Die fernen Felder waren für die Schlittenrennen und andere winterliche Wettbewerbe vorbereitet, und man hatte große Zelte für die Herdfeuer und die unzähligen Besucher von außerhalb der Provinz errichtet. Banner in allen Farben des Regenbogens schmückten die welligen Felder bis hin zu dem jüngst errichteten Wall, von dem Stephen hoffte, er werde sein Land und seine Untertanen schützen. Tristan sah, dass die gewaltige Grube schon mit trockenem Unterholz für das feierliche Feuer angefüllt war, das am letzten Abend stattfinden würde ein Schauspiel, für das der Gastgeber berühmt war.
Der frische Winterwind biss ihm in die Nase, und er roch brennendes Nussbaumholz. Dieser Geruch erinnerte ihn an seine Kindheit und die Feste, die Stephens Vater gegeben hatte. Als Jungen hatten er, sein Vetter und ihre Freunde Andrew Canderre, die Gebrüder Baldasarre und der schon seit zwanzig Jahren tote Gwydion von Manosse sowie eine Menge anderer jedes Jahr der Wintersonnenwende mit einer Erregung entgegengefiebert, die größer gewesen war als bei jedem anderen Anlass.
In ihrer Süße schmerzlicher als alle anderen Erinnerungen waren die an Prudence, seine Freundin aus Kindertagen, seine erste Geliebte, ein lachendes Bauernmädchen mit rotblonden Locken und einem großartigen Sinn für Humor, seine Liebste, sein Gewissen. In seinen Jugendtagen war sie ein Teil des Wolfsrudels gewesen, wie er und seine Freunde genannt wurden, und hatte mit ihnen an Schlittenrennen und Tauziehen, an Pastetenwettessen und Schneeballschlachten teilgenommen. Sie war genauso gut darin gewesen wie die anderen. Besser. Hatte seinen Freunden das Herz gestohlen. Prudence. Wie er sie damals geliebt hatte, mit der Unschuld eines Jungen, die zu etwas Größerem heranwuchs.
Tristan schnürte es die Kehle zu, als er und Madeleine durch Hagueforts Haupteingang schritten. Es war der Ort, an dem Prudence in der Nacht auf ihn gewartet hatte, bis er aus den Gästezimmern seiner Familie in jenem Teil der Festung, der den Adligen vorbehalten war, hatte forthuschen können. Er hatte sie vom Balkon aus gesehen, und ihre rotblonden Locken hatten im Fackelschein geleuchtet; sie hatte auf ihn gewartet, auf ihn allein. Selbst Jahre später, als die Herzogswürde auf ihn übergegangen und sie seine Dienerin geworden war, hatte sie ihn noch im selben Hof erwartet, heimlich seiner geharrt und ausgelassen gekichert, wenn er schließlich zu ihr geschlichen war, mit ihr ein Versteck aufgesucht und unter unzähligen betrunkenen Zechern geschlafen hatte und sie zusammen ihre Jugend, ihre Verbindung, ihr Leben gefeiert hatten.
Wie sehr er sie immer noch liebte! Ihr grausamer Tod durch die Bolg hatte ihm jede Freude geraubt eine Freude, die immer zu Prudence gehört und die er nur von ihr empfangen hatte, was ihm nie bewusst gewesen war. Ohne sie waren seine Tage voller Melancholie und Schuldgefühle, da er ihren Tod seiner eigenen Selbstsucht zuschrieb. Er hatte sie in die Klauen der Ungeheuer geschickt, und sie war nie zurückgekehrt.
Keiner seiner Freunde und Mit-Herzöge, nicht einmal Stephen, glaubte, dass ihr Tod das Werk der Bolg war, wie sehr er sie auch davon zu überzeugen versucht hatte. Aber das wird bald vorbei sein, dachte er verbittert. Bald würden die Streitgespräche beendet sein.
»Tristan?«
Er blinzelte und zwang sich zu einem kleinen Lächeln, als er hinunter auf Madeleines unangenehmes kantiges Gesicht schaute.
»Ja, meine Liebste?«
Seine Verlobte seufzte verärgert. »Du hast mir überhaupt nicht zugehört, nicht wahr?«
Rein mechanisch hob Tristan ihre behandschuhte Hand an die Lippen und küsste sie.
»Meine Liebe, mir entgeht keines deiner Worte.«
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Auch wenn die gesamte Elite und die Einflussreichen von Roland Stephens Fest dazu benutzten, sich der Öffentlichkeit zu zeigen und geheime Geschäfte abzuschließen, war es doch das einfache Volk, für das dieses Fest in Wirklichkeit stattfand. Im größten Teil Rolands war der Winter eine harte und entbehrungsreiche Zeit, eine Zeit, in welcher sich der durchschnittliche Bürger in sein Haus zurückzog, nachdem er es so gut wie möglich abgedichtet hatte, und darum kämpfte, die bitteren Monate zu überleben. Der Karneval verschaffte ihm die Gelegenheit, die Jahreszeit zu feiern, bevor der Winter Grund zum Fluchen gab, wie es jedes Jahr der Fall war.
Stephen zählte auf das zu dieser Zeit übliche Wetter und richtete wie jedes Jahr den Karneval in den mildesten Tagen des frühen Winters aus. Mit einer einzigen Ausnahme in zwanzig Jahren hatte er damit Erfolg gehabt. Seine Freundschaft mit dem Fürbitter der Filiden, des Ordens, der die Natur anbetete, verschaffte ihm Zugang zu ihren Informationen über heraufziehende Stürme, Tauwetter, gefrierende Winde und Schneefall. Ihre beeindruckende Gabe, das Wetter vorherzusagen, garantierte ein erfolgreiches Fest. Es wurde allgemein angenommen, dass der Orden der Filiden das Wetter nicht nur beobachtete und vorhersagte, sondern es auch beeinflussen konnte, was besonders auf den Fürbitter zutraf. Wenn das wirklich stimmte, waren sie angesichts des beständig guten Wetters beim Sonnenwendfest Stephen gegenüber sehr freigebig.
Die ersten beiden Tage der Feierlichkeiten waren von Prunk gekennzeichnet; es gab Spiele und Rennen, Wettkämpfe und Darbietungen, Tanz und Lustbarkeiten, die von Überfluss an gutem Essen und Trinken befeuert wurden.
Der dritte und letzte Tag war den religiösen Bräuchen der Wintersonnenwende gewidmet; die Zeremonien wurden nach beiden Regeln abgehalten. Hier setzte sich das religiöse Posieren fort, Filide gegen Patrizianer, sehr subtil und schlimmer denn je, weil der Patriarch seinem Ende entgegensah. In den Jahren, in denen der Fürbitter einen Sturm oder schlechtes Wetter vor der Sonnenwende vorhersagte, dem besseres 167
Wetter folgte, wurde die Reihenfolge des Festes umgekehrt, die religiösen Bräuche zuerst begangen und an den beiden folgenden Tagen das Fest gefeiert. Wenn das geschah, war der Karneval regelmäßig verdorben; daher war Stephen erfreut, dass das Wetter in diesem Jahr mitspielte und es zuließ, dass die Festlichkeiten zuerst kamen.
Nun saß er zusammen mit Tristan, Madeleine und den religiösen Führern, die sich ausschließlich miteinander unterhielten, auf der Paradetribüne, schaute den verschiedenen Rennen und Spielen zu und nahm manchmal selbst an einem teil.
Sein Sohn Gwydion Navarne hatte sich als sehr geschickt bei den Schneeschlangen erwiesen, einem Wettbewerb, bei dem lange, biegsame Stangen durch Eiskanäle im Schnee gesteckt werden mussten. Stephen hatte das königliche Protokoll vergessen, war erregt am Rande des Kampfplatzes herumgesprungen, hatte Gwydion im Halbfinale angefeuert und ihn getröstet, als er am Ende doch verloren hatte. Eigentlich hatte der Junge keinen Trost benötigt; bei der Ausrufung des Gewinners, eines rothaarigen Bauernsohnes namens Scoutin, hatte er gelächelt und ihm die Hand zur Gratulation entgegengestreckt.
Als die Jungen einander die Hände schüttelten, musste Stephen Tränen des Stolzes und Verlustes zurückhalten. Sie sehen aus wie Gwydion von Manosse und ich, dachte er und erinnerte sich seines Freundes aus der Kindheit, des einzigen Sohnes von Llauron. Er warf einen Blick zurück auf den Fürbitter. Dem Nicken und Lächeln nach zu urteilen, das er Stephen schenkte, war ihm soeben derselbe Gedanke gekommen.
Nun wartete er gespannt auf das Ergebnis von Melisandes Rennen, einem witzigen Wettkampf, in dem die Teilnehmer kleine Schlitten mit je einem fetten Schaf darauf an Stricken um die Hüfte voranzogen. Es war notwendig, dass sowohl Schaf als auch Kind gemeinsam über die Ziellinie kamen, doch an diesem Nachmittag hatten die Schafe andere Pläne. Mellys fröhliches Kichern war unüberhörbar; es trieb in der dampfenden Luft über ihn hinweg, als sie in den Schnee fiel und dann wieder auf den Start zulief, weil sie einem blökenden Mutterschaf nachjagen musste.
Widerstrebend ließ sie sich von ihrem Vater in den Arm nehmen und wurde in eine grobe Wolldecke gewickelt, die Rosella, die Gouvernante, ihm gegeben hatte.