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Der Anstrich der Höflichkeit verschwand aus den Augen des Nain. Er griff unbewusst an seine Bartspitze und rückte sie wütend zurecht.

»Ich sehe, dass Ihr wie immer in einer sehr angenehmen Stimmung seid, Euer Majestät«, sagte er gereizt.

»Genau wie ich. Einen mitternächtlichen Besuch in Ylorc zu empfangen, ist sicherlich nur wenig unangenehmer, als einen machen zu müssen. Doch es galt, Euch zu erwischen, bevor Ihr zum Winterkarneval nach Navarne abreist, zudem Ihr meinen Kenntnissen zufolge eingeladen seid. Ich will es kurz machen.

Ich habe eine Botschaft von Seiner Majestät, König Faedryth.«

»Und wie lautet sie?«, fragte Achmed ungeduldig.

Der Botschafter der Nain hielt Achmeds Blick stand.

»Er weiß, dass Ihr versucht, die Lichtschmiede wiederherzustellen«, sagte er mit bedeutungsschwerer Stimme.

»Er hat mich gebeten, Euch zu sagen, dass Ihr das nicht tun dürft.«

Sehr lange schauten sich der Bolg-König und der Botschafter der Nain schweigend an. Dann verengten sich Achmeds verschiedenfarbige Augen hinter den Schleiern.

»Du bist den ganzen Weg von deinem Land bis hierher gereist, um mir das zu sagen? Du bist ein tapferer Mann und hast zu viel freie Zeit.«

Garson wandte den Blick nicht ab. »Mein König hat es mir befohlen.«

»Nun, das verwirrt mich«, sagte Achmed und setzte sich auf den Stuhl aus altem Marmor, durch den sich blaue und goldene Adern zogen. »Ich weiß von keiner Lichtschmiede. Dennoch hat Faedryth es gewagt, meinen Zorn heraufzubeschwören, der, wie du weißt, beachtlich sein kann, indem er dich hergeschickt hat, damit du mitten in der Nacht in meine Gemächer stürzt und mir einen Befehl erteilst? Selbst ich, der ich weniger von Diplomatie und Etikette halte als jeder andere, finde das beleidigend.«

»Vielleicht habt Ihr einen anderen Namen dafür«, sagte Garson gelassen, ohne die Einwände des Königs zu beachten. »Aber ich vermute, Ihr wisst, wovon ich spreche. Die Lichtschmiede ist ein Gerät, das die Nain vor elf Jahrhunderten für den Visionär Gwylliam gebaut haben. Dabei handelt es sich um eine Maschine aus Metall und farbigem Glas, die in einen Berggipfel eingelassen wird und das Licht zu verschiedenen Zwecken manipuliert. Sie wurde im Großen Krieg zerstört, was richtig war, denn sie zapfte eine Macht an, die unstabil und unvorhersehbar war. Sie stellt nicht nur für Eure Feinde und Verbündeten, sondern auch für Euer eigenes Königreich eine große Gefahr dar. Ihr versucht etwas zu erbauen, was Ihr nicht vollständig versteht. Eure Dummheit wird Euch und wohl auch diejenigen, die sich in Eurer Nähe befinden, in den Untergang führen. Ihr habt es ja schon gesehen. Das verdorbene Glas aus Eurem ersten Versuch liegt immer noch über das ganze Land verstreut. Das ist eine Narretei von unaussprechlicher Unbesonnenheit. König Faedryth befiehlt Euch, zu Eurem eigenen Nutzen und zu dem des Bündnisses sofort damit aufzuhören.«

Der Bolg-König hielt die Hände vor die Lippen und faltete sie nachdenklich. Er schaute den Nain-Diplomaten an, der wie angewurzelt auf dem polierten Marmorboden der Großen Halle stand. Über die untere Hälfte seines verborgenen Gesichts legte sich ein schiefes Lächeln, das sich in seinen Augen widerspiegelte.

»Woher weißt du eigentlich das alles?«, fragte er beiläufig. »Euer verstecktes Königreich liegt so weit entfernt, dass selbst die Postkarawanen es nicht erreichen. Für die Welt sind die Nain unsichtbar. Wir könnten nicht stärker voneinander getrennt sein, wenn ein Ozean zwischen uns läge. Woher wisst ihr etwas über meine Unternehmungen?«

»König Faedryth hat es sich zur Aufgabe gemacht, Ereignisse zu überwachen, die eine schreckliche Auswirkung auf die Welt haben könnten, Herr«, antwortete Garson überheblich. »Die Informationen finden ihren Weg zu ihm, wann immer es von Bedeutung ist.«

Achmeds Belustigung zerstob. Langsam stand er von seinem Thron auf – wie eine Schlange kurz vor dem Zustoßen.

»Lügner«, sagte er verächtlich. »Die Nain haben der Welt vor vier Jahrhunderten den Rücken zugekehrt. Ihr habt kein Interesse am alltäglichen Gang der Welt außerhalb eures Reiches und auch keine Möglichkeit, etwas davon zu erfahren, selbst wenn ihr es wolltet. Und dennoch stehst du hier und berichtest mir die Einzelheiten meines geheimsten Projekts auf Befehl eines Königs, der glaubt, er habe das Recht, mir zu befehlen, was ich zu tun habe.«

Er durchmaß den Raum, blieb unmittelbar vor dem Botschafter der Nain stehen und schaute ihm in die glühenden Augen.

»Ihr habt selbst eins«, sagte Achmed gleichmütig. »Ihr habt euren eigenen Apparat gebaut und benutzt dessen Wahrsagefähigkeiten, um mein Land auszuspionieren. Nur so habt ihr es erfahren können.«

Garson starrte ihn in eisigem Schweigen an.

Achmed wandte dem Botschafter den Rücken zu und kehrte zu seinem Thron zurück. »Verlass sofort mein Reich«, befahl er und gab Kubila ein Zeichen, der im dunklen hinteren Teil der Großen Halle gewartet hatte.

»Kehre zu deinem König zurück und sage ihm von mir, dass ich früher einmal Respekt vor ihm und der Art hatte, wie er sein Reich regiert. Er hat eine genauso geringe Meinung von den Cymrern wie ich und ist ein widerstrebendes Mitglied des Bündnisses – so wie ich. Er bleibt in seinen Bergen wie ich in den meinen. Aber wenn er weiterhin mein Land ausspioniert oder mir Abgesandte schickt, die mir sagen, was ich tun soll, werde ich die Möglichkeiten der von euch so genannten Lichtschmiede ausloten, sobald sie einsatzbereit ist. Ich überlasse es eurer Phantasie, welche das sein könnten.«

»Ich bezweifle, dass ich diese Botschaft Faedryth wirklich überbringen soll«, sagte der Abgesandte.

»Du solltest nicht zweifeln, Garson. Geh jetzt.«

Achmed wartete, bis der Nain-Diplomat aus der Großen Halle geschritten war, und wandte sich dann an Kubila.

»Krinsel soll hier auf mich warten, wenn ich zurückkehre.«

Grunthor legte gerade den Zirkel zurück in das Lederetui, als Achmed auf dem Gipfel des Berges aus Kies und Asche erschien, der als letztes Hindernis vor dem Grab des Erdenkindes diente.

Der Riese sagte nichts, als der Bolg-König auftauchte, doch Achmed sah selbst aus der Ferne die stille Verzweiflung in seinem Blick. Als er schließlich den Katafalk erreicht hatte, auf dem das Kind lag, erkannte er den schattenhaften Umriss dort, wo es früher an diesem dunklen Ort gelegen hatte. Sein Körper war kleiner geworden.

»Es schrumpft immer noch«, sagte er laut. Er sprach die Worte aus, um sie greifbar zu machen; vorher hatten sie schwer und schmerzhaft in der Luft über seinem Kopf gehangen.

Grunthor nickte nur und schloss den Behälter mit dem Messzirkel.

Achmed fuhr mit der behandschuhten Hand sacht über das Haar des Erdenkindes, das nun goldbraun wie der trockene Weizenspreu in der Steppe hinter den Bergen war. Dann folgte er Grunthor durch den Gang zurück zum Kessel.

Krinsel wartete in der Großen Halle, wie er befohlen hatte. Sie wirkte ausgemergelt. Ihr dunkles Gesicht war ausdruckslos. Sie war den größten Teil der Nacht auf den Beinen gewesen und hatte seine Rückkehr erwartet. In der Hand hielt sie die Liste der Opfer, die noch immer von der Krankheit gequält wurden. Ihr jeweiliger Zustand war von den einzelnen Heilfrauen und ihren Gehilfinnen sorgfältig verzeichnet worden.

»Neue Todesfälle?«, fragte Achmed, als er vor ihr stehen blieb.

Die Hebamme schüttelte den Kopf.

Der Bolg-König nickte. »Ich glaube, die Sterbewelle hat ein Ende gefunden«, sagte er nachdenklich. »Alle, die diese Pikrinexplosion bis jetzt überlebt haben, werden es wohl schaffen. Der Gurgus ist von allen Resten gesäubert, genau wie die Berge, auf die der Explosionsstaub niedergegangen ist. Jetzt müssen wir es denjenigen, die auf dem Weg der Besserung sind, so angenehm wie möglich machen und rasch wieder zur Normalität zurückkehren. Einverstanden?« Die Hebamme nickte. »Gut. Dann mache ich mich auf den Weg. Ich reise auf einer Route, die parallel zur Karawanenstraße verläuft. Wenn ihr mich braucht, soll Trug einen Falken losschicken.«