Выбрать главу

Rhapsody hatte dem hämischen Bolg-König damals sofort erklärt, dass dieser Bericht nichts als Unsinn sei. Das war ihr klar gewesen, obwohl sie die Drachin noch nie gesehen hatte. Als Benennerin war sie vertraut mit allen Überlieferungen, angefangen von den ersten, die von ungeschulten Geschichtenerzählern wiedergegeben und mit der Zeit zu Erzählungen ausgeschmückt worden waren und vor Unrichtigkeiten und Übertreibungen wimmelten, bis hin zu jenen, denen es um die reine Überlieferung ging und deren Inhalte so genau und richtig wie nur möglich waren.

Dennoch bargen die Beschreibungen in dieser Geschichte genug mögliche Wahrheiten, um Rhapsody nervös zu machen.

Später, als sie die Drachin in ihrem Nest angetroffen hatte, da hatte Elynsynos das Gedicht rasch als falsch entlarvt.

Du hast diesen Schund namens Die Verheerung des Wyrms gelesen, nicht wahr?

Ja.

Es steht nur Unsinn darin. Ich hätte den Schreiber bei lebendigem Leibe auffressen sollen. Als Merithyn starb, hatte ich tatsächlich kurz überlegt, ob ich den Kontinent in Schutt und Asche legen sollte, aber es wird dir doch wohl klar sein, dass ich es nicht getan habe. Glaube mir, wenn ich hätte toben und rasen wollen, wäre dieser Kontinent nur noch eine sehr große, sehr schwarze Kohlenschicht und würde bis zum heutigen Tage schwelen.

Tatsächlich hatten der Kontinent und seine Bewohner trotz all ihrer Ängste vor den Drachenlegenden und trotz des jammervollen Berichts über den tobenden Wurm nie die Verwüstungen erlitten, von denen die Geschichten erzählten, und nie mehr als ein verlorenes Schaf an eine Bestie verloren. Eine wirkliche Zerstörungsorgie hatten sie nie erlebt.

Und waren daher völlig unvorbereitet.

Die Leute aus dem Dorf Anwaer mitten im Hintervold waren ein ruhiges Völkchen.

Im Gegensatz zu den Winternomaden, die den Sommer mit Fischfang an den üppigen Flüssen, mit Fallenstellerei und dem Fangen von Pelztieren verbrachten und sich bei Anbruch des Herbstes in südlichere Gefilde zurückzogen, trotzten die Familien von Anwaer der schneidenden Kälte und dem dichten Schnee und blieben auf ihrem angestammten Land. Sie waren alle auf die eine oder andere Weise miteinander verwandt und empfanden die Schönheit der einsamen Tundra, die grünen Wälder aus hoch aufschießenden Fichten und die nur durch die Bergwinde unterbrochene Stille als ausreichenden Grund, den harten Winter an jenem Ort zu verbringen, den ihre Familien schon seit Generationen ihre Heimat nannten.

Als der Herbst kam und sich die benachbarten Dörfer entvölkerten, beendete Anwaer seine Felltransporte und die Fischerei und stellte auf die Jagd um.

Für gewöhnlich dauerte die Jagdsaison nur wenige Wochen – weniger als ein Mondzyklus. Wenn die Hitze des Sommers abnahm und die gnadenlosen Schwärme aus blutsaugenden Insekten von der herannahenden Kälte vertrieben wurden, kamen die Wildtiere des Hintervold aus ihren sommerlichen Verstecken hervor, kletterten von den weißen Bergen und begaben sich in geschütztere Regionen, suchten nach Beute oder Pflanzen und einem einladenderen Klima für den kommenden Winter.

Das endlose Land auf dem Dach der Welt erlaubte es den Tieren, groß zu werden, und ein einziges, sorgfältig bearbeitetes Wild reichte aus, um eine ganze Familie durch den Winter zu bringen. Also verließen die Jäger die Dörfer, gingen in die dichteren Wälder und warteten auf die Beute.

Doch dieses Jahr kam sie nicht.

Nach zwei Wochen ohne Beute sagten sich die Männer, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Was immer das Wild verscheucht hatte, hatte nicht einzelne Tiere oder Gruppen, sondern den ganzen Bestand erschrocken. Die Karibus und nördlichen Gnus waren zuletzt entgegen ihrer Natur Richtung Norden gesichtet worden. Auch die einzelgängerischen Arten wie Elche und jene Tiere, welche die Männer aus Anwaer wegen ihrer Pelze jagten, waren verschwunden. Die Jäger saßen schweigend in ihren Verschlagen, hörten wenig und sahen nichts. Selbst der übliche Gesang der Zugvögel war verstummt.

Als schließlich der Winter nahte, entschieden die Männer aus Anwaer, dass sie den Herden nach Norden folgen mussten. Wenn die Jagdgesellschaft auf eine Gruppe von Tieren oder sogar den Rand einer umherziehenden Herde stieß, konnte sie vielleicht genug Wild erlegen, um über den Winter zu kommen. Falls sie es innerhalb des nächsten Mondes schafften, würde der seichte Gletscherfluss noch nicht ganz zugefroren sein, sodass man auf behelfsmäßigen Booten vor den schwersten Schneefällen zurück nach Anwaer fahren konnte. Wenn aber Neumond kam, bevor sie ihre Vorräte aufgefüllt hatten, würde es zu spät sein. Dann müsste das Dorf zum ersten Mal seit Menschengedenken rasch nach Süden ziehen und vor dem schlechten Wetter fliehen.

Falls die Männer noch nicht zurück sein sollten, wenn der Mond zu einer dünnen Sichel geworden war, würden die Frauen allein aufbrechen, wie es vereinbart worden war.

Das jüngste Mitglied der Jagdgesellschaft band gerade die Boote auf dem silbernen, wogenden Fluss zusammen, als die Nacht hereinbrach.

Der Wind war kalt. Das Wasser, das fast überall nur knietief war, während es dem jungen Mann an den tieferen Stellen bis zur Schulter reichte, kräuselte sich unter der Brise, trieb die Boote gegeneinander und zerrte an den Seilen und steinernen Bojen.

Der Jäger, dessen Name Sonius lautete, bemühte sich darum, dass die Boote in dem kalten Wasser nicht auseinander brachen. Er kämpfte gegen die sinkende Sonne an, murmelte leise Flüche und zog sich schließlich die Rehlederhandschuhe aus, damit er die Seile besser packen konnte.

Er schaute zurück zu dem Rauch, der aus dem Abzug im Schnee drang, welcher die Hütten unter dem breiten Überhang bedeckte. Eine Lawine, die kurz nach der Errichtung der Hütten niedergegangen war, hatte das Gebiet vor Wind und Raubtieren geschützt, die vom Geruch der Beute angelockt werden mochten. Sie hatten fünf Elche und zwei Gnus erlegt und räucherten gerade die beiden Letzteren, damit sie bis zu ihrer Rückkehr nach Anwaer nicht verdarben. Der Rest der Jagdgesellschaft hatte sich hinter der dicken Schneewand, die nur eine Tunnelöffnung zum Fluss hin und einen halbmondförmigen Abzug in der Decke für den Rauch besaß, zum Schlafen niedergelegt, bevor man am nächsten Morgen den Rückweg antreten würde.

Sonius hatte den kürzesten Halm gezogen und arbeitete trotz seiner Erschöpfung, bis er die Boote in Sicherheit gebracht hatte. Nachdem er den letzten Knoten geknüpft hatte, stand er müde auf und schaute über den silbergrauen Fluss.

Der Wind hatte sich beinahe völlig gelegt. Weiße Eisbrocken aus dem Gletscher trieben im Wasser und drehten sich langsam in der Strömung. Das schwache Licht der Mondsichel wurde von dem Fluss zurückgeworfen, wirbelte umher und verschwand wieder in der Dunkelheit.

Sonius fragte sich beiläufig, warum es so still geworden war. Dann seufzte er, vertrieb den Gedanken aus seinem Kopf und drehte sich um, weil er durch den Tunnel im Schnee zurück ins Lager gehen wollte.

Zuerst sah er die Bewegung nicht, doch als er sich bis auf wenige Schritte dem Schneewall genähert hatte, bemerkte er ein Flackern in den Bergen. Er trat zurück, schaute hoch und versuchte einen besseren Blick zu bekommen. Vielleicht war es das Bergeis, aus dem wieder Stücke brachen. Er betete darum, dass es nicht noch eine Lawine war, die seine Jagdgenossen unter ihrem schützenden Felsvorsprung begraben würde.