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Die Aufseher schnitten noch immer Grimassen und klopften mit Stecken auf die Leinwand, als Entenfuß-Emmi in den Wagen stürzte. Sie richtete die Stangen ihrer vielen Mieder und schoss flammende Blicke ab. Hinter ihr kam Malik mit heruntergelassener Hose und blickte ziemlich finster drein.

Sie bohrte ihre Fingernägel wild in die Rücken von zwei Aufsehern, kratzte sie bis aufs Blut und brüllte mit einer Stimme, die beinahe den Glastank zum Zerspringen gebracht hätte: »Ihr blutigen Bastarde! Hände weg von meinem Liebchen!«

Der einzige Aufseher, der sich nicht in Reichweite ihrer Krallen befand, versetzte ihr einen kräftigen Stoß. Sie taumelte rückwärts und fiel dem Zirkusdirektor vor die Füße, der mit einer Laterne in der Hand an der Wagentür stand.

»Was geht hier vor?«, wollte der große, dünne Mann wissen.

»Sie machen mein Liebchen kirre!«, spuckte Entenfuß-Emmi aus, erhob sich heftig vom Boden und wollte sich wieder ins Kampfgetümmel stürzen, doch der Zirkusdirektor packte sie am Arm.

»Wenn ihr Weicheier dem Fischjungen etwas tut, vierteile ich euch«, sagte er mit bösem Zischen. »Diese Missgeburt hat unsere Einnahmen verdreifacht.« Er wandte sich an Malik und deutete auf den Boden.

»Bring diese Betten in den Fleischfresserwagen und hol die toten Ausstellungsstücke her.« Dann ging er auf das zitternde Geschöpf im Tank zu. »Ich will bei den Wagengenossen des Fischjungen kein Wagnis mehr eingehen.«

»Die Schlangenmenschen und anderen Missgeburten werden bei den Fleischfressern kaum Schlaf kriegen«, wandte einer der Aufseher ein. »Den Toten hingegen macht all das Heulen und Rumgerenne nichts aus.«

»Raus hier, wie ich befohlen habe«, knurrte der Zirkusdirektor und drängte den Mann zur Tür.

Er trat zur Seite und ließ die verdrießlichen Handlanger vorbei; dann wandte er sich wieder an Entenfuß-Emmi.

»Du kannst hier bleiben. Sorge dafür, dass ihm nichts mehr passiert.«

»Ja, das mach ich«, sagte Emmi, die nach dem Kampf noch immer keuchte.

Der Zirkusdirektor starrte die Kreatur im Glastank noch einmal an, dann drehte er sich um und verschwand hinter den Vorhängen.

Entenfuß-Emmi wischte sich die Nase am Arm ab und bahnte sich dann einen Weg durch den Wagen zum Tank, der matt in der Dunkelheit schimmerte. Sie löste die Leinwanddecke, zog eine kleine Holzkiste über den Tank, stellte sich darauf und tauchte die Arme in das unsaubere Wasser.

»So, mein Liebchen«, sagte sie sanft, bewegte die Arme und rief kleine Kräuselungen im Gefängnis des Geschöpfs hervor. »Jetzt biste in Sicherheit. Ich verlass dich nich, un’ das Wort des Zirkusdirektors is Gesetz hier. Keiner wird dir mehr was tun. Komm, mein Lieber. Emmi wiegt dich wieder in’ Schlaf.«

Das Geschöpf kauerte lange an der Rückwand des Tanks und starrte sie durch die Finsternis wild an. Sie sah die umwölkten Augen, offen und rund wie zwei Monde über der faltigen Haut seines Gesichts, und der Rest verschwamm im wässerigen Grün. Schließlich paddelte es vorsichtig herbei und legte den Kopf in ihre offene Hand.

Entenfuß-Emmi schenkte ihm ihr gebrochenes Lächeln, ballte die Finger der anderen Hand zur Faust und streichelte wortlos mit ihren Knöcheln über die Wange des Geschöpfs. Dabei sang sie ein Lied, das sie irgendwo gehört hatte. Wo das gewesen war, hatte sie schon lange vergessen.

In der Nacht, bevor die Zirkuskarawane den Bergpass erreichte, der ins nördliche Sorbold führte, öffnete der Zirkusdirektor die Tore für eine Truppe sorboldischer Bergsoldaten, die aus einer Eliteeinheit stammten, welche an der Grenze zwischen Roland, Sorbold und dem Firbolg-Reich Ylorc patrouillierte.

Die Soldaten, die schon lange von zu Hause fort waren und außer dem Warten auf eine Invasion, die nie kam, nichts zu tun hatten, hießen das Monstrositätenkabinett begeistert willkommen. Während sich vor den Hurenzelten die längsten Schlangen bildeten, wurden auch die Zelte, in denen sich die missgebildetesten und groteskesten Wesen befanden, eifrig besucht.

Faron war zwischen den toten Ungeheuerpräparaten ausgestellt, mit denen er den Reisewagen teilte: dem zweiköpfigen Säugling, dem geflügelten Mann und gut einem Dutzend anderer Missbildungen, die in Salzwasserlösung eingelegt waren. Die Soldaten bemerkten nicht einmal, dass Faron das einzige lebende Geschöpf in dem Zelt war, so mutlos war er geworden. Die Besucher gingen an ihm vorbei und redeten miteinander, als wären sie in einem Museum; dann eilten sie weiter zu den aufregenderen Zelten, wo die Gefahr lauerte, auch wenn sie nur gespielt war.

Als später die Aufseher die Wagen für die Nacht beluden, stürmte der Zirkusdirektor wütend durch die Vorhänge an der Tür von Farons Wagen, lief hinüber zum Tank und schlug mit der Hand gegen das Glas.

»Wach auf, du verdammter Fisch!«, knurrte er und drückte die entsetzte Entenfuß-Emmi, die auf einem Stuhl neben dem Behälter gesessen und genäht hatte, zur Seite. »Ich habe viel Geld für dich bezahlt, Kerlchen, einhundert Goldkronen plus zwei! Habe dich vor diesen schwachsinnigen Fischern gerettet. Und warunü« Er schlug wieder gegen den Tank, der wie verrückt schwankte. Wasser leckte aus einer Nahtstelle an der Seite.

»Weil du ein zischender und spuckender Albtraum warst, deshalb! Und wie dankst du es mir? Indem du wie leblos in deinem Tank schwimmst, nicht zu unterscheiden von den toten Präparaten, und die Besucher glauben, du bist ein Schwindel«

»Lass mein Liebchen in Ruh!«, rief Entenfuß-Emmi ungehalten.

Der Zirkusdirektor wirbelte herum und schlug die seltsame Frau mit dem Handrücken zu Boden.

Faron hatte sich vor dem rasenden Zirkusdirektor an das andere Ende des Tanks zurückgezogen und kreischte nun zornig auf. Er kam nach vorn, hämmerte gegen die Scheibe und kratzte hilflos mit seinen weichen, verdrehten Händen am Glas.

»Aha!«, rief der Zirkusdirektor. In seinen dunklen Augen blitzte Verstehen auf. »Das ist es also. Du musst wütend sein, nicht wahr?« Er drehte sich um und trat Emmi gegen die Stirn, als sie aufzustehen versuchte. Sie verlor das Bewusstsein. Der Zirkusdirektor lächelte, als das Geschöpf wieder aufkreischte und die gelben Zähne zusammenbiss. Seine Augen waren blutunterlaufen vor Zorn. Es drückte sich gegen das Glas, versuchte zu entkommen, kratzte an der Leinwand über ihm.

Die Augen des Zirkusdirektors weiteten sich vor Verwunderung.

Aus den Falten am Bauch der Kreatur kam etwas hervor, das er bisher nicht bemerkt hatte. Es war eine Reihe vielfarbiger Schuppen, die in der schlaffen Haut der Missgeburt verborgen waren. Eine dieser Schuppen hing am Rand einer Hautfalte und drohte hinunterzufallen. Einen Augenblick später geschah es, als der Fischjunge mit ausgestreckten Armen weiter gegen die Leinwandabdeckung schlug. Ein unregelmäßiges blaues Oval von der Größe einer Hand und mit ausgefranstem Rand trieb glitzernd in den Abfall am Boden des Tanks.

Als Faron den verblüfften Blick des Zirkusdirektors bemerkte, hörte er auf zu toben und folgte seinem Blick hinunter auf den Tankboden. Panik ersetzte die Wut. Das Geschöpf schoss zum Boden, packte die blaue Schuppe, steckte sie rasch zurück zwischen die Hautfalten und starrte den Zirkusdirektor an.

Der Zirkusdirektor rief nach seinen Handlangern und rollte die Ärmel auf.

»Gib es mir«, sagte er mit tiefer, bedrohlicher Stimme.

Das Geschöpf schüttelte den Kopf und zog sich wieder in die gegenüberliegende Ecke des Tanks zurück. Der Zirkusdirektor packte den Rand des Glases und schüttelte den Behälter heftig.

»Ich habe gesagt, gib es mir, du Missgeburt, bevor ich dich aus dem Wasser hole und dich in den Sand von Sorbold werfe, damit du da verschrumpelst.«

Faron zischte und spuckte.

Unter lautem Gepolter kamen die Aufseher in das Zelt. Mit einer Geschicklichkeit, die sich aus Jahren des Umgangs mit unwilligen Monstrositäten und wilden Bestien ergab, drückten sie Faron an die Rückseite des Tanks und hielten ihn im spritzenden Wasser fest, wobei er ungeheuerliche Schreie ausstieß. Sobald die Missgeburt besiegt war, riss der Zirkusdirektor das blaue Oval aus Farons Bauch. Seine Kleidung war vom schmutzigen Wasser durchnässt, doch er bemerkte weder dies noch die gequälten Schreie des Geschöpfs, sondern starrte im Licht der Laterne die Schuppe an.