Er lehnte sich zurück gegen das Vibrationsfeld, das von seinem Namenslied erzeugt wurde und nun wie ein gepolsterter Sessel geformt war. Er faltete die Hände und versuchte Ruhe zu bewahren. Überall um ihn herum glühten die Lichter seines Laboratoriums einsatzbereit.
Meridion seufzte. Er konnte nichts mehr tun. Er streckte die Hand aus und legte den Schalter um, der das blendende Licht aus der Kraftquelle der Maschine von dem Hauptstrang des Editors abschnitt. Mehr nicht.
In der neuen Dunkelheit sah er nur noch den Bildschirm und die geisterhaften Projektionen der letzten Stränge des Zeitfilms, die er zusammengebunden hatte, wobei er Fäden aus der Vergangenheit benutzt hatte. Er hatte sie gespalten und gehofft, er könne das Unheil abwenden, das hinter ihm lauerte. Angesichts des heraufziehenden Albtraums war ihm nie der Gedanke gekommen, dass seine Lösung noch schlimmer sein könnte als das ursprüngliche Problem.
Woher hätte ich es wissen sollen?, dachte er. Der Untergang der Erde in Blut und schwarzem Feuer war ihm absolut und schrecklicher als jedes andere Schicksal erschienen. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass die Pfade, die er eingeschlagen hatte, zu einer noch größeren Verwüstung führen mochten, die gar den Tod überdauern und bis in die Ewigkeit hineinreichen konnte.
Bitte, flüsterte er still. Öffne die Augen und schaue. Bitte.
Während er zusah, wurde der Zeitstrang trübe und wechselte von der Vergangenheit in die Gegenwart. Bald würde es die Zukunft sein. Was immer geschah, er konnte nichts mehr dagegen unternehmen; der Faden würde nie wieder so fest sein, dass er veränderbar war. Meridion lehnte sich in den summenden Sessel zurück, schloss die Augen und wartete.
Bitte...
1
Im Winter glich die trockene, rote Erde, die Yarim ihren Namen gegeben hatte, dem Wüstensand. Körniger Staub hing schwer in der stechend kalten Luft der zugrunde gehenden Provinz und peitschte sie wie ein rächender Winddämon.
Dieser blutrote, lehmige Sand war nun von dünnem, kristallenem Frost überzogen und glitzerte im ersten Licht des Morgens. Der Frost tünchte die zerfallenden Steingebäude und vernachlässigten Straßen und kleidete sie für kurze Zeit in ein leuchtendes Gewand, wie es Yarims Hauptstadt zweifellos vor langer Zeit einmal getragen hatte. Doch diese Anmut gab es jetzt nur mehr in der Erinnerung und den flüchtigen Augenblicken des rosafarbenen Dunstes zur Zeit des Sonnenaufgangs.
Achmed brachte sein Pferd auf der Spitze eines sanft gewellten Hügels zum Stehen, der zur zerfallenden Stadt hin abfiel. Er starrte auf das Tal, als Rhapsody nachdenklich neben ihm anhielt. Der Blick auf Yarim erregte in ihm das Entgegengesetzte Gefühl eines Blickes von der Steppe am Rande der Krevensfelder hoch zu Canrif. Während die Bolg das Gebirge für sich beanspruchten, das sich mit seinen Gipfeln hoch in den Himmel reckte, lag Yarim gebrochen, stinkend und vergessen am Fuß dieses Hügels wie festgebackener Schlamm, den ein ausgetrockneter Tümpel hinterlassen hat. Wo einstmals Größe geherrscht hatte, war nun nicht nur Verfall, sondern auch Mutlosigkeit eingekehrt, als hätte die Erde selbst die Ruinen des einstigen Yarim vergessen. Es war eine Schande.
Rhapsody stieg als Erste ab und ging zum Rand des Hügelkamms. »Im Licht der frühen Sonne sieht es schön aus«, sagte sie geistesabwesend und sah bis hinter die Stadtmauern.
»Flüchtig wie die Schönheit der Jugend«, meinte Achmed und saß ebenfalls ab. »Der Dunst wird rasch unter der brennenden Sonne verschwinden, und wenn das Glitzern fort ist, bleibt nichts als ein großer verwesender Leichnam übrig. Dann sehen wir in dieser Stadt die alte Hexe, die sie wirklich ist.« Er wäre froh gewesen, wenn sich der schimmernde Dunst schon aufgelöst hätte, denn der feuchte Nebel verbarg alle Schwingungen. Er könnte auch das Kennzeichen des alten Blutes verschleiern, das durch die Adern der F’dor-Brut floss, die irgendwo in diesem Schutthaufen versteckt war.
Ein unerklärlicher Schauer durchströmte ihn, und er wandte sich an Rhapsody: »Hast du etwas gespürt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts Ungewöhnliches. Was war es?«
Achmed schloss die Augen und wartete darauf, dass die Schwingungen zurückkehrten. Doch nun spürte er nichts mehr außer den kalten, stillen Windstößen. »Ein Pricken auf der Haut«, sagte er nach einem Augenblick, als er erkannte, dass er dieses Gefühl nicht mehr heraufbeschwören konnte.
»Vielleicht spürst du Manwyn«, meinte Rhapsody. »Wenn ein Drache etwas mit seinen Sinnen untersucht, verspürt man manchmal ein Frösteln, eine Gegenwart. Es ist beinahe wie ... ein Summen; es prickelt.«
Achmed beschirmte die Augen. »Ich habe mich gefragt, was du wohl in Ashe gesehen hast«, sagte er bitter und starrte auf die morgendlichen Schatten, die sich allmählich westwärts von der Stadt entfernten. »Jetzt ist es mir klar. Manwyn weiß also, dass wir hier sind.« Er knirschte mit den Zähnen. Sie hatten gehofft, der Aufmerksamkeit der verrückten Seherin zu entgehen. Sie war ein unberechenbares Drachenkind, das vom Vater die alte Macht des Vorhersehens und von der Drachenmutter die Herrschaft über die Elemente geerbt hatte. Rhapsody schüttelte den Kopf. »Manwyn wusste bereits, dass wir kommen, noch bevor wir hier ankamen. Wenn jemand sie vor einer Woche, einem Tag oder einer Minute danach gefragt hätte, wäre sie in der Lage gewesen, es ihm zu sagen. Aber nun sind wir hier, und das ist die Gegenwart. Manwyn kann jedoch nur die Zukunft sehen. Ich glaube, es ist vorbei. Wir sind aus ihrem Bewusstsein verschwunden.«
»Hoffentlich hast du Recht.« Achmed sah sich um und suchte nach einer hohen Erhebung oder einem Gipfel, auf dem man Ausschau halten konnte. Schließlich erspähte er einen Felsen im Osten. Er stellte sein Gepäck auf den Boden und zog daraus ein Stück Tuch hervor, das einmal mit dem Blut des Rakshas getränkt gewesen war. Nun war es getrocknet und hatte dieselbe Farbe wie die Erde in Yarim. »Das ist die richtige Stelle. Warte hier.«
Rhapsody nickte und zog den Mantel enger um sich, während sie beobachtete, wie Achmed die kleine Erhebung hochlief. Sie war schon einmal Zeugin seines Jagdrituals gewesen und wusste daher, dass er vollkommene Stille und Reglosigkeit benötigte, um einen unruhigen Herzschlag im Wind zu erlauschen. Sie streichelte sanft die Pferde und hoffte, sie auf diese Weise stillhalten zu können.
Achmed erkletterte die Spitze des Vorsprungs. Er stand im Wind, der ihn von allen Seiten umgab, und schaute hinunter auf das Skelett der Stadt. Irgendwo in ihren zerfallenen Gebäuden versteckte sich eine befleckte Seele, eines von neun Kindern, die vom alten Bösen in einem absichtsvollen Feldzug von Vergewaltigung und Vermehrung gezeugt worden waren. Bei diesem Gedanken brannte das Blut in Achmeds Adern.
Mit einer einzigen sanften Bewegung zog er den Schleier fort, der sein Hautgewebe verdeckte, das Netz aus empfindlichen Nerven und hervortretenden Venen, die Hals und Gesicht durchfurchten. Er warf Rhapsody einen letzten Blick zu. Sie lächelte, blieb aber reglos. Achmed wandte sich ab.
Rhapsody wusste, dass er wegen seines dhrakischen Erbes empfänglich für die Beseitigung, nicht aber für die Rettung von allem war, was das Blut des F’dor in sich trug. Wenn er Erfolg hatte, wäre es das erste Mal, dass jemand aus seiner Rasse ein Geschöpf, das von einem F’dor gezeugt war, nicht sofort nach der Gefangennahme tötete.
Die natürliche Gleichgültigkeit, welche die Dhrakier verspürten, wenn sie diesem böswilligen Abschaum gegenüberstanden, hatte ihn verlassen. Er zitterte vor Hass. Er musste unbedingt die Ruhe bewahren und seine rassistischen Neigungen unterdrücken, damit seine Wut nicht die Oberhand gewann. Er durfte dieses Dämonenkind und all seine abscheulichen Geschwister nicht einfach abschlachten. So schluckte er, atmete flach und versuchte all seine Gedanken auf das große Ziel zu richten.