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»Rhonwyn hat gesagt, es gebe nur einen in Yarim«, meinte sie und blätterte das Buch durch.

»Hier steht es: Einer in Sorbold der Gladiator , zwei in Hintervold, einer in Yarim, einer in der östlichsten Provinz der Neutralen Zone, einer in Bethania, einer in Navarne, einer in Zafhiel, einer in Tyrian und das Ungeborene Kind in den lirinschen Feldern südlich von Tyrian. Bist du sicher, dass der zweite Herzschlag einem dieser Kinder gehört?«

»Nein, natürlich bin ich mir nicht sicher«, spuckte Achmed gereizt aus und schüttelte weiteren Sand aus Haaren und Mantel. »Vielleicht ist es gar kein anderes Kind. Aber irgendwo hier in der Nähe gibt es einen weiteren Puls mit demselben Makel und vom selben umwölkten Blut.«

Rhapsody zog ihren Mantel noch enger um sich. »Womöglich ist es der F’dor selbst.«

2

Keltar’sid, an der Grenze von Sorbold, südöstlich von Sepulvarta

Das Innere des Wagens bildete eine Zuflucht vor der brennenden Sonne; hier war es dunkel und angenehm kühl. Er sehnte sich trotzdem danach, endlich zu spüren, dass die Räder für immer stehen blieben. Dann könnte er aussteigen und in das Licht und die sengende Hitze der sorboldischen Wüste treten, wo die Erde die feurige Wärme sogar noch zu Beginn des Winters speicherte.

Dem Klang nach zu urteilen war der Augenblick beinahe gekommen.

Er streckte die Arme des alten Körpers aus, den er bewohnte jenes menschliche Gefäß, das schon seit vielen Dekaden sein Wirt war. Doch nun spürte er, dass die Zeit es allmählich geschwächt hatte.

Doch es würde nicht mehr lange so bleiben.

Bald musste er wieder den Wirt wechseln und sich einen neueren, jüngeren Körper nehmen. Dazu wäre wie immer ein wenig Anpassung notwendig. Er erinnerte sich deutlich an den letzten Übergang, auch wenn er schon seit sehr langer Zeit keinen mehr unternommen hatte. Bereits bei dem Gedanken daran zitterten seine arthritischen Hände vor Erregung. Mit der Erregung kam das Brennen, das Flackern des Feuers, welches sein Innerstes darstellte. Es war das uranfängliche Element, aus dem alle seiner Art hervorgegangen waren und in das sie eines Tages zurückkehren würden.

Doch alles zu seiner Zeit.

Er wusste, dass jetzt nicht der geeignete Augenblick war, darüber nachzudenken. Sobald sich der Funke der Hoffnung einmal entzündet hatte, wurde es immer schwieriger, seine unterweltliche Seite zu verbergen, den dunklen und zerstörerischen Geist des Chaos, der seine wahre Gestalt darstellte, denn an Fleisch und Knochen eines menschlichen Körpers hing er nur aus schierer Notwendigkeit. In den Momenten der Erregung war der üble Geruch am stärksten, der Gestank, der ihm und den anderen seiner Rasse anhaftete der Duft von Fleisch im Feuer. Und im Nervenkitzel der Erwartung stieg ihm die Farbe des Blutes bis in die Augen und ränderte sie rot. Er zwang sich wieder zur Ruhe. Es wäre nicht gut, auf einer so wichtigen Mission erkannt zu werden. Es wäre nicht gut, wenn man ihn nicht mehr als den frommen religiösen Führer ansah, der er war.

Als der Wagen zu einem bebenden Halt kam, beugte er sich vor, lehnte sich schließlich wieder gegen den gepolsterten Sitz und atmete flach.

Die Tür wurde geöffnet. Gleißendes Licht ergoss sich gemeinsam mit brennender Hitze in den dunklen Raum.

»Euer Ehren, wir haben Keltar’sid erreicht. Euer Ehren, der Segner von Sorbold hat ein Ehrenregiment zu Eurer Begrüßung geschickt.«

Er blinzelte, während seine Augen sich dem Sonnenlicht anpassten. Keltar’sid war die nördliche Hauptstadt von Sorbold und der Paradegrund der sorboldischen Heere, welche die nördlichen und westlichen Ausläufer der Zahnfelsen schützten. Es war ein soldatischer Stadtstaat und in höchstem Grade einschüchternd, es sei denn, man reiste unter dem Banner einer Kirche oder religiösen Sekte.

Genau hier wollte er sein.

»Wie überaus freundlich«, sagte er. Die kultivierte Stimme seines menschlichen Wirtes klang seidig in seinen Ohren. Die Dämonenstimme, die in seinem Innern sprach, ohne auf dem Wind zu gleiten, war viel härter, so wie das Knistern einer unheilvollen Flamme. »Bedanke dich bitte, während ich aussteige.«

Er lächelte, wies die Hände ab, die ihm helfen wollten, und trat aus dem Wagen. Zwar bewohnte er einen etwas ältlichen Körper, aber dieser war noch flink und besaß Reste jugendlicher Kraft. Er musste die Augen vor der blendenden Helligkeit der Sonne beschirmen. Das Feuer war die Essenz seines Lebens, doch handelte es sich dabei um dunkles Feuer, ein uranfängliches Element, das schwarz wie der Tod brannte und keinesfalls so hell und freundlich wie das falsche Feuer in der oberirdischen Welt. Er ertrug das Sonnenlicht, aber er mochte es nicht.

Eine Abordnung von zehn sorboldischen Wachmännern stand in ehrfurchtsvollem Abstand; ihre dunklen Gesichter waren Masken feierlicher Aufmerksamkeit. Er lächelte sie wohlwollend an und hob dann die Hand in einer Segensgeste. Er kämpfte darum, gleichgültig zu wirken. Schließlich war es dieser Augenblick, für den er hergekommen war.

Leise flüsterte er die Worte der Verführung, den unhörbaren Gesang, der die Männer seinem Willen unterwarf, wenn auch nur zeitweise. Alles, was länger anhielt, erforderte ausgiebigen Augenkontakt und unmittelbarere Einwirkung, als es für einen heiligen Mann schicklich war, der eine Truppe ausländischer Wachmänner besuchte. Um sie endgültig zu binden, benötigte er ein wenig Soldatenblut, doch sie alle schienen gesund und ohne Wunden zu sein, welche der Segnung eines Heilers bedurften. Nun gut.

Die Fäden der Fesselung, unsichtbar für alle Augen außer den seinen, verankerten sich leicht in seinen neuen Dienern und wehten im Wind auf ihn zu. Er fing die Fäden mit einer sanften Bewegung ein, die nichts weiter zu sein schien als eine Geste des Segnens. Er sah, dass sein Zauber sich in ihren Augen festgesaugt hatte. Im Glitzern der Sonne erkannte er deutlich das Glimmern des dunklen Feuers in ihnen, das sein Gebet entzündet hatte. Er lächelte erneut. Dies war schließlich alles, was er mit seinem Besuch in Sorbold beabsichtigt hatte. Alles andere, was sich aus der langen und anstrengenden Reise ergab, war nur eine Zutat. Er hatte schon bekommen, was er wollte.

51

Ein Kolonnenführer erschien; er wurde von vier Männern begleitet, die die Pfähle eines weißen, leinenen Baldachins trugen Sorbold war berühmt für sein Leinen , und ein weiterer niederrangiger Adjutant brachte ein Tablett mit einer Wasserflasche und einen Kelch herbei. Der Soldat verneigte sich aus der Hüfte heraus.

»Willkommen, Euer Gnaden.« Mit einer Handbewegung befahl er den Soldaten, sich um den heiligen Führer aufzustellen. Sofort erhoben sie den Baldachin, damit der hohe Besuch vor der Sonne geschützt wurde. Dafür erhielten sie ein warmes Lächeln und ein Zwinkern aus den blauen Augen, in denen nicht mehr die geringste Spur von Rot lag.

Er nahm den Kelch mit Wasser entgegen und trank dankbar; dann stellte er ihn zurück auf das Tablett. Der Soldat, der die Erfrischung gebracht hatte, trat einige Schritte zurück, blieb aber nah genug bei dem Gast, falls dieser noch etwas von ihm verlangen sollte.

»Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten«, sagte der Kolonnenführer zögernd.

»Ach?«

»Seine Gnaden, der Segner von Sorbold, wurde an das Krankenbett Ihrer Durchlaucht, der Kaiserinwitwe, gerufen. Der Segner bittet vielmals um Entschuldigung und hat mich angewiesen, Euch zur Basilika im Nachtberg zu geleiten, wohin er sich begeben wird, sobald die Kaiserin seiner Hilfe nicht mehr bedarf. Mir wurde befohlen, es Euch und Eurem Gefolge so angenehm wie möglich zu machen.«

Die schwarzen Augen des Soldaten funkelten nervös, und der heilige Mann unterdrückte ein Lachen. Die sorboldische Sprache war mit höfischer und religiöser Etikette nicht vertraut, da diese Kultur mit solcherlei Dingen keinen Umgang pflegte. Die Sorbolder waren ein raues und schlichtes Volk. Der Kolonnenführer hatte zweifellos intensive Studien betrieben, um überhaupt auf diese Weise reden zu können, und war sich des Ergebnisses in keiner Weise sicher.