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Rhapsody erwiderte sein durchdringendes Starren mit einem milden, aber ebenso entschlossenen Blick. »Ja.«

»Gut. Und jetzt sollten wir den Quartiermeister vor Grunthors Zorn retten.«

Der frisch gefallene Schnee des frühen Wintertages knirschte unter ihren Füßen, als sie über die Heide gingen. Rhapsody blieb kurz stehen, wandte sich vom westlichen Vorgebirge und der weiten Ebene der Krevensfelder ab und betrachtete den schwarzen östlichen Horizont hinter den Gipfeln der Zahnfelsen, deren gezackte Umrisse nun vom blassen Grau erhellt wurden. Eine Stunde bis Sonnenaufgang, vielleicht weniger, dachte sie und versuchte zu schätzen, wann sie und Achmed sich trennen würden. Es war für sie wichtig, an einem Ort zu sein, wo sie die Morgendämmerung mit den rituellen Liedern der Liringlas, der Rassee ihrer Mutter, begrüßen konnte. Sie sog die klare, kalte Luft ein, atmete wieder aus und sah den gefrierenden Wölkchen im bitter kalten Wind nach.

»Achmed«, rief sie dem König zu, der etwa zwanzig Schritte vor ihr stand. Er wandte sich um und wartete schweigend, bis sie zu ihm aufgeschlossen hatte. »Ich bin dir für deine Hilfe in dieser Angelegenheit wirklich dankbar.«

»Das brauchst du nicht zu sein, Rhapsody«, meinte er ernsthaft. »Ich will dir nicht dabei helfen, die Brut der F’dor vor der Verdammnis zu retten. Meine Beweggründe sind vollkommen selbstsüchtig. Das solltest du inzwischen wissen.«

»Wenn deine Beweggründe völlig selbstsüchtig wären, würdest du mich nicht auf dieser Suche begleiten, sondern allein gehen und sie zur Strecke bringen«, sagte sie und entwirrte den Riemen ihrer Tasche. »Ich schlage dir einen Handel vor: Ich behaupte nicht mehr, deine Beweggründe seien selbstlos, und du beharrst nicht mehr darauf, dass sie eigensüchtig sind. Einverstanden?«

»Ich bin mit allem einverstanden, wenn du dich nur beeilst und endlich zur Abreise bereit machst. Wenn wir nicht losziehen, bevor die Sonne hoch am Himmel steht, könnten wir gesehen werden.«

Sie nickte. Beide eilten über die Heide und hinunter zu den tiefer gelegenen Verteidigungsanlagen, in denen Grunthor und die Truppen des Quartiermeisters warteten.

»Ihr seid ’ne Schande für dieses Regiment, ihr alle!«, knurrte Grunthor gerade die zitternden Bolg-Soldaten an. »Noch ein falsch ausgeführter Befehl, und ich werd euch auspeitschen, in Scheiben schneiden und fürs Abendessen in Öl sieden jeden Einzelnen von euch! Und du, Hagraith, du bist der Nachtisch!«

Achmed räusperte sich. »Sind die Pferde bereit, Sergeant-Major?«

»So bereit wie möglich«, brummte Grunthor. »Die Ausrüstung kommt auch gleich, sobald der Obergefreite Hagraith den Kopf aus dem Hintern nimmt, sich die Hrekin aus den Ohren puhlt und die zusammengerollten Verbände holt, die ich schon vor zwei Stunden verlangt habe!«

Der Soldat rannte sofort los.

Rhapsody wartete in rücksichtsvollem Schweigen, bis Grunthor den Rest der Versorgungstruppen entlassen hatte, dann trat sie hinter ihn und schlang die Arme um seine ausladende Hüfte. Es war ein Gefühl, als umarmte sie einen ausgewachsenen Baum.

»Ich werde es vermissen, dass deine Truppen nicht mehr vor meinem Zimmer auf und ab marschieren und mich mit ihrem Gesang wecken«, sagte sie scherzhaft. »Die Morgendämmerung wird nicht mehr dieselbe sein, wenn so schöne Choräle wie ›Und kein Knochen bleibt ungebrochen fehlen.«

Auf dem ledrigen Gesicht des Riesen machte sich ein entspanntes Lächeln breit. »Also, du könntest doch für immer hier bleiben«, meinte er und betrachtete nachdenklich ihre schimmernden Locken.

Wenn er sie so ansah, erstaunte es ihn immer wieder, wie sehr sie dem Großen Feuer glich, das sie auf jener Reise vor so langer Zeit zusammen durchschritten hatten. Als sie an den Wurzeln der Sagia, des Weltenbaumes, entlanggekrochen waren, die sich um den inneren Kreis der Erde wanden, hatte er gelernt, vor dieser kleinen Frau Hochachtung zu haben, obwohl seine eigene Rasse die ihre in der alten Welt als Beute gejagt hatte.

Rhapsody seufzte. »Wie gern ich das täte.« Sie sah, wie sich seine bernsteinfarbenen Augen traurig verdunkelten. »Wirst du zurechtkommen, Grunthor?«

Ein scharfer Laut der Verärgerung ertönte hinter ihrer Schulter. »Den Berg zu bewachen ist ein Kinderspiel für Grunthor.«

»Überhaupt nich. Ich erinner mich kaum an Kinderspiele. Aber das hier gefällt mir ganz und gar nich«, murmelte der Firbolg-Riese und verzog das Angst einflößende Gesicht zu einer schrecklichen Grimasse. »Wir hätten dich fast schon mal an ’n Bastardkind von so einem Dämon verloren. Ich will nich, dass du dein Leben oder dein Nachleben wieder aufs Spiel setzt, Herzchen. Ich wünschte, du würdest dir’s noch mal überlegen.«

Sie klopfte ihm auf den Arm. »Das kann ich nicht. Wir müssen es tun; es ist der einzige Weg, das Blut zu bekommen, das Achmed braucht, um den Wirt des F’dor aufzuspüren.«

»Er muss es vielleicht tun«, sagte Grunthor. »Aber kein Grund für dich mitzugehn, Gräfin. Seine Hoheit arbeitet sowieso am besten allein. Wir haben schon Jo verloren, und ich seh keinen Grund, warum wir dich auch noch verlieren sollten.«

Als Grunthor den Tod des Straßenkindes erwähnte, das sie als Schwester adoptiert hatte, brannten Rhapsody die Augen, doch sie zeigte keine äußerlichen Anzeichen von Trauer. Sie hatte Jos letztes Grablied erst vor wenigen Tagen zusammen mit den Totenklagen für all die anderen gesungen, die sie ebenfalls verloren hatten. So schluckte sie eine bittere Antwort herunter, denn sie erinnerte sich daran, dass Grunthor Jo beinahe so sehr geliebt hatte wie sie selbst.

»Jo war kaum mehr als ein Kind. Ich hingegen bin eine von den besten Kämpfern ausgebildete Kriegerin. Ich kann mich selbst verteidigen. Außerdem bist du ja die höchste Obrigkeit, der unter allen Umständen zu gehorchen ist. Befehle mir doch einfach zu überleben, dann muss ich es wohl tun. Ich würde es niemals wagen, deinen Zorn heraufzubeschwören, indem ich entgegen deinem Befehl sterbe.«

Grunthor ergab sich mit einem Lächeln. »In Ordnung, sieh es als Befehl an, Herzchen.« Er drückte sie gefühlvoll mit seinen gewaltigen Armen. »Pass auf dich auf, Hoheit.«

»Das werde ich.« Rhapsody sah hinüber zu Achmed, der die Sättel an den Pferden festschnallte, die Grunthor für sie hatte bereitstellen lassen. »Bist du so weit, Achmed?«

»Bevor wir aufbrechen, solltest du noch etwas sehen«, antwortete der König, während er die Schnallen überprüfte.

»Wie bitte? Wolltest du nicht vor Sonnenaufgang Losreiten?«

»Es wird nur wenige Augenblicke dauern, doch es ist jede Verzögerung wert. Ich möchte die Dämmerung im Observatorium verbringen.«

Freude huschte über ihr Gesicht, das nun so hell strahlte, wie es bald die Sonne tun würde.

»Im Observatorium? Sind die Arbeiten an der Treppe beendet?«

»Ja. Und wenn du dich beeilst, können wir uns einen Überblick über die Inneren Zahnfelsen und die Krevensfelder verschaffen, bevor wir sie bereisen.« Er drehte sich um und deutete auf den Eingang zum Kessel, jenes dunkle Netz aus Tunneln, Kasernen und Staatsgemächern, das Sitz seiner Macht in Ylorc war.

Rhapsody drückte Grunthor ein letztes Mal, befreite sich sanft aus seiner Umarmung und folgte dem König durch die düsteren, fensterlosen Hallen und an den alten Statuen vorbei, die nun von bolgischen Kunsthandwerkern gesäubert und in ihrer alten Pracht wieder hergestellt wurden. Sie waren über eintausenddreihundert Jahre alt und stammten aus dem cymrischen Zeitalter, in dem Ylorc, das damalige Canrif, erbaut worden war.

Sie betraten die Große Halle durch ausladende Doppeltüren, die aus Gold bestanden und mit verschlungenen Symbolen verziert waren, und durchquerten den weiten Thronsaal, in dem bolgische Steinmetzen vorsichtig den Schmutz der Jahrhunderte von dem blauschwarzen Marmor der vierundzwanzig Säulen entfernten, welche die Stunden des Tages darstellten.