verraten sie hatten den Tunnel einige Hand breit erweitert, um zusätzlichen Schlafraum zu schaffen; sie hatten die zerbrochenen Stücke einer Kelle versteckt, anstatt sie zurückzugeben , hatten ihm Estens Zuneigung und dadurch die einzigartige Möglichkeit verschafft, dem Tunnel zu entkommen und als Lehrling zu arbeiten. Zuerst hatten die Gesellen befürchtet, die Sklavenkinder könnten sich nun gegeneinander wenden, um dieselben Vorteile zu bekommen, wodurch die Grabungen gestört würden, doch Esten hatte diese Gefahr im Keim erstickt. Jeglicher Aufruhr würde dazu führen, dass Vincane zurück in den Tunnel kam, hatte sie mit süßlicher Stimme während des morgendlichen Luftholens zu den Sklavenkindern gesagt. Und es würde ihm erlaubt sein, einige seiner Spielzeuge mitzubringen. Die Sklaven hatten ihr Frühstück plötzlich noch stiller gegessen, und in ihren beinahe blinden Augen hatte sich ihr Entsetzen widergespiegelt. Omet verspürte kein besonderes Mitleid mit den Sklavenkindern, denn schließlich war auch sein eigenes Leben nichts, um das man ihn beneiden konnte; dennoch war er von Vincanes Grausamkeiten erschüttert. Manchmal ließ dieser ein Brett mit Essen herunter, nach dem zwei Dutzend schmutziger Hände gierig griffen, auf dem sich aber lediglich zwei harte Semmeln und ein wenig Seil von der Verpackungsabteilung befanden. Vincanes hohes, kreischendes Gelächter angesichts des blutigen Aufruhrs, der dann einsetzte, hatte Omet trotz der Hitze aus den Öfen eine Gänsehaut bereitet.

Immer wenn es Vincanes Aufgabe war, die Körbe mit den Sklaven zur monatlichen Frischluft hochzuziehen, wurde die Hälfte dabei blutig verletzt und gegen die Ziegelmauern des Schachtes geschlagen. Wütendes Gejammer und Faustkämpfe setzten regelmäßig ein, wenn er die monatlichen Rationen austeilte. Vincane erklärte sich jeweils unschuldig daran und klagte die anderen selbstgerecht an. Es beunruhigte Omet sehr, dass Vincanes Augen noch erregter funkelten, wenn er sah, wie ein Sklavenkind auf seine Anklage hin durchgeprügelt wurde. Manchmal dachte Omet daran, Vincane zurück in den Schacht zu werfen, wenn er gerade einmal nicht aufpasste.

Vincane hatte sogar einmal zum Scherz Omet im Schlaf die Haare gestutzt; dieser hatte sich die ganze Nacht in schrecklichen Träumen hin und her gewälzt und darin Vincane grinsend und mit einem Messer über ihn gebeugt gesehen. Er war inmitten seiner unregelmäßig abgeschnittenen Haare erwacht. Omet hatte daran gedacht, Vincane die verdiente Prügel zu geben, doch selbst wenn es ihm gelungen wäre, hätte es Estens Aufmerksamkeit erregt, und das war etwas, das niemals geschehen durfte. Also hatte er den Ärger heruntergeschluckt, sich den Kopf völlig kahl geschoren und empfand dies angesichts der Hitze zwischen den Öfen als durchaus angenehm.

Der einzige Fehltritt, der Vincane bisher unterlaufen war, hatte darin bestanden, dass er in den Wassereimer uriniert hatte, bevor er ihn herunter gelassen hatte; er hatte das als einen tollen Spaß angesehen. Er hatte mit dem Rücken zur Tür gestanden und nicht bemerkt, dass Esten bereits für ihre monatliche Inspektion des Tunnels eingetroffen war. Diese Wasserverschwendung war in Yarim Paar ein Verbrechen, und obwohl Esten täglich etliche Gesetze selbst brach, war dieses offenbar eines, das sie als sehr wichtig ansah. Sie hatte Vincane an den Ohren gepackt und sie so heftig gezwirbelt, dass sie diese beinahe ausgerissen hätte; darauf waren Schläge auf beide Seiten seines blutenden Kopfes gefolgt. Aus dieser Erfahrung hatte Vincane gelernt und seinen Scherz nicht wiederholt; zumindest hatte Omet es nicht bemerkt. Doch die Schmerzen schien er kaum wahrgenommen zu haben.

Selbst die wenigen Eigenschaften Vincanes, die man als eher angenehm ansehen konnte, wurden auf die eine oder andere Weise in ihr widerwärtiges Gegenteil verkehrt. Im Gegensatz zu den übrigen Lehr jungen hatte Vincane keine Bedenken, die Leichname der Sklavenkinder, die im Tunnel gestorben waren, herauszuholen und in den Ofen im Gesellenflügel zu werfen. Der Gesellenofen wurde seit jenem unglücklichen Tag als Krematorium benutzt, als einer der Sklavenjungen den Fehler begangen hatte, während der monatlichen Frischluft entkommen zu wollen. Esten hatte ihn in den größten Brennofen gesteckt und die Tür zugeschlagen. Der Gestank hinterher war gering gewesen, doch das Brenngut war wegen der zusätzlichen Feuchtigkeit verdorben; sechs Bretter mit Ziegeln waren ruiniert gewesen. Daher benutzte Vincane von jenem Tag an nur den Ofen in dem weit entfernten Gebäudeteil, um die Leichname der Sklavenkinder zu verbrennen. Einmal war Omet dorthin gegangen, um herauszufinden, warum der Lehrling so lange fort war, und hatte sich übergeben müssen, als er mit angesehen hatte, welche Rituale Vincane vor der Einäscherung durchführte. Glücklicherweise war in letzter Zeit nur einer aus der gegenwärtigen Belegschaft gestorben; der Haufen schien diesmal ziemlich zäh zu sein. Niemand sprach im Tunnel; es war bei Todesstrafe verboten, sich außerhalb der Brennerei zu unterhalten. Die Brennerei selbst war nur die Fassade für das Graben, das weder bei Tag noch bei Nacht ein Ende fand. Die Vorderseite der Brennerei, die auch als Vorzimmer bekannt war, enthielt einen kleinen Ofen und einige Keramiköfen für das Steingut und die Ziegel, die in ganz Yarim und Roland verkauft wurden. Dort dienten die Lehrlinge im ersten und zweiten Jahr und lernten die richtige Zusammensetzung und das rechte Maß für das Brenngut sowie das Herstellen von Gussformen. Außerdem mussten sie die schweren Ziegelbretter aus den kleineren Öfen umschichten.

Aber die wirkliche Arbeit wurde im rückwärtigen Teil hinter großen Doppeltüren geleistet, wo die größeren Öfen standen. Die Lehrlinge im dritten, vierten und fünften Jahr lebten und arbeiteten hier und stellten Ziegel für Bewässerungsanlagen und Straßenpflasterungen her. Die kunstvollere Arbeit fand man in den Seitenflügeln der Gesellen. Die Lehrlinge im sechsten Jahr sowie im ersten Gesellenjahr verbrachten ihre Tage damit, unter der Leitung ihrer Meister architektonische Zeichnungen und Handbemaltes Porzellan herzustellen. Während seines vierten Jahres hatte Omet als Aufseher für die jüngeren Lehrlinge gearbeitet und rasch die wichtigste Lektion der Beaufsichtigung gelernt: die Peitsche bei denjenigen anzuwenden, die unter einem selbst standen. Es war eine einfache Zeit gewesen, und er freute sich darauf, wieder der angenehmen Tätigkeit eines Aufsehers nachzugehen, sobald sein Gesellenjahr vorbei war.

Früher war die Tätigkeit, in der er ausgebildet wurde, einmal eine künstlerische Berufung für ihn gewesen. Nun aber hasste Omet Ziegel, hasste die harte Arbeit des Gießens und Backens, des Formens und Schleppens, und er hasste den roten Lehm, der Hände und Arme mit der Farbe getrockneten Blutes sprenkelte.

Und Omet hasste den neuen Lehrjungen.

Estens Stimme hallte durch den Schacht hoch.

»Erledigt.«

Omet fuhr damit fort, die zerbeulten Zinnteller aus den schmutzigen Händen der Gräber entgegenzunehmen, und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie zwei Gesellen auf den Schacht zustürmten und den Haken herabließen.

Einen Augenblick später erschien Estens Kopf. Einer der Gesellen bot ihr die Hand und zog sie über den Rand des Schachtes. Sie klopfte sich den lockeren Lehm von den dunklen Kleidern bei ihren monatlichen Inspektionen trug sie jedes Mal ein einfaches schwarzes Hemd und eine schwarze Hose und schüttelte den langen schwarzen Zopf. Ihr Gesicht verzog sich zu einem blitzenden Lächeln, als sie sich an die kleine Gruppe verwilderter Seelen wandte, die sich an der anderen Wand der Ziegelei zusammendrängten und von bewaffneten Gesellen umstellt waren.