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»Sagt es mir«, verlangte Rhapsody. Ihre Stimme war ein ersticktes Flüstern.

Jal’asee lächelte breit. »Zeit«, antwortete er. »Er wird die Macht der Zeit haben. Ich hoffe, Ihr werdet mir die Ehre erweisen, Eurem Kind beizubringen, wie es diese Macht einsetzen kann, wenn es alt genug ist und sich die Gelegenheit ergibt.«

Das Kind in ihrem Bauch bewegte sich heftig. Rhapsody zuckte zusammen. Das Lied der Fontäne war zu Ende, und damit kehrte die Übelkeit zurück. Sie stand langsam auf, versuchte das Gleichgewicht zu behalten und legte eine Hand über die Augen, um sie vor der steigenden Sonne zu beschirmen.

»Vielen Dank«, sagte sie unverbindlich. »Ich werde es zu gegebener Zeit mit Ashe besprechen. Ich danke Euch für alles, was Ihr mir heute mitgeteilt habt, und bitte Euch, Edwyn Griffyth meinen Dank für die Gehmaschine zu übermitteln, die er Anborn geschickt hat.« Sie seufzte kummervoll. »Ich hoffe, er wird sich dazu herablassen, sie zu benutzen. Ich gestehe, dass es mir das Herz bricht, wenn ich ihn so beeinträchtigt sehe.«

Der alte serenische Botschafter stand auf und schaute auf sie herab. Sein Schatten fiel auf sie.

»Warum?«, fragte er, ergriff ihren Arm und führte sie den Gartenweg hinauf zur Festung.

»Weil er in einer Schlacht bei dem Versuch verletzt wurde, mich zu retten – wie Ihr vermutlich wisst«, sagte Rhapsody und bemühte sich, mit festen und gleichmäßigen Schritten zu gehen. »Ich habe damals versucht, meine Fähigkeiten als Sängerin und Benennerin zu seiner Heilung einzusetzen, doch wie Ihr seht, konnte ich ihn wegen meiner unvollendeten Ausbildung und meiner begrenzten Fähigkeiten nicht vollständig gesund machen. Da mir die Taufe im Licht meines Leitsterns fehlt, glaube ich wahrscheinlich nur irrtümlicherweise, dass ich seine Kraft benutzen kann.«

Jal’asee ging weiter, doch seine Stimme bewegte sich näher an ihr Ohr heran; es war, als ströme sie durch die Luft in Rhapsody ein.

»Ein Band zu dem Leitstern, wie zum Beispiel das der Liebe, ist oftmals stärker, wenn es unter großen Mühen geknüpft wurde«, sagte er sanft. »Anborn ist nicht verkrüppelt, weil Ihr ihn nicht heilen konntet, sondern weil er sich von Euch nicht heilen lassen wollte. Vielleicht wird er sich eines Tages dafür vergeben und es Euch erlauben, einen zweiten Versuch zu machen. Doch ich habe ihn während der letzten sieben Jahrhunderte beobachtet und würde nicht unbedingt darauf wetten. Euer Kind mag aus den Segnungen aller fünf uranfänglichen Elemente seinen Nutzen ziehen, aber es wird zweifellos mit Halsstarrigkeit von epischen Ausmaßen geschlagen sein. Dieser Zug ist in der Familie seines Vaters deutlich zu erkennen. Ihr habt bereits im Voraus mein tiefstes Mitgefühl.«

Rhapsody lachte während des gesamten Rückwegs zum Gartentor.

13

Das Monstrositätenkabinett

Entenfuß-Emmi hatte Wort gehalten und war Farons Beschützerin geworden.

Die lange Fahrt von Bethania zum südlich gelegenen Sorbold war schon unter gewöhnlichen Umständen eine schwierige Angelegenheit, doch mit einem zerbrechlichen Tank voll stinkenden Wassers im hinteren Teil eines Zirkuswagens, der über die schadhaften und löcherigen Straßen holperte, war sie der helle Wahnsinn. Emmi hatte ihre Habseligkeiten nach der ersten Nacht in Farons Wagen gebracht, nachdem der Tank beinahe von dem löwengesichtigen Mann und dem ekelhaften Schausteller mit den Schwertzähnen, zwei von Farons Mitreisenden, zerschmettert worden wäre, weil sie den Neuankömmling entweder als Nebenbuhler oder als Nahrung oder als beides ansahen. Entenfuß-Emmi hatte sich mit einem Besenstiel und einem Knurren von solcher Heftigkeit zwischen die gefräßigen Missgeburten und den Tank der geduckten Kreatur gestellt, dass sich die Männer, die mehr als doppelt so groß wie Emmi waren, in die dunklen Ecken des Wagens zurückgezogen, Flüche gemurmelt und still dort gehockt hatten, bis der Schlaf sie in sein Reich der Stille geholt hatte. Einige Tage lang hielt das Monstrositätenkabinett nur nachts an. Es wurden keine Vorstellungen gegeben, weil es entlang der Route keine Siedlungen mit genügend Einwohnern gab, für die sich die Mühe gelohnt hätte. Der Zirkusdirektor hatte entschieden, den heiligen Stadt-Staat Sepulvarta zu umfahren, in dem die Zitadelle des Patriarchen der größten orlandischen Religion stand, denn dieser hätte die Truppe wegen Zurschaustellung menschlichen Elends verhaften und verurteilen lassen. So blieb nichts anderes übrig, als bei Tag zu reisen und bei Nacht zu kampieren. Entenfuß-Emmi kümmerte sich liebevoll um Faron, und das Geschöpf schien sich ein wenig zu beruhigen, auch wenn es immer noch zusammenzuckte, sobald jemand anderes den Wagen betrat. Emmi übernahm es daher freudig, für Farons Bedürfnisse zu sorgen.

Die Aufseher, die als Wärter für die Missgeburten und als Wachen für die Zuschauer tätig waren, grummelten über Emmis neue Besessenheit. Malik, ein älterer Aufseher mit einer Narbe, die vom Hals über das Rückgrat bis zur Hüfte lief, hatte es sich angewöhnt, vor dem Wagen der neuen Missgeburt zu lauern, Emmis Kommen und Gehen zu beobachten und alles dem zunehmend verärgerten Zirkusdirektor zu berichten. Eines Nachts erwischte Malik sie in der Nähe einer kleinen Bauernsiedlung auf den Krevensfeldern südlich von Sepulvarta, wie sie die Leiter des Wagens mit einer leeren Fischschüssel in der Hand herunterstieg. Malik beugte sich aus seinem Versteck und packte sie um die Hüfte.

»Na, na, Emmi, wo biste denn gar gewesen? Mir scheint’s, du machst unsere Rationen kleiner un’ bedienst stattdessen den Fischjungen. Wäschst ihm auch die Hände un’ Füße – falls er so was hat.«

Entenfuß-Emmi drückte ihn von sich und entwand sich seinem Griff. »Er hat Füße, du hirnrissiger Tölpel. Sie sind nur weich.«

»Klar, un’ ich wett, der Rest von ihm is auch weich«, grinste Malik, packte sie wieder um die Hüfte und drehte sie um. »Aber du weißt, dass das bei mir nich so ist, oder, Emmi?« Er vergrub sein bärtiges Gesicht in ihrem Nacken und knabberte neckisch an ihrer Haut.

»Ja, du hast ’nen harten Kopf, Malik«, sagte sie schnippisch, doch die Lippen des Aufsehers zeigten Wirkung.

»Is schon so lang her, Emmi«, jammerte Malik, während seine Hände höher wanderten. »Hast ihn doch jetzt gefüttert, oder?« Die Zirkusfrau nickte. In ihre Augen kroch ein weicher Glanz. »Un’ er schläft?« Ein weiteres Nicken. »Dann geht’s ihm erst mal gut, oder? Komm, wir gehen hinter’s Klo, dann nehm ich dich her.«

Emmi schnaubte verächtlich. »Wird wohl andersrum sein«, sagte sie, setzte die Fischschüssel auf einem Fass ab und suchte verstohlen das Lager nach einer Spur des Zirkusdirektors ab. Er war nirgendwo zu sehen. »Is immer so.«

»Egal«, meinte Malik nachgiebig. Er ergriff ihre Klauenhand und führte sie in die Dunkelheit.

Sobald Entenfuß-Emmi zwischen den Schatten verschwunden war, kamen drei weitere Aufseher aus der Dunkelheit und betraten schweigend den Wagen.

Das Geschöpf schlief in seinem trüben Tank; es lag schlaff im Wasser, als die Männer mit nacktem Oberkörper durch den Wagen krochen und vorsichtig über die Betten der beiden anderen Missgeburten stiegen, die draußen waren, entweder um Luft zu schnappen oder um das Nachtmahl einzunehmen. Als sie schließlich im hinteren Teil des Zirkuswagens angekommen waren, besprachen sie sich stumm mit Handzeichen, sprangen dann aus der Finsternis, schlugen laut gegen den Tank, pressten die Gesichter gegen die Glaswände und kreischten fürchterlich.

Die neue Kreatur schoss vor ihnen zurück und heulte Mitleid erregend. Der verschlossene Mund klappte an den Seiten auf, und sie keuchte und kauerte im hinteren Teil des Tanks.