Die Bauernmenge schwatzte in einer Mischung aus Erregung und Angst durcheinander. Der Zirkusdirektor bahnte sich einen Weg, gefolgt von seinen Aufsehern, und versuchte das Geplapper zu übertönen und die Gruppe zu überzeugen, in den Zirkus zu kommen, doch das Versprechen eines kostenlosen Blicks auf ein offenbar scheußliches Monstrum erweckte in jedem den Wunsch, es mit eigenen Augen zu sehen.
»Was macht ihr hier?«, wollte der Inhaber des Zirkus von Kail wissen, der die Ereignisse mit einem Ausdruck selbstgefälliger Zufriedenheit verfolgte.
»Nun, wir bieten Euren Zirkusbesuchern eine kleine ... eine kleine ...«
»Nebenvorstellung?«, schlug Bächlin vor.
Kail kicherte. »Genau! Eine Neben Vorstellung, neben dem Zirkus.« Er schaute von der ungestümen Menge, die nun gespannt darauf war, wer als Nächstes in den Wagen spähen durfte, zu dem blassen Zirkusdirektor und seinen Schlägern und bedachte den Mann mit einem anmaßenden Blick. »Nun werdet mal nicht unverschämt, Herr Zirkusdirektor«, sagte er herablassend. »Schließlich wart Ihr es, der mich hierher gebracht hat. Ich habe Euch dieses Ungeheuer zuerst angeboten, aber Ihr hattet es ja nicht nötig, zu unserer Verabredung zu erscheinen.«
Der Zirkusdirektor drängte sich durch die Menge und kam an die Seite des Wagens, wo Kail stand. »Ich will es sehen«, forderte er und ergriff den Rand des Öltuchs.
»Na, na«, tadelte Kail ihn und schlug seine Hand fort. »Für Euch ist es nicht kostenlos, Zirkusdirektor. Ihr habt von mir Geld gefordert, damit ich Eure Vorführung sehen kann. Da ist es nur gerecht, wenn Ihr für meine nun eine Krone bezahlt.«
Die erregte Menge murmelte Zustimmung.
Unmenschliche Laute drangen unter dem Öltuch hervor.
Das Gesicht des Zirkusdirektors entspannte sich. »Ich habe kein Geld dabei«, meinte er mürrisch.
Kail nickte. »Das stimmt vielleicht sogar. Also werde ich Euch zeigen, wie ein Ehrenmann handelt. Obwohl Ihr mich so grob behandelt habt, will ich Euch die Krone erlassen. Aber wenn Ihr meinen Fischjungen kaufen wollt, müsst Ihr meinen Preis zahlen plus die Krone plus die halbe Krone, die Ihr von mir verlangt habt.« Er schaute sich in der wachsenden Menge nach Unterstützung um. »Ist das gerecht?«, fragte er die Versammelten. Ein Chor der Zustimmung erhob sich.
»In Ordnung«, knurrte der Zirkusdirektor. »Und jetzt zeig mir deine verdammte Missgeburt.«
Kail lächelte breit und trat beiseite. Er verneigte sich und deutete höflich auf den Wagen. »Seid mein Gast, Herr.«
Der Zirkusdirektor hob die Abdeckung.
Ein blasser Arm schoss aus den Eingeweiden des Wagens hervor. Die kranke Haut war beinahe grün im flackernden Licht der Fackeln. Einen Augenblick später folgte der missgestaltete Kopf. Die großen, umwölkten Augen blitzten, der groteske Mund stieß zischende und kreischende Laute aus, die eindeutig unmenschlich waren und vielleicht sogar einen dämonischen Ursprung hatten. Das Wesen krallte sich an dem Zirkusdirektor fest, packte ihn an der Jacke und zog ihn zu sich. Der Mann machte sich frei und wich zurück. Die Kreatur schlug hilflos nach Kail, bevor sie wieder in die Tiefen des Wagens zurücksank.
Die Menge keuchte auf; die Zuschauer in der ersten Reihe drückten und drängelten, um aus der Reichweite des Wagens zu gelangen.
Nur der Zirkusdirektor stand still und reglos da. Er wandte sich an Kail, der seine Freude nicht verbergen konnte.
»Wie viel willst du dafür haben?«, fragte er angespannt.
Kail tat so, als denke er nach. »Nun, heute Nachmittag hatte ich vor, fünfzig Kronen zu verlangen«, sagte er und fuhr fort, als er das entsetzte Atemholen des Zirkusdirektors vernahm: »Aber da Ihr so grob zu mir wart, beträgt der Preis nun hundert Goldkronen. Plus zwei.«
Der Zirkusdirektor wollte etwas entgegnen, doch dann bemerkte er die Menge, die nun eifrig dem Monstrositätenkabinett entgegenströmte, und überlegte es sich anders.
»Abgemacht«, sagte er. Er gab einem seiner Wächter ein Zeichen, und der Mann verschwand in Richtung der äußeren Vororte von Bethania.
»Wir geben Euch eine Stunde«, sagte Kail und kletterte zurück in den Wagen. »Mein Freund Bächlin würde gern die Vorführung besuchen, falls Ihr nichts dagegen habt. Danach werden wir verschwinden, entweder mit unserem Geld und ohne unseren Fischjungen, oder ohne es und mit ihm. Wenn also Euer Lakai nicht pünktlich mit dem Geld ...«
»Er wird rechtzeitig zurückkommen«, presste der Zirkusdirektor durch die Zähne.
»Gut«, meinte Kail und streckte sich auf der Wagenplanke. »Und weil ich Euch beweisen will, was für ein großzügiger Bursche ich bin, gebe ich Euch seine Fische kostenlos dazu. Sie sind seine Nahrung, auch wenn er Aale bevorzugt. Ihr solltet Verabredungen besser einhalten.«
Die Kreatur wurde im Schutz der Dunkelheit übergeben, als der Zirkus für die Nacht geschlossen hatte. Sie hatte gezischt und gespuckt, doch ihre weichen Knochen und ihre Schwächlichkeit hatten die Übergabe recht einfach gemacht.
»Vergesst nicht, das Geschöpf feucht zu halten«, hatte Kail dem Zirkusdirektor geraten, als es in eine Leinwandschlinge gelegt und durch das Tor in die seltsame Welt des Monstrositätenkabinetts gebracht wurde.
»Es trocknet leicht aus.«
»Nimm dein Geld und verschwinde«, sagte der Zirkusdirektor und sah zu, wie die Aufseher die Gestalt in eines der Zelte trugen. Er drehte sich um und folgte ihnen ohne ein weiteres Wort.
Als sie später in dieser Nacht die transorlandische Straße erreicht hatten und auf dem Rückweg zur Westküste waren, sprach Bächlin endlich. Er hatte stundenlang vor sich hingestarrt und zu verstehen versucht, was er hinter dem Tor des Zirkus gesehen hatte.
»Da drin war eine ... Frau mit zwei ... zwei ...
Schlitzen«, flüsterte er und deutete zwischen seine Beine. Er schüttelte den Kopf und versuchte diesen Anblick aus seinen Gedanken zu vertreiben.
Kail lachte laut auf. »Gut, dass ich mein Gold behalten habe, Bächlin«, sagte er in rauem Ton. »Man will doch nicht seine >Münze< in einen dieser >Schlitze< stecken, oder?«
»Und eine hat Menschenfleisch gegessen«, fuhr Bächlin fort, der immer noch bemüht war, die Bilder aus seinem Kopf zu vertreiben. »Überall um sie herum abgetrennte Arme, und sie hat mit den Zähnen an dem Fleisch und den Fingern gezerrt ...«
»Hör auf damit«, befahl ihm Kail. »Ich will unser Glück genießen.« Er klopfte sich gegen die Brust, an der er seine Geldbörse trug, und spürte dabei etwas Scharfes über die Haut oberhalb der Rippen kratzen. Er griff unter sein Hemd und zog die vielfarbige, ausgefranste Scheibe hervor, die er dem Geschöpf abgenommen hatte. Hell und bunt leuchtete sie im Licht der untergehenden Mondsichel.
»Schau mal einer an«, sagte er freudig; er hatte diesen seltsamen Gegenstand völlig vergessen. »Da haben wir ja noch eine Erinnerung an unseren Fischjungen.«
»Hattest du nicht versprochen, sie ihm zurückzugeben?«, fragte Bächlin.
Kail zuckte die Achseln. »Ein Versprechen einem Fisch gegenüber braucht man wohl kaum einzuhalten«, sagte er lässig. »Ich mache ihnen jeden Tag Versprechungen und locke sie damit in meine Netze. Diese Versprechen halte ich ebenfalls nicht. Außerdem wird der Zirkus längst weitergezogen sein, wenn wir jetzt zurückfahren sollten.« Er drehte die Schuppe in der Hand und bewunderte sein eigenes Gesicht in der spiegelnden Oberfläche.
»Haben sie gesagt, wohin sie als Nächstes gehen wollen?«
Kail dachte kurz nach und versuchte sich zu erinnern. Schließlich nickte er.
»Nach Sorbold«, sagte er.
Fast den ganzen Rest des Tages legten sie in ihrem üblichen Schweigen zurück. Kail plante, wie er seinen Anteil an ihrem Vermögen ausgeben würde, und Bächlin versuchte zu vergessen, wie sie dazu gekommen waren.
10
Faron erwachte im Wasser. Das Geschöpf blinzelte. Es war dunkel im Innern des Zeltes. Faron erkannte verschwommene Umrisse durch das milchige Glas des Behälters, in dem er sich befand. Unter geringer Anstrengung glitt er an die Oberfläche und holte Luft. Dabei schlug sein weicher Schädel gegen eine verstärkte Leinwand, die um das Glas gebunden war.