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Lasarys führte ihn durch den erdenen Garten zu einem Durchgang, der von gewaltigen Soldatenstatuen flankiert wurde. Es waren dreißig an der Zahl; jeder Einzelne stand auf einem Sockel von drei Fuß Höhe und ragte zehn weitere Fuß auf. Die Steinkrieger bildeten mit ihren primitiven Schwertern einen Bogengang; ihre Gesichter spiegelten die Züge des eingeborenen Volkes wider, das lange vor den Cymrern hier gelebt hatte. Es war das Volk, das Terreanfor gegründet und erhalten hatte. Es hatte die wunderbaren Steinkunstwerke innerhalb der Basilika geschaffen, indem es in die Lebendige Erde die Samen der Bäume, die Federn der Vögel und das Innerste der Tiere gepflanzt hatte, die dann wie durch Magie gesprossen waren.

Als sie schließlich in einem dunklen Alkoven standen, in dem ein Beet irdener Blumen blühte, deren Blätter wie kleine Sterne geformt waren, deutete Lasarys langsam auf den Boden.

»Hier«, sagte er traurig. »Ich habe die gesamte Kathedrale durchkämmt, und auch wenn es mich sehr schmerzt, könnten wir eine oder zwei dieser Blumen ernten, falls Ihr noch mehr Lebendiges Gestein haben müsst.«

Talquist hüstelte und unterdrückte dadurch ein Lachen. Dann räusperte er sich und legte den Arm um die Schulter des Priesters.

»Lasarys, du machst Scherze.« Er drückte den Mann freundlich und ließ ihn dann wieder los. Sein Gesicht nahm in der beinahe völligen Dunkelheit einen feierlichen Ausdruck an. »Mein Freund, ich fürchte, du hast mich missverstanden.«

Er drehte sich um und betrachtete den Steingarten mit seinen Bäumen und Pflanzen, mit den Blumen und Seerosenblättern, allesamt aus Lebendigem Gestein erschaffen; sie pulsierten im Licht der glühenden Kristalle. »Als ich dich darum bat, den Stein zu ernten, den ich zu meinen Gunsten in die Waagschale gelegt habe, damit die Dynastie der Dunklen Erde endet und ich den Kaiserthron besteigen kann, brauchte ich nur ein wenig davon, denn ich hatte das hier.« Er griff in seine Robe und holte ein ausgefranstes, leicht nach innen gewölbtes Oval hervor, das von violetter Farbe war, wenn Licht darauf fiel. »Der Neubeginn – das ist es, was diese Schuppe bedeutet. Ihre Macht ist älter als die des Lebendigen Gesteins, zumindest sagen das die alten Bücher. Und zwischen dem Stein, den du mir gegeben hast, und der Schuppe hat dieser Neubeginn eingesetzt.

Aber es war bloß der Anfang, Lasarys. Was ich vorhabe, ist mehr als nur die Beeinflussung einer alten Waage und eines Gewichts. Nein, ich habe viel größere Pläne. Wenn ich Kaiser bin, muss mein Reich meiner Vision würdig sein. Und ich sehe meilenweit, Lasarys.« Seine Augen schimmerten in der Dunkelheit. »Tausende Meilen weit.«

Der alte Priester zitterte. »Ich verstehe Euch nicht, Herr.«

»Das ist schon in Ordnung, Lasarys, das brauchst du auch nicht. Du hast mir vor vielen Jahren als Lehrer gut gedient, als ich dein Hilfspriester war. Ich bin vor langer Zeit zu dir gekommen, weil ich gehofft hatte, ich könnte herausfinden, wie man diese Schuppe einsetzen kann, die ich im Sand der Skelettküste gefunden hatte. Du konntest keine Klarheit in die Angelegenheit bringen, aber es war keine verlorene Zeit, genauso wenig wie meine Lehrjahre bei Gelehrten und Waldhütern, Kapitänen und filidischen Priestern, denn an jedem Ort, an dem ich nach Antworten suchte, fand ich andere Dinge, die das Bild vervollständigten – wie Steine eines Mosaiks.« Er lächelte, denn er war zufrieden mit diesem Vergleich. Er hielt die violette Schuppe hoch. »Und das hier, Lasarys, ist das Mittelstück.«

»Ja, Herr.« Lasarys fügte sich still, wie er es immer tat, wenn sein Herr in dieser Weise schwadronierte.

»Wo ist der Seligpreiser?«, fragte Talquist. Nielash Mousa, der Segner von Sorbold, war das geistliche Oberhaupt der patriarchalischen Religion in diesem Land und einer der fünf Segner, der höchsten geistlichen Ratgeber des Patriarchen. Unter seiner Aufsicht kümmerte sich Lasarys um Terreanfor.

»Er ... er ist zusammen mit den anderen Segnern in Sepulvarta beim Treffen mit dem Patriarchen. Er wird frühestens in sechs Wochen zurückkommen.«

»Und er wird erst zu den heiligen Tagen am Beginn des Sommers wieder in der Basilika sein, oder?«

»Ja, Herr«, flüsterte Lasarys. Ein schlimmes Gefühl durchfuhr ihn.

»Ausgezeichnet.« Talquists schwarze Augen leuchteten in der Dunkelheit. Er wandte sich von dem Garten ab und ging zurück zu dem aus Soldaten gebildeten Bogengang, die den Blick starr nach oben gerichtet hatten. Er deutete auf die letzte Statue rechts von ihm.

»Ich glaube, der ist der Richtige, Lasarys.«

Die Augen des Hauptpriesters wurden groß in der Dunkelheit. »Der Soldat, Herr?«, fragte er entsetzt.

»Ja. Ich will, dass du ihn aberntest.«

»Welchen ... welchen Teil des Soldaten?«

»Den ganzen Soldaten, Lasarys. Ich brauche eine Menge Lebendiges Gestein, und er wird gerade so viel spenden, wie ich benötige.«

Der Geistliche schluckte vernehmlich. »Herr ...«, flüsterte er.

»Spar dir deine Bitten, Lasarys. Du steckst schon zu tief in der Sache drin, um jetzt noch etwas einwenden zu können. Ich komme morgen wieder her und will dann die Statue gefällt und für mich auf dem Altar liegen sehen. All deine Priester sollen dir helfen, damit sie nicht beschädigt wird. Sei vorsichtig. Ich vermute, sie wiegt über zwei Tonnen, vielleicht sogar drei. Schneide sie am Sockel ab, damit die Füße nicht beschädigt werden. Überdies werde ich auch den Stein des Sockels brauchen, falls noch etwas davon übrig bleibt.« Talquist klopfte Lasarys auf die Schulter. Der Geistliche weinte still. »Kopf hoch! Jede Geburt bringt Schmerzen mit sich. Und wenn du siehst, was geboren werden soll, und dir die Nation betrachtest, die daraus entstehen wird, dann wirst du schließlich begreifen, dass es alle Qualen tausendmal wert ist.«

Er drehte sich um, ging an dem Priester vorbei und lief durch die dunkle Kathedrale zum Licht und dem heißen Wind der Oberwelt.

Jierna’sid — Palast von Jierna Tal — Sorbold

Als Talquist später am Nachmittag über den Handelsberichten und Schiffsmeldungen von der Westküste brütete, wurde sein Blick wieder von der Schuppe angezogen.

Er hielt in seiner Arbeit inne, legte die Feder zur Seite, streckte die Hand aus und strich geistesabwesend über die brüchige Oberfläche. Mit den Fingern fuhr er über die eingeritzten Linien und die kleinen Risse im Rand, die entfernt an einen Walknochen erinnerten.

Wie schön sie ist, dachte er und erinnerte sich daran, wie er die Schuppe zum ersten Mal gesehen hatte. Sie war nicht mehr als ein purpurner Schimmer im nebligen Sand der Skelettküste gewesen. Von dem Augenblick an, als er sie in seinen blutenden Fingern hielt, die er sich beim Graben in dem vulkanischen Sand aufgerissen hatte, wusste er, dass es etwas Uraltes mit großen magischen Kräften war. Damals hatte es sein Blut geschmeckt, was auch kürzlich wieder geschehen war.

Er dachte zurück an die Nacht im letzten Mittsommer, als er die Schuppe mit zitternden Händen auf die Waage von Jierna Tal gelegt hatte, dem gewaltigen Gerät aus der alten Welt, dessen gigantische Säule mit den großen Schalen aus gebranntem Gold auf dem Platz vor dem kaiserlichen Palast stand, in dem die Herrscherin von Sorbold drei Viertel eines Jahrhunderts unangefochten regiert hatte. Bis zu jener Nacht hatte die Dynastie der Dunklen Erde die ganze Nation im Würgegriff gehalten.

Er hatte dies geändert, hatte den Würgegriff gesprengt und der Kaiserin den Todesstoß versetzt. Und die violette Schuppe hatte es ihm erlaubt.

Die Schuppe hatte auf der einen Waagschale gelegen und ein Totem aus Lebendiger Erde, geschnitzt in Form des Sonnenthrones von Sorbold, auf der anderen.

Talquist schaute auf sein Handgelenk, das von einer verblassenden Narbe verunstaltet war. Sie war ein Überbleibsel des letzten Elementes der Austarierung – sieben Tropfen seines Blutes, freiwillig gegeben, sorgsam gezählt, als sie einer nach dem anderen auf die Waagschale fielen.