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Achmed hielt in seiner Hetzrede inne. Die Archonten atmeten kaum mehr, was vermutlich von dem Schock herrührte, den der erstmalige Anblick seines Gesichts und der Umstand bei ihnen auslöste, dass er mehr zusammenhängende Worte sprach als je zuvor, seit er in Ylorc eingetroffen war. Er zwang sich, ruhiger zu werden und seine Stimme weniger harsch klingen zu lassen.

»Diese Wesen leben noch. Einige von ihnen sind in der wiederhergestellten Gruft gefangen, andere sind frei; sie verstecken sich im hellen Tageslicht, und ihre giftigen, parasitischen Geister klammern sich unsichtbar an menschliche Wirte. Sie sind kaum zu unterscheiden von dem Rest des menschlichen Fleisches, der über die Erde wandelt. Und jene, die in der Oberwelt sind, wollen nur eines: ihre Genossen aus der Gruft befreien, damit sie gemeinsam ihr Verlangen befriedigen können, das ihre ganze Rasse verzehrt: den Hunger auf Vernichtung, Auslöschung, Vertilgung allen Lebens, nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der nächsten. Sie wollen zur vollkommenen Leere zurückkehren, selbst wenn es sie ihre eigene Existenz kosten sollte. Man spürt ihre Gegenwart in den Gezeitenströmungen des Universums, im Krieg, in Eroberungszügen, in Morden, in Verrat. Kurz, in allen menschlichen Angelegenheiten.

Das, was sie suchen, ist das letzte Geheimnis. Ich will es euch mitteilen. Eine uralte Prophezeiung berichtet von ei’nem Schlafenden Kind, genauer gesagt von drei solchen Kindern. Kennst du diese Prophezeiung, Harran?«

Die Meisterin der Überlieferung nickte, schloss die Augen und sang mit leiser, tonloser Stimme:

Das Schlafende Kind, sie, die Jüngstgeborene, Lebt weiter in Träumen, doch weilt sie beim Tod, Der ihren Namen in sein Buch zu schreiben gebot, Und keiner beweint sie, die Auserkorene.

Die Mittlere, sie liegt und schlummert leise, Zwischen dem Himmel aus Wasser und treibendem Sand, Hält stille, geduldig, Hand auf Hand, Bis zu dem Tag, an dem sie antritt die Reise.

Das älteste Kind ruht tief, tief drinnen Im immer-stillen Schoß der Erden. Noch nicht geboren, doch mit seinem Werden Wird das Ende aller Zeit beginnen.

Achmed nickte, als Harran verstummte. »Das erste Kind aus der Prophezeiung liegt in diesen Bergen«, sagte er feierlich und beobachtete die Gesichter der Archonten. Ihre Augen funkelten in der Dunkelheit. »Es ist ein Erdenkind, geschaffen aus Lebendigem Gestein, ein Überbleibsel aus der Geburt der Welt. Vielleicht ist es sogar das Letzte der Rasse, welche die Drachen aus dem Element der Erde geformt haben. Die Rippen seines Körpers bestehen aus demselben Lebendigen Gestein, das auch die Gruft bildet, und würden daher wie ein Schlüssel wirken, wenn das Kind in die Hände der F’dor fiele. Und sie wissen, dass es hier ist.«

Ein hörbares Schaudern ging durch die Versammlung. Achmed warf Grunthor einen raschen Blick zu; sein Gesicht wirkte unbeteiligt. Der Bolg-König seufzte und fuhr dann fort:

»Das zweite Kind, das in der Prophezeiung genannt wird, ist der Stern, der vor tausenden von Jahren auf der anderen Seite der Welt ins Meer stürzte – derselbe Stern, der auch die Gruft zerschmetterte. Dieser brennende Stern, der Jahrtausende unter dem Meer schlummerte, erhob sich und verschlang die Insel Serendair vor vielen Jahrhunderten in einer feurigen Sintflut. Doch trotz der Zerstörung, die darauf folgte, und trotz all der vernichteten Leben verursachte sie viel geringeren Schaden, als es die beiden anderen könnten.« Der Bolg-König wurde still, und alle Laute im Tunnel verschwanden zusammen mit seiner Stimme.

Schließlich fragte Omet: »Und das dritte, Herr? Das älteste?«

Der Bolg-König schwieg lange. Schließlich redete er wieder. Seine Stimme war sanft.

»Zum Beginn der Zeit, als es auf der Erde nur die fünf Rassen der Erstgeborenen gab, stahlen die F’dor den Drachen etwas – dem Urvater der Rasse, dem ältesten aller Drachen. Es handelte sich um ein Ei. Sie nahmen den ungeborenen Drachen, der in seinem Blut alle Elemente vereinigte, und beschmutzten ihn, machten ihn unrein. Er wurde in einem Zustand der Stasis gehalten, und man erlaubte ihm zu wachsen, bis er ein Teil des Weltengewebes war. Tiefer noch als die Gruft liegt in der Erde das älteste Kind, eine Bestie von unvorstellbarer Größe, die in kalten, unterweltlichen Höhlen schläft und darauf wartet, dass ihr Name gerufen und sie wieder lebendig wird und Leben geben kann, denn alle Drachen müssen brüten. Sie schläft noch, weil bei der Gefangennahme der F’dor alle Wärme ihres bösen Feuers mit ihnen ging. Doch wenn sie befreit werden sollten, werden sie die Bestie sofort rufen, und sie wird erwachen.

Und die Welt verschlingen.«

Der König richtete sich ein wenig auf und versuchte die Blicke zu übersehen, die in der Hand getauscht wurden.

»Ich bin vor mehr als tausend Jahren dem Griff eines oberweltlichen F’dor entwischt, denn ich hatte während meines Dienstes einen Blick über die Schwelle der Gruft geworfen. Als ich sah, was sich in ihr befindet, habe ich begriffen, dass es Schlimmeres als den Tod gibt, Schlimmeres als Verbannung, Schlimmeres als endlose Folter. Als ich dies sah und begriff, verstand ich, warum das dhrakische Blut in meinen Adern nach dem Tod aller F’dor schreit, warum ich jeder Spur ihres fauligen Geruchs nachjagen muss, die ich im Wind bemerke, und warum ich die Erde von allen säubern muss, die ich finden kann. Das ist ein Ruf, der alle anderen Pflichten überlagert. Ich bin Jäger und auch Wächter – der Wächter des Erdenkindes. Der Wächter der Bolg. Und es ist eine scheußliche Ironie des Schicksals, dass ich auch der Wächter der Erde selbst bin. Ausgebildet als Mörder und Händler des Todes, der einst einen ganzen Kontinent in Angst und Schrecken versetzte, bin ich nun derjenige, in dessen Verantwortung die Sorge um das Leben und möglicherweise auch das Nachleben liegt, denn die F’dor hassen beides und versuchen es bei Gelegenheit auszulöschen.

Meine unfreiwilligen Kinder, auch wenn einige glauben, das Alter könne mir nichts anhaben und ich sei zwar sterblich, aber nicht durch die Hand der Zeit, muss ich euch ein Vermächtnis machen und euch zu seiner Erfüllung verpflichten. Diese Verpflichtung beginnt nun, da ihr allmählich erwachsen werdet. Ich kann diese Last nicht mehr allein tragen. Grunthor ist mir dabei immer eine Hilfe gewesen, aber auch er kann es nicht mehr allein sein. Ich weiß nicht, welche unmittelbare Macht die F’dor außerhalb ihrer Gruft haben und wie viele dämonische Geister in menschlichen Wirten stecken, doch ich sehe, wie ihr Einfluss in den Herzen der Menschen wächst. Die Gier nach Zerstörung dringt bis hinter die Berge, in denen wir herrschen. Ihr werdet mir beistehen. Gleich mir ist eure Bestimmung keine Wahl, die ihr getroffen habt, sondern eine, die für euch getroffen wurde. Sie liegt so weit außerhalb eurer Einflussmöglichkeit wie das Schlagen eures eigenen Herzens. Es gibt keinen Weg, auf dem ihr eure Bestimmung umgehen oder vor ihr fliehen könnt.

Dies ist das tausendunderste Geheimnis. Ihr werdet euer Leben in endloser Wacht verbringen, die Erde und alles, was auf ihr lebt, vor dem beschützen, was sie zu vernichten trachtet. Eure Ausbildung, eure Hingabe, eure Weisheit – euer Leben – sind verpfändet, um diese Berge zu halten, das Erdenkind zu beschützen, so wie ich es beschütze, und die erste und möglicherweise letzte Barriere zwischen den F’dor und dem Drachen zu sein, der im Herzen der Welt schläft.«

Die Archonten nickten einer nach dem anderen voller Verständnis.

Der Bolg-König band sich die Schleier wieder um.

»Wenn ihr glaubt, diese Aufgabe sei zu schwer für euch, dann bedenkt, dass ihr als Bolg geboren seid. Wenn ihr euch selbst bemitleidet, denkt daran, dass ihr auch als Menschen oder, schlimmer noch, als menschliche Cymrer auf die Welt hättet kommen können. Wenn ihr euch das vorstellt, verschwindet sofort jedes Selbstmitleid.«