»Nun, mein Freund, kann ich dich für eine Eintrittskarte begeistern?«, fragte er. Seine Stimme war tief und angenehm, aber es schwang etwas Dunkles in ihr mit.
»Wenn Ihr so etwas ein Monstrum nennt, dann nicht«, antwortete Kail und deutete auf die keuchende Kreatur. Der große Mann trat näher an ihn heran. »Ich versichere dir, guter Mann«, sagte er mit einladender, doch auch bedrohlicher Stimme, »dass unser Kabinett unvergleichlich ist. Es wird dir einfach gefallen. Und was die Monstren angeht ...« Er beugte sich weiter vor, als verrate er ein Geheimnis. »Die dunkelsten Abgründe deines Geistes können sich ein solches Grauen nicht vorstellen, wie du es in unserem Zirkus sehen wirst.«
Kail rieb sich am Kinn, als ob er nachdenke. »Wer ist verantwortlich für diesen Zirkus?«
Die dunklen Blicke des großen Mannes wanderten über Kails Gesicht.
»Wer will das wissen?«
»Jemand, der etwas zu verkaufen hat«, erwiderte der Fischer fest. Er hatte am Hafen so viel Düsteres gesehen, dass ihm weder ein Spaßmacher in gestreifter Hose noch ein muskelbepackter Schläger oder ein behaarter Mann, der sich wie ein Affe benahm, Angst einjagen konnten.
Der große Mann kniff die Augen zusammen.
»Ich bin der Direktor des Monstrositätenkabinetts«, sagte er düster. »Und ich bezweifle, dass du irgendetwas von Interesse für mich hast. Ich habe die feinsten Exemplare aus jeder Ecke der Welt gesammelt...«
»Wie wäre es mit einem Wesen, dass sowohl Mann als auch Frau und dazu noch Fisch ist?«, unterbrach Kail ihn.
Der Zirkusdirektor schnaubte. »Hab ich schon.«
Kail verschränkte die Arme vor der Brust. »Meiner ist echt.«
Wut entzündete sich in den schwarzen Augen des großen Mannes. Er warf einen Blick in die Gasse und stellte beruhigt fest, dass niemand Kails spöttische Bemerkung gehört hatte. »Alle Ungeheuer des Monstrositätenkabinetts sind echt«, sagte er mit unverkennbarer Drohung in der Stimme. »Wenn du keine Eintrittskarte kaufen möchtest, solltest du jetzt besser gehen.«
Kail dachte darüber nach, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich sag dir was«, gab er zurück, ohne auf die wachsende Wut im Gesicht des Bändigers zu achten. »Ich kaufe eine Karte, aber Ihr trefft Euch mit mir in der Dämmerung außerhalb des Zirkus eine halbe Stunde vor Öffnung. Ich zeige Euch meinen Wundersamen Fischjungen, und wenn Ihr ihn haben wollt, könnt Ihr ihn mir abkaufen – und mir die verdammte Eintrittskarte bezahlen. Abgemacht?«
»Eine halbe Krone«, sagte der Zirkusdirektor und streckte die Hand aus.
Schließlich blinzelte Kail doch. »Ich habe wirklich den falschen Beruf«, murmelte er, zog seine Geldbörse hervor und legte widerstrebend die Münze in die Hand des großen Mannes. »Nun, wenigstens weiß ich, dass Ihr gut bei Kasse seid, falls Ihr mein Ungeheuer kaufen wollt.«
Kail traf sich mit Bächlin vor dem westlichen Tor.
»Wie hat sich der Fang verkauft?«
Bächlin streckte ihm die Hand entgegen und zog ihn in den Wagen.
»Erstaunlich gut«, sagte er und ergriff wieder die Zügel. »Die Brände an der Westküste haben den Fischnachschub unterbrochen. Die Händler waren ziemlich gierig danach. Und ich habe unglaublich günstig Seil gekauft.«
Kail rieb sich die Hände vor Freude. »Das scheint eine sehr erfolgreiche Reise zu werden, Bächlin«, sagte er gewichtig. »Wie geht’s unserem Fischjungen?«
»Beim letzten Mal, als ich nach ihm gesehen hab, lebte er noch, aber er fing an zu zerschrumpeln. Und er stinkt wie nichts sonst.«
»Bei Sonnenuntergang wird er verschwunden sein. Wir waschen den Wagen mit kochendem Wasser aus, bevor wir uns auf den Rückweg machen«, meinte Kail. »Aber zuerst sollten wir einen Blick auf ihn werfen. Vielleicht können wir ihn ein wenig aufhübschen, bevor er heute Abend den Herrn des Zirkus trifft.«
Er kletterte in den hinteren Teil des Wagens, umrundete vorsichtig das Laken aus Seetang und zog es langsam vom Gesicht der Kreatur weg.
Faron blinzelte nur leicht und stieß die Luft aus, die in einem Zischen an den Seiten seines Mundes entwich. Er war bewusstlos.
Kail schüttelte das Geschöpf und prallte vor der schleimigen Haut zurück.
»He, du! Wach auf, du Tier. Du gehst zum großen Ball! Wenigstens für deinesgleichen.«
Das Geschöpf bewegte sich nicht.
Kail zog die Brauen zusammen. »Wach auf«, drängte er die Kreatur erneut. Als sie immer noch keine Antwort gab, warf er einen Blick über die Schulter nach Bächlin. »Nicht gut. Sie werden nicht viel zahlen, wenn er einfach nur so daliegt.«
»Vielleicht ist er krank«, meinte Bächlin.
»Vielleicht. Ein Fisch ohne Wasser – er fühlt sich bestimmt nicht besonders wohl.« Kail riss sich zusammen, ergriff das dünne Handgelenk der Kreatur und hob den weichen Arm. Hautfalten hingen locker herab, und als Kail ihn losließ, fiel er schlaff zurück. Der Fischer schnaubte verärgert, trat näher und schaute sich das Geschöpf eingehender an.
Zwischen den langen, arthritischen Fingern steckte etwas.
Kail griff danach und packte es. Es war dünn, hart und grün und hatte einen ausgefransten Rand. Inmitten des Seetangs hatte er es zunächst nicht bemerkt. Er zerrte daran.
Die Augen des Geschöpfes öffneten sich ein wenig.
Kail zog noch einmal.
Das fischartige Geschöpf zischte, lauter diesmal, und der Kopf rollte vor und zurück in dem krampfhaften Versuch aufzuwachen.
»Was, zum ...?«, murmelte Kail. Er zog ein weiteres Mal, und zwar mit so viel Kraft, wie er aufbringen konnte. Der Gegenstand löste sich aus dem Griff der Kreatur und hinterließ eine dünne Spur aus schwarzem Blut zwischen den dürren Fingern.
Nun schlug das Geschöpf die Augen ganz auf und schüttelte aufgeregt die miteinander verschmolzenen Lippen. Es zischte wild, fuhr mit den schwachen Armen durch die Luft und griff nach seinem Schatz.
Kail beachtete seine Einwände nicht, sondern hielt das Ding gegen das Licht der Nachmittagssonne. Es war hart wie der Panzer eines Insekts und gleichzeitig biegsam, hatte zerfetzte Ränder und kleine Linien auf der Oberfläche. Zuerst war er der Meinung gewesen, es sei von grüner Farbe, doch als das Licht die Oberfläche traf, wurde es zu unzähligen kleinen, tanzenden Regenbögen gebrochen.
»Verdammt«, flüsterte Kail bezaubert.
Die Kreatur zischte noch lauter und spuckte aus. Sie sah Kail an und kochte vor Wut. Schwach griff sie nach der dünnen Scheibe, doch Kail begab sich rasch außerhalb ihrer Reichweite.
Er schaute seinen Fund noch eine Zeit lang an und richtete den Blick dann wieder auf das Geschöpf, das ihn mit all seiner verbliebenen Kraft anstarrte.
»Willst du das hier zurückhaben?«, fragte er sanft. Die Kreatur nickte böse. »Ausgezeichnet. Du verstehst mich. Also gut, mein Freund, wenn du es wirklich zurückhaben willst, solltest du vor dem Zirkusdirektor recht lebendig aussehen. Wenn er dich genug mag, um dich zu kaufen, gebe ich dir deinen Schatz zurück. Aber nur dann.« Er steckte die fransige Scheibe in sein Hemd und kletterte wieder auf den Fahrersitz. Dem Mitleid erregenden Jammern und Wimmern aus dem hinteren Teil des Wagens schenkte er keine Beachtung.
Der Zirkus lagerte nördlich der Stadt, kurz hinter den äußeren Dörfern. Er befand sich in einem Kreis aus Fackeln und Laternen, die zuckende Schatten auf die Krevensfelder dahinter warfen.
Im Licht der untergehenden Sonne und der flackernden Feuer erkannten Kail und Bächlin zehn Zirkuswagen, jeder in dunklen, satten Farben mit Bildern bemalt, die aller Vorstellung spotteten. Einige Karren und Zugpferde sowie eine Menge Zelte fanden sich am Rand des Platzes.
Ein stetiger Strom von Menschen bewegte sich auf den Zirkus zu. Zuschauer mit großen Augen vermischten sich mit unangenehmen Gestalten, die offenkundig andere Vergnügungen als das Monstrositätenkabinett suchten. Kail wusste, dass der Zirkus oft auch ein Markt für fleischliche Gelüste war – zumeist für jene von perverser Natur.