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Greel, der Minen-Archont, den man »Das Gesicht des Berges« nannte, traf in Begleitung von Ralbux ein, der als Gelehrter die Erziehung des Bolg-Volkes leitete. Sie nahmen ihren Platz auf dem Boden des Zeigefingertunnels ein.

Schließlich kam der einzige Archont, der kein Bolg war. Omet war vor drei Jahren von Achmed und Rhapsody in Yarim aus der Sklaverei gerettet worden. Als Menschenkind, dessen Mutter ihn an die Meisterin der Rabengilde übergeben hatte, damit er in der Ziegelfabrik der Wüstenstadt schuftete und schwitzte, hatte er Ylorc gern als neue Heimat angenommen. Irgendwo in diesen Bergen ereignet sich etwas Großartiges, hatte Rhapsody zu ihm gesagt, als sie ihn freiließ. Du kannst ein Teil davon sein. Geh hin und schreibe deinen Namen in den zeitlosen Fels, damit es die Geschichte sehen kann. Diese Worte hatten in seinem Herzen widergehallt und ihn zu seinem Posten geführt, welcher der geheimste aller Archonten war.

Omet war der Erbauer des Lichtfängers.

Nach einigen Augenblicken des Schweigens bemerkten die zehn Archonten gleichzeitig die Gegenwart des Königs. Jeder wusste, dass Achmed erkannt werden wollte, denn sonst wäre niemand auf ihn aufmerksam geworden. Das statische Summen in den Tunneln deutete an, dass die Aufmerksamkeit der Archonten eingefordert wurde. Wenn jemand dieses Summen überhört hätte, wäre ihm der siebeneinhalb Fuß große Schatten hinter dem Umriss des Königs in der Dunkelheit gewiss nicht verborgen geblieben.

Sie gesellten sich in der Hand zueinander, und der König bedeutete ihnen, sich zu setzen. Grunthor stand im Daumen, und Krinsel, die Hebamme, saß vor ihm auf dem Steinboden. Kubila und Harran hockten in der Öffnung des angrenzenden Tunnels, des Zeigefingers. Kubila hatte die schlaksigen Beine ausgestreckt und die Hände hinter sich gefaltet; Harran kauerte mit angezogenen Knien da, als sei ihr so tief im Berg kalt. Omet und der Schmied Yen hatten sich den nächsten Tunnel ausgesucht, und die anderen befanden sich im letzten der Finger. Als sie still und reglos geworden waren, nahm Achmed seinen Platz in der Handfläche auf einem Stuhl ein, der anscheinend für diese Zeremonie hierher gebracht worden war. Zuerst sah er die anderen nur an. Schließlich sagte er mit einer sandigen Stimme, die tiefer als alles war, was sie bisher gehört hatten: »Meine Kinder, eure Ausbildung ist nun beinahe beendet.«

Ein halbes Dutzend Seufzer hallten durch die Tunnel, und die Achonten suchten in der Dunkelheit nach den Blicken der anderen.

Für Harran, die Meisterin der Überlieferungen, die kaum fünfzehn Jahre alt war, war dies eine besonders willkommene Neuigkeit. Man hatte ihr befohlen, einhundert cymrische, lirinische, Nain- und Bolg-Genealogien aufsagen zu können. Sie musste Manuskripte in sieben teils toten Sprachen auswendig lernen, wobei sie die Texte jeweils nur ein einziges Mal sah, und die Namen der Anführer aller Bolg-Klane und aller Soldaten behalten. Darüber hinaus musste sie sich in den Quellentexten auskennen, die in der Großen Bibliothek von Canrif verstreut lagen, wo die Bibliothekare und Studenten unter ihrer Anleitung in nie endenden Schichten ihre Forschungen betrieben.

Als Achmed die Erleichterung in ihren Augen sah, lächelte er schwach. »Das bedeutet nicht, dass die Prüfungen schon vorbei sind, Harran«, sagte er trocken. »So geht das nicht. Die Überprüfung deines Wissens wird bald beginnen und für den Rest deines Lebens andauern. Ein Schwert wird geprüft, wenn es die Schmiede verlässt und bevor es im Wasser abgekühlt und zum letzten Mal geschliffen wird, aber das ist nicht die wirkliche Probe des Schwertes. Diese kommt später, im Zusammenprall und im Blut. Doch für das Erste bin ich zufrieden.«

Er schaute den Schmied an.

»Yen, ich kenne das Metall, aus dem du gemacht bist. Ich habe selbst den Hammer an deine Kanten gelegt, dich aber noch nicht auf die Steine geworfen, um zu sehen, ob du singst oder zerspringst.« Der Schmied schluckte deutlich, sagte aber nichts.

Dann wandte sich der König an den Archonten, den er für Handel und Diplomatie ausbildete. »Kubila, ich kenne deine Herkunft, habe dich zum Läufer für das große Bergrennen ausgebildet, aber du musst noch beweisen, wer stärker ist: du oder der kommende Sturm. Doch genug der Prüfungen für den Augenblick.

Ihr seid meine Archonten, die Hüter unserer tausendundeins Geheimnisse. Zählt und bewahrt sie sorgfältig.«

Die jungen Leute sahen einander verwirrt an. Niemand hatte je gehört, dass Achmed diesen Namen gebrauchte. Achmed bemerkte ihre Verwunderung, wandte sich an Trug, der eines Tages seine Stimme sein würde, und erteilte ihm nickend die Erlaubnis zu sprechen. Trug räusperte sich.

»Wir bewahren viele Geheimnisse, Herr«, sagte er mit einer Stimme, die dazu ausgebildet war, die harten Töne der bolgischen Sprache zu unterdrücken. »Was, Herr, sind die tausendundeins Geheimnisse?«

Die verschiedenfarbigen Augen des Königs, eines hell, das andere dunkel, glimmerten. »Wer kann darauf eine Antwort geben?«

Die Archonten sahen sich erneut an und richteten dann den Blick wieder auf ihren Anführer.

»Die Geheimnisse der Festungswerke, der Brustwehren und Tunnelfallen«, flüsterte Dreekak, der Meister der Tunnel nervös.

»Die Geheimnisse der Spione«, meinte Trug.

»Die Geheimnisse des Lichtfängers«, fügte Omet hinzu. Seine Stimme klang für Bolg-Ohren immer schrill, wenn er versuchte, in ihrer Sprache zu reden, doch keiner der Archonten zuckte zusammen.

»Das alles sind wertvolle Antworten«, erwiderte der König. »Doch es gibt noch größere Geheimnisse, Geheimnisse, die ich euch gleich mitteilen werde. Ihr müsst sie in eurem Herzen behalten und mit eurer Seele bewachen. Doch wir sind auch Wächter vieler kleinerer, manchmal drängenderer Geheimnisse.« Er wandte sich an Vrith, den Quartiermeister. »Wie lange können wir eine Belagerung der Berge durchstehen, wenn wir völlig eingekreist und umzingelt sind?«

»In dieser Jahreszeit zwei Monate und sechzehn Tage«, antwortete Vrith mechanisch, wie er es schon so oft in sieben Sprachen getan hatte. Die Archonten waren seit frühester Kindheit gewohnt, auf diese Weise befragt zu werden. »Zwei Tage weniger im Winter.«

»Wie viele unserer Kaufleute und Agenten befinden sich augenblicklich außerhalb von Ylorc?«

»Einhundertzwölf«, antwortete Kubila.

»Wie viele unsichtbare Routen, die die Tauben von Roland benutzen, hat der Falkenmeister entdeckt?«

»Neun«, sagte Trug.

»Was liegt am Boden des Tunnels, der durch die kürzlich erfolgte Explosion des Lichtfängers geöffnet wurde?«

»Das wissen wir noch nicht, Herr«, sagte Dreekak rasch und zögerlich zugleich. Dies war eine Antwort, die ein Archont zu geben hasste, daher gab man sie am besten schnell, damit der König nicht glaubte, man versuche eine Schwäche in der Ausbildung zu verdecken.

Der König nickte. »All diese kleinen Geheimnisse und noch zahllose andere ergeben insgesamt eintausend. Aber was ist das eine weitere?« Er schaute sie eine Weile lang an, wandte sich dann an Harran und rief sie wortlos.

Die junge Meisterin der Überlieferungen dachte kurz nach und antwortete: »Das Geheimnis, warum Ihr uns ausgewählt habt und wofür Ihr uns ausbildet.«

»Das ist es«, entgegnete Achmed erfreut. »Eure Ausbildung ist beendet, zumindest so weit es um den Status des Archonten geht. Dies ist mein letztes Wort an euch als Lernende: Was ist das Geheimnis der Weisheit?«

Greel, der verantwortlich für die Minenarbeiten war, sagte: »Bevor man etwas tut, muss man sich die Auswirkungen eine Million mal vorstellen.«

»Auch, bevor man etwas sagt«, fügte Yen hinzu.

Achmed gab dazu seine schweigende Zustimmung und bedeutete dann den jungen Leuten, näher heranzukommen.

»Die ganze Zeit über, in der ich euch solche Geheimnisse gelehrt habe, habe ich eines für mich behalten. Ich habe es mit niemandem außer Grunthor geteilt.« Und mit Rhapsody, dachte er verbittert, doch sie hat es nicht bewahrt. »Aber wenn ihr die Wünsche erfüllen wollt, die ich an euch Archonten habe, darf es keine Geheimnisse zwischen uns geben. Ich werde nun das tausendunderste Geheimnis mit euch teilen. Aber um es zu verstehen, braucht ihr Licht an diesem lichtlosen Ort.«